Wohin mit den Einnahmen? Die Finanztransaktionssteuer kommt

Von Dr. Axel Troost

23.03.2013 / Neues Deutschland vom 23.03.2013

Im November 1997 brachte die PDS im Bundestag einen Antrag zur »Einführung einer Steuer auf spekulative Devisenumsätze« ein, zur sogenannten Tobin-Steuer. Auf alle Währungsgeschäfte sollte ein Steuersatz von 0,25 Prozent fällig werden. Die Einnahmen sollten einem internationalen Entwicklungsfonds unter dem Dach der Vereinten Nationen zugutekommen. Die Union sprach sich damals »strikt gegen die Einrichtung neuer Steuern aus«, wie im Bundestagsprotokoll nachzulesen ist. Die FDP nannte den Vorschlag »sozialistisches Gedankengut aus der Mottenkiste«.

Die Finanztransaktionssteuer zielt auf diejenigen, die an den Finanzmärkten das große Rad drehen, beziehungsweise die ihren Banken und Vermögensverwaltern dazu ihr Geld anvertrauen. Somit ist sie ein gutes Instrument zur Umverteilung. Sie ist aber auch ein Instrument zur Regulierung: Spekulation wird dadurch unrentabler und zurückgedrängt.

Inzwischen ist die Steuer auch für Schwarz-Gelb kein sozialistisches Teufelszeug mehr. Selbst von den überwiegend neoliberal eingestellten deutschen Volkswirten laufen immer mehr Prominente ins Lager der Befürworter über. Woher dieser Wandel?

Dies liegt sicher weniger an eigener Erkenntnis, als am Druck von außerhalb. Die Finanzkrise hat zum einen unmissverständlich das spektakuläre Versagen der »unsichtbaren Hand des Marktes« vor Augen geführt und Skandale zu Hauf ans Licht gebracht. Zum anderen hat sie auch ein riesiges Loch in die öffentlichen Haushalte gerissen. Die Motivation der Bundesregierung zugunsten derFinanztransaktionssteuer ist daher eine Mischung aus Feigenblattfunktion und ernst gemeinter Einnahmequelle.

Zwar zeigen ihre konservativen Finanzpolitiker im Parlament wenig Begeisterung für die Steuer und die FDP opponiert offen dagegen. Doch das Finanzministerium verfolgt die Steuerpläne durchaus ernsthaft. Im vergangenen Jahr war ein auf die gesamte Europäische Union gemünzter Vorschlag am Widerstand insbesondere von Großbritannien, Schweden und Tschechien gescheitert. Jetzt soll sie in einer »Koalition der willigen Staaten« eingeführt werden. Mitte Februar hat die EU-Kommission mit einem neuen Richtlinienentwurf die Verhandlungsgrundlage vorgelegt.

Der Entwurf schlägt für Transaktionen mit Aktien und Anleihen einen Steuersatz von 0,1 Prozent vor, den jeweils Käufer und Verkäufer zu entrichten haben. Auf Transaktionen mit Derivaten würden 0,01 Prozent fällig (bemessen am sogenannten Nominalwert). Die genannten Steuersätze sind Mindeststeuersätze - die einzelnen Staaten könnten daher auch höhere Sätze erheben. Steuerpflichtig sind alle Transaktionen, bei denen eine der beiden Transaktionsparteien in einem Staat der Verstärkten Zusammenarbeit ansässig ist (Herkunftslandprinzip). Damit kann die Steuer nicht umgangen werden, indem das Geschäft zum Beispiel in London oder in Singapur statt in Frankfurt abgeschlossen wird.

Dieses Prinzip soll nach dem Vorschlag der EU-Kommission mit dem sogenannten Ausgabeprinzip noch verschärft werden: Künftig sind auch Transaktionen mit Finanzprodukten steuerpflichtig, wenn diese in einem Staat der Verstärkten Zusammenarbeit emittiert wurden. Der Handel mit deutschen VW-Aktien würde dann auch in New York steuerpflichtig - egal, wer die Transaktionsparteien sind.

Die Kommission veranschlagt etwa 30 bis 35 Milliarden Euro an Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer, auf Deutschland entfielen knapp 12 Milliarden Euro.

Jahrelang wurde als Totschlagargument gegen die Finanztransaktionssteuern vorgebracht, sie könne umgangen werden. Das Herkunfts- und Ausgabeprinzip dürfte diese Ausweichmöglichkeiten nun wirksam einhegen. Dies macht Mut, denn es zeigt: Bei ausreichend politischem Willen finden sich Wege, gute Ideen tatsächlich umzusetzen.

Der Vorstoß ist auch aus einem weiteren Grund bemerkenswert: Auf EU-Ebene können Steuern nur einstimmig beschlossen werden. Jeder EU-Staat kann so unliebsame Steuerpläne per Veto verhindern. Die Steuerpolitik der EU orientiert sich daher nicht am europäischen Gemeinwohl, sondern am kleinsten gemeinsamen Nenner. Das macht es fast unmöglich, den ruinösen Wettlauf um niedrige Steuern zu beenden. DieFinanztransaktionssteuer wird nun jedoch - erstmalig für ein Steuerprojekt - per »Verstärkter Zusammenarbeit« von den Staaten eingeführt, die dazu bereit sind.

Die bislang erreichten Fortschritte auf dem Weg zu einer Finanztransaktionssteuer sind bemerkenswert, aber natürlich kein Grund zum uneingeschränkten Jubeln. Tatsächlich muss die Einführung weiter kritisch begleitet werden. Die unten stehenden Ausführungen verdeutlichen, an welcher Stelle nachgebessert werden kann oder sollte.

Zwei wichtige Fragen sind rein politisch: Das ist zum einen die Frage, wieso Deutschland nicht schon vor Abschluss der europäischen Verhandlungen die Finanzbranche zur Kasse bittet. So hat Frankreich im vergangenen Jahr eine abgespeckteFinanztransaktionssteuer eingeführt, Italien und Portugal bereiten ähnliche Steuern vor. Deutschland lässt sich dagegen grundlos Einnahmen entgehen.

Die zweite wichtige Frage ist, wozu das Steueraufkommen verwendet werden soll. Steuern fließen grundsätzlich in den allgemeinen Haushalt und sind nicht strikt an einen Zweck gebunden. De facto verschafft eine neue Steuer aber Spielraum für neue Ausgaben. Deswegen ist es nur angemessen, die Einführung derFinanztransaktionssteuer mit der Chance auf zusätzliche Ausgaben in bestimmten Bereichen zu verknüpfen.

Generell hat die Finanztransaktionssteuer eine lange Tradition als Instrument zur »innovativen Finanzierung von Entwicklung«. Der eingangs erwähnte Antrag der PDS zur Tobin-Steuer diente ebenfalls der Entwicklungsfinanzierung. Auch beim Umweltschutz gibt es großen Finanzbedarf, etwa für Klimaschutz oder zum Erhalt der Artenvielfalt.

Entsprechend des erheblich größeren Steueraufkommens einer allgemeinenFinanztransaktionssteuer gegenüber der Tobin-Steuer lässt sich durchaus vertreten, dass - anders als bei der früher geforderten Tobin-Steuer - nicht alle Einnahmen der Finanztransaktionssteuer für internationale Entwicklung aufgewandt werden. Es ist aber umgekehrt vollkommen inakzeptabel, den gesamten Diskussionsvorlauf gerade in der Zivilgesellschaft zu ignorieren und nicht einen gewichtigen Teil der Ausgaben für globale Armutsbekämpfung sowie Umwelt- und Klimaschutz einzusetzen.