Schwarz-Rot: Politik gegen Arbeitslose, nicht gegen Arbeitslosigkeit!

Rede in der Aktuellen Stunde des Bundestages zur Arbeitsmarktentwicklung

08.11.2006

(Rede im Plenum des Deutschen Bundestages am 8.11.2006 in der Aktuellen Stunde zum Thema "Neue Entwicklung am Arbeitsmarkt: Deut­licher Rückgang der Erwerbslosenzahl, mehr Beschäftigung und Entlastung der öffentlichen Haushalte")


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Wir le­ben in einem Wirtschaftssystem – die einen nennen es „Marktwirtschaft“, die anderen „Kapitalismus“ –, das seit 150 Jahren nach zyklischen Entwicklungen verläuft. In der Tat, nach Jahren der Stagnation haben wir 2006 das erste Mal seit langem wieder wirtschaftliches Wachstum. Ein Wachstum von 2,2 bis 2,4 Prozent führt zu einem deutlichen Beschäftigungszuwachs.

Schauen wir einmal, woher die Wachstumsbeiträge kommen. Das ist zum einen der Außenbeitrag und da sind zum anderen die privaten Investitionen festzustel­len, die nach Jahren der Stagnation endlich angesprun­gen sind. Dies ist im Wesentlichen auf Nachholbedarf zurückzuführen. Dabei handelt es sich nicht um Erweite­rungs-, sondern in erster Linie um Rationalisierungsin­vestitionen. Es gibt keinen Beitrag vom Staat

(Ortwin Runde [SPD]: Degressive AfA!)

und so gut wie keinen Beitrag durch den privaten Kon­sum zum Wachstum. Das ist auch nicht verwunderlich, wenn man sich die Entwicklung der Verteilung der Ein­kommen in den letzten Jahren anschaut: Fast der ge­samte Zuwachs der Einkommen stammt aus Unterneh­mertätigkeit und Vermögen.

Neben dem Export und den Ausrüstungsinvestitionen ist sonst nichts vorhanden, was zum Wachstum beiträgt. Insofern kann man sagen: In diesem Jahr hat die große Koalition mit ihrer Politik nicht zum Aufschwung beige­tragen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­neten der FDP)

Aber sie hat ihn auch nicht verhindert.

Das wird in 2007 in der Tat ganz anders aussehen.

(Dirk Niebel [FDP]: Merkelsteuer!)

Neben der Erhöhung der Mehrwert- und der Versiche­rungsteuer gibt es Kürzungen bei der Beschäftigung im öffentlichen Dienst und bei Hartz IV, die Streichung der Eigenheimzulage, die Versteuerung von Abfindungen, Kürzungen beim Kindergeld und bei der Pendlerpau­schale, die Halbierung des Sparerfreibetrages und die Einschränkung der steuerlichen Abzugsfähigkeit des häuslichen Arbeitszimmers. Alles in allem summiert sich dies – so hat das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung herausgefunden – im nächsten Jahr auf eine Wachstumsbremse von über 28 Milliarden Euro.

Dies ist die größte Konjunkturbremse, die es jemals in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben hat. Da der private Verbrauch und der Staat keinen Beitrag leisten werden, gehe ich davon aus, dass wir im nächsten Jahr ein Wachstum haben werden, das so gering ist, dass es wieder zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit kommen wird.

Auf dem Arbeitsmarkt ist derzeit ein Rückgang der Zahl der registrierten Arbeitslosen um 470 000 zu ver­zeichnen. Es gibt erstmals wieder einen Zuwachs bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und den Mi­nijobs. Trotz allem wird es im Jahresdurchschnitt weiter­hin 4,8 Millionen registrierte Arbeitslose geben und die Beschäftigungslücke wird von 6,33 Millionen fehlenden Arbeitsplätzen nur auf 6,2 Millionen sinken. Gleichzei­tig stellen wir während des derzeitigen Aufschwungs eine Erhöhung und Verfestigung der Langzeitarbeitslo­sigkeit fest.

Kurzum, wir haben einen zyklischen Aufschwung. Das führt zu einer Verbesserung der Situation auf dem Arbeitsmarkt. Aber das ist keine Wende im Bereich der Arbeitsmarktentwicklung. Wir werden vielmehr stei­gende Probleme mit Massen- und Langzeitarbeitslosig­keit haben.

Es kommt noch viel schlimmer: Seit Jahrzehnten gab es den gesellschaftlichen Konsens, dass, wenn man es schon nicht schafft, wesentlich zum Abbau der Arbeits­losigkeit beizutragen, zumindest eine aktive Arbeits­marktpolitik betrieben und gesagt wird: Wir wollen ge­meinwohlorientierte Arbeit statt Arbeitslosigkeit. Mit diesem Konsens haben Sie gebrochen. Mit der Hartz-Gesetzgebung sind faktisch alle Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik abgeschafft worden. Es gab einmal Instrumente wie den § 249 h AFG und SAM, um Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Jetzt gibt es nur noch die 1‑Euro-Jobs. Das ist perspektivlos und ohne ir­gendwelche Chancen für die davon Betroffenen.

Insofern hat sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt aus meiner Sicht drastisch verändert. Arbeitslos zu sein, führt zu Ausgrenzung und zu einer Verstärkung der Ar­mut. Ich war in der letzten Woche auf einer großen Arbeitsmarktkonferenz in Erfurt. Einer meiner Mitrefe­renten hat nur gesagt: Die Exportwirtschaft hat kein Inte­resse am Abbau der Arbeitslosigkeit. Dazu kann ich nur sagen: wie wahr. Die Exportwirtschaft nutzt eine hohe Arbeitslosenquote aufgrund der Schwächung der Ge­werkschaften zur Senkung der Lohnstückkosten.

(Beifall bei der LINKEN)

Für sie ist dies die beste Basis für eine weitere Expan­sion. Für die Menschen in diesem Lande ist dies keine gute Basis. Insofern gibt es nichts zu beschönigen. Wir brauchen eine andere Politik, eine Politik, die wirklich zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit beiträgt.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)