Globalisierungskritik formulieren

Nachruf von Ulrich Brand für den Wissenschaftlichen Beirat von ATTAC

12.12.2009


Regelmäßig bot Jörg Huffschmid Seminare auf der ATTAC-Sommerakademie an, und als ich ihn einmal in der Mittagspause darauf ansprach wie der Vormittag gelaufen sei, antwortete er, noch schwitzend von der gerade unterbrochenen Anstrengung des Erklärens komplizierter Sachverhalte: »Ganz viele junge und interessierte Leute, hervorragende Diskussion. Das liebe ich.« ATTAC war für ihn Aufbruch, es war eine reale Bewegung, mit der die Kritik an neoliberaler Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik praktisch wurde. Sein Buch »Politische Ökonomie der Finanzmärkte« war 1999 erschienen und enorm wichtig für die sich konstituierende Bewegung. Für den Europäer Jörg Huffschmid war zudem die internationale Ausrichtung von ATTAC ganz zentral.

Nach einer kurzen Zusammenarbeit in der Memorandum-Gruppe zu Beginn der 90er Jahre traf ich ihn in einem entstehenden Arbeitszusammenhang im April 2002 in Hannover wieder (zwischenzeitlich hatte ich ihn auf vielen Veranstaltungen gehört). Gut ein Jahr nach der Gründung von ATTAC Deutschland wurde ein wissenschaftlicher Beirat eingerichtet. Jörg Huff­schmid war einer der Initiatoren des Beirates, und man spürte förmlich, daß er der beginnenden globalisierungskritischen Bewegung inhaltliches Fundament geben wollte. Dafür war zentral, wissenschaftliche Erkenntnisse zu erarbeiten und zu vermitteln.

Anfangs wuchs der Beirat, der inzwischen über einhundert Mitglieder hat, quantitativ rasch an. Um diese Arbeit zu strukturieren, richteten wir einen internen Kreis ein. »Natürlich« gehörte Jörg dazu. Er bereitete einige Stellungnahmen mit vor, publizierte für den Beirat zum Thema Privatisierung, war öffentlich für ATTAC präsent. Und er war eine treibende Kraft des ATTAC-»Nein« zum Lissabon-Vertrag.

In vielen Diskussionen reflektierten wir die Rolle kritischer Wissenschaft und engagierter Intellektueller für ATTAC und die neue Bewegung insgesamt. Und warum das Engagement vieler anderer doch eher verhalten war. Dabei war er bewußt nie jemand, der ATTAC nur als Umsetzungsmechanismus seiner Kritik und Ideen verstand. Er anerkannte die aufwendige demokratische Lern- und Organisierungsarbeit, war sensibel für berechtigte Vorbehalte gegen allzu schnelle »Strategien« der vermeintlich Erfahrenen, meist Männer, und insbesondere der Wissenschaftler.

Jörg war sich nie zu schade, bei lokalen Gruppen vorzutragen. Globalisierungskritik hieß für ihn zuallererst und ganz uneitel Aufklärungsarbeit. Effektive praktische Kritik ist nicht nur eine Frage von politischer und ökonomischer Macht, sondern sie muß viele Menschen überzeugen, muß den neoliberalen Alltagsverstand durch präzise Analysen knacken. Und sie muß quasi zum Tun mitreißen. Trotz der komplexen Themen mündeten seine Vorträge und Texte häufig und ganz schlüssig in die Anregung, sich zu engagieren.

Er sah die Gefahren eines zu staatsreformistischen Kurses, doch er erachtete ihn unter den gegebenen Kräfteverhältnissen als alternativlos. Umso neugieriger nahm er Diskussionen beim Weltsozialforum auf, an dem wir einige Male gemeinsam im Rahmen der Delegation der Rosa-Luxemburg-Stiftung teilnahmen. Er war anfangs auch optimistisch bei der Gründung der Linkspartei, die er als Transmissionsmöglichkeit von globalisierungs- und neoliberalismuskritischen Themen ins politisch-institutionelle System verstand.

Im Sommersemester 2009 habe ich Jörg einige Monate zu zwei Universitätsseminaren nach Wien eingeladen. Er trat auch in einigen öffentlichen Veranstaltungen auf, in der er seine Kritik an der EU, an den Privatisierungen und am Finanzmarktkapitalismus jeweils präzise und aktualisiert formulierte. Es war eine gute Zeit, auch gesundheitlich. Der neugierige, gründlich nachdenkende und kritisierende, immer zum gehaltvollen Austragen von inhaltlichen Differenzen bereite und dabei freundschaftliche Wissenschaftler und Mensch wird der globalisierungskritischen Bewegung fehlen.