Dritte Replik zur Flassbeck-Erwiderung: Das Knappheitsargument gilt!

Von Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup

19.10.2014 / 19.10.2014

Nach meiner zweiten umfangreichen Antwort auf Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker in Sachen Arbeitszeitverkürzung (AZV), kommt hier die dritte – und aus meiner Sicht vorerst letzte – Replik. Vermutlich ist es sinnvoll, den weiteren Austausch von wissenschaftlichen Argumenten zunächst in einem persönlichen Gespräch fortzusetzen.

Hier also die Antwort auf die Ausführungen von Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker: Arbeitsmärkte sind derivative Märkte. Sie sind abhängig von den Güter-, Geld- und Kapitalmärkten. Dies übersieht die Neoklassik ständig. Sie leitet deshalb fälschlich Arbeitslosigkeit an den Arbeitsmärkten (immanent) durch zu hohe Löhne ab. Ist das Arbeitsangebot in Relation zur Arbeitsnachfrage zu groß, so müsse der Lohn solange sinken, bis ein neues Gleichgewicht am Arbeitsmarkt gefunden ist. Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker stellen diesbezüglich fest: „Unserer Ansicht nach beinhalten beide Überlegungen, AZV wie Lohnsenkung als Mittel gegen Arbeitslosigkeit, denselben Fehler und sind beide Strategien deshalb zur Erfolglosigkeit verurteilt. Und zwar liegt der Fehler in dem gewählten Modell selbst.“ Und an anderer Stelle schreiben sie: „Neben dieser theoretischen Schwäche des AZV-Ansatzes ist es unserer Ansicht nach auch politisch besonders heikel, dass sich die AZV-Befürworter auf das gleiche Modell beziehen, wie die Lohnsenkungs-Befürworter. Denn wenn man den Lohnsenkungsbefürwortern vorwirft, sie berücksichtigen in ihrer Herleitung der positiven Wirkung einer Lohnsenkung auf die Beschäftigung den Einkommenseffekt und damit die Rückkoppelung auf die Arbeitsnachfrage von Seiten der Unternehmen nicht, antworten die regelmäßig, das sein kein Problem. Denn die sinkende Lohnsumme der bereits Beschäftigten würde durch das steigende Arbeitseinkommen der neu Eingestellten immer sofort ausgeglichen oder sogar überkompensiert.“ So argumentiert der Neoklassiker, weil er von einer stabilen Arbeitsnachfragekurve ausgeht. Was soll ein AZV Befürworter dem entgegenhalten, der seinerseits behauptet, eine Verringerung des Arbeitsangebots liefe dank vollen Personalausgleichs auf ein konstantes Arbeitsvolumen hinaus? Denn auch diese Argumentation stützt sich letzten Endes auf eine stabile Arbeitsnachfragekurve.“

Flassbeck und Spiecker argumentieren in einer neoklassischen Modellwelt, die mit der wirtschaftlichen Realität nicht übereinstimmt. Insofern laufen ihre Argumentationen und die von ihnen unterstellte Gleichsetzung von neoklassischen Lohnsenkern und Arbeitszeitverkürzern voll ins Leere. Realiter bestimmt sich die Arbeitsnachfrage in einem Unternehmen (und auch in der Summe der Unternehmen) zunächst einmal am notwendigen Arbeitsanfall, den Arbeitsnotwendigkeiten, die sich aus den nachgefragten Produkt-Mengen an den Absatzmärkten ableiten. Dabei wird die notwendige Arbeitsmenge nachhaltig durch die Produktivität beeinflusst. So kann mehr Absatz mit der gleichen Arbeitsmenge durch eine höhere Produktivität bewältigt werden oder der gleiche Absatz mit weniger Arbeitseinsatz. Ist hier die Rate der Produktivität größer als die Rate des mengenmäßigen Outputs, so geht in einem Unternehmen (dies gilt auch für eine Branche oder die Gesamtwirtschaft) das benötigte Arbeitsvolumen (Beschäftigte * Arbeitszeit je Beschäftigten) zurück und der Unternehmer entlässt ohne AZV seine Beschäftigten. Dies hat mit dem bezahlten Lohn zunächst einmal noch gar nichts zu tun. Es ist eine rein quantitative ökonomische Tatsache, die sowohl mikroökonomisch als auch makroökonomisch gilt. Gesamtwirtschaftlich zeigt sich hier seit langem der empirische Befund, dass die realen (preisbereinigten) Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts tendenziell kleiner sind als die Wachstumsraten der Produktivität. Dahinter verbirgt sich die Kausalität einer konjunktur-überzyklischen (technologischen) Arbeitslosigkeit, in den technischen (stofflichen) Produktionsverhältnissen.

Bezieht man nun neben den Faktormengen im Produktionsprozess auch die Faktorpreise (Löhne) mit ein, so hat ein Unternehmer natürlich nur dann ein Interesse an der Nachfrage nach Arbeitskräften, wenn der ausgezahlte Lohn wesentlich kleiner als die insgesamt mit dem Arbeitseinsatz (Menge und auch Qualität) generierte Wertschöpfung ist, bzw. ein Mehrwert in Form von Gewinn, Zins sowie Miete und Pacht (Grundrente) realisiert werden kann. Dies ist als Erkenntnis trivial.

Bei der AZV geht es in erster Linie um die quantitative Seite im Produktionsprozess, d.h., um die Schaffung eines in der Tat, wie Flassbeck und Spiecker konstatieren, konstanten Arbeitsvolumens (durch Personalausgleich) zum Abbau der bestehenden Massenarbeitslosigkeit. Die durch den technologischen Fortschritt in Summe freigesetzten und auch an anderer Stelle nicht wieder geschaffenen Arbeitsplätze müssen durch AZV kompensiert werden. Ansonsten entsteht eine permanente Arbeitslosigkeit, so wie sie realiter vorliegt. Und auch selbst bei einer real wachsenden Wirtschaft (Wachstum soll ja angeblich Arbeitslosigkeit beseitigen) wird bei konstantem Arbeitseinsatz, und damit einer Produktivitätssteigerung, nicht ein Arbeitsloser abgebaut.

Finanzieren, wie bereits mehrfach dargelegt, lässt sich die AZV aus der Produktivität und wenn diese nicht ausreicht aus einer Umverteilung des Mehrwerts zu den Arbeitseinkommen. Eine wertmäßige Betrachtung der AZV über Faktormengen und Faktorpreise (Löhne) in Höhe der Produktivität zeigt hier eindeutig eine Lohnstückkosten- und verteilungsneutralität bezogen auf die gesamtwirtschaftliche Lohn- und Gewinnquote, so dass auch die Gewinne der Unternehmer bei einer AZV in Höhe der Produktivität steigen. Es fällt in Folge auch keine Konsum- und Investitionsgüternachfrage bei unterstellten gleich hohen Sparquoten aus. Alle sind Gewinner und der Staat muss keine Arbeitslosen mehr alimentieren. Die enorm hohen fiskalischen Kosten der Arbeitslosigkeit werden beseitigt.

Ein Problem bleibt natürlich, und hier haben Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker Recht. Die Durchsetzung der in der Vergangenheit sträflich versäumten AZV bei vollem Lohn- und Personalausgleich geht nur noch als ein Gesamtgesellschaftliches Projekt. Die Gewerkschaften schaffen es alleine – unter den Bedingungen der Massenarbeitslosigkeit – in den Tarifverhandlungen nicht mehr, AZV bei vollem Lohn- und Personalausgleich durchzusetzen, genauso wie sie es nicht mehr vermögen den Reallohnzuwachs mit der Produktivitätsrate ansteigen zu lassen. Dies habe ich in meinen Veröffentlichungen zur AZV immer wieder betont. Aber trotz der gewerkschaftlich-politischen Durchsetzungsschwierigkeiten ist die Ökonomie der AZV richtig und gesellschaftlich dringend geboten.

Heiner Flassbeck und Friederike Spieker bin ich dankbar für diesen Disput, haben sie doch damit auch die hoffentlich weiter stattfindende Diskussion um AZV belebt.

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Die Replik von Heinz-J. Bontrup finden Sie hier...

Auf www.flassbeck-economics.de können sie die erste, die zweite, sowie die dritte Anmerkung von Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker nachlesen