Endlich: Rehabilitierung für "Kriegsverräter"

04.07.2009 / Sönke Hund, DIE LINKE Bremen

Ludwig Baumann, der jetzt 87-jährige Bremer Mitbegründer der "Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz", freut sich natürlich über den gemeinsamen Gesetzentwurf zur Rehabilitierung der sogenannten "Kriegsverräter". Diesen Entwurf wollen CDU, SPD, FDP und Grüne in einer gemeinsamen Initiative im Bundestag einbringen. Die Initiative hat somit gute Chancen, sogar einstimmig noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet zu werden.

Lange genug hat es ja wirklich gedauert. Von der faschistischen Wehrmacht sind bis 1945 wahrscheinlich 30.000 Menschen verurteilt und 20.000 als "Deserteure", "Zersetzer", "Kriegsdienstverweigerer" und "Kriegsverräter" hingerichtet worden. Die meisten Urteile, die während des Zweiten Weltkrieges von deutschen Militärrichtern verhängt worden waren, hat der deutsche Bundestag schon 2002 für Unrecht erklärt und aufgehoben. Aber erst jetzt, 64 lange Jahre nach Kriegsende, kann offenbar auch das letzte Tabu gebrochen und auch die als "Kriegsverräter" verurteilten Soldaten rehabilitiert werden.

Dass es endlich dazu gekommen ist - daran hat der Bremer Ludwig Baumann seinen großen Anteil. Er wurde als 19-Jähriger zur Wehrmacht eingezogen, desertierte bereits im Juni 1942 bei Bordeaux, wurde gefasst und wenig später wegen "Fahnenflucht im Felde“ zum Tode verurteilt. Davon, dass die Todesstrafe in eine 12jährige Zuchthausstrafe umgewandelt wurde, erfuhr er erst nach Monaten, die er in Todesangst verbracht hatte. Jeden Morgen rechnete er mit seiner Hinrichtung. Der junge Mann wurde zunächst in das KZ Esterwegen, eines der berüchtigten Moorlager im Emsland, und später in das Wehrmachtgefängnis Torgau eingeliefert. In Torgau erlebte er, wie Tausende andere Deserteure hingerichtet wurden.

Im Nachkriegsdeutschland stießen "Deserteure" und "Kriegsverräter" auf keine großen Sympathien. Ludwig Baumann fand erst als 70-Jähriger die Kraft, sich mit anderen Leidensgenossen zusammenzuschließen und die "Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz" zu gründen. Seitdem ist er unermüdlich und unerbittlich in Wort und Schrift dabei, an das Schicksal der vielen Opfer der Militärjustiz zu erinnern und ihre Rehabilitierung einzufordern.

Die CDU hatte diesen Schritt bis zuletzt abgelehnt und erst jetzt einer gemeinsamen Gesetzesinitiative zugestimmt. Aber auch das ging nicht ohne erhebliche Hakeleien. Die LINKE hatte bereits 2006 einen entsprechenden Entwurf eingebracht, der aber - wie viele Initiativen vorher - abgeschmettert wurde. Die CDU hat jetzt endlich ihre Blockadehaltung aufgegeben. Aber sie besteht darauf, dass die LINKE nicht auf dem gemeinsamen Gesetzentwurf erscheint. Was natürlich wieder mal ebenso kleinkariert wie schäbig ist. Jan Korte, Abgeordneter der Linksfraktion im Bundestag, der an das Thema der Rehabilitierung der "Kriegsverräter" immer wieder erinnert hat: "Die Union benutzt die Debatte um die Schließung einer Gerechtigkeitslücke erneut für parteipolitisches Gezänk."

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Warum die sogenannten "Kriegsverräter", die eigentlich Widerstandskämpfer waren, erst jetzt rehabilitiert werden - das hört sich im Juristendeutsch des gemeinsamen Gesetzentwurfes so an: "... der Straftatbestand des Kriegsverrats sei unter der NS-Herrschaft erweitert und das Strafmaß generell erhöht worden. Vom April 1934 an sei für Kriegsverrat statt Zuchthaus als alleinige Strafandrohung die Todesstrafe eingeführt worden. Mit der sogenannten Verratsnovelle seien die Vorschriften zum Hoch- und Landesverrat grundlegend neu gefasst worden. Diese Verratsnovelle sei Ausdruck des völkischen Strafrechtsdenkens des Nationalsozialismus gewesen, deren Ausgangspunkt eine auf rassische Artgleichheit begründete Volksgemeinschaft gewesen sei, aus der sich der Verräter durch Treubruch ausschließe. Ein so verstandenes Gesetzesrecht sei mit dem rechtstaatlich gebotenen Grundsatz der Bestimmtheit von Strafgesetzen unvereinbar, argumentieren die beiden Regierungsfraktionen sowie FDP und Grüne. Denn danach solle jeder Einzelne "vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist", wie es das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat.

Die fehlende rechtsstaatliche Bestimmtheit der Strafvorschriften des Kriegsverrats werde auch durch neuere Untersuchungen zur Urteilspraxis belegt. Sie zeigten, dass Soldaten - und auch Zivilisten - für ganz unterschiedliche Handlungen wegen Kriegsverrats zum Tode verurteilt wurden: für politischen Widerstand, für die Hilfe für verfolgte Juden oder für Unbotmäßigkeiten gegen Vorgesetzte. Der unbestimmte Tatbestand des Kriegsverrats habe sich als Instrument der NS-Justiz erwiesen, um nahezu jedwedes politisch missliebiges abweichendes Verhalten als "Verrat" zu brandmarken und mit dem Tode bestrafen zu können, so CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne. Quelle: Meldung aus "HEUTE IM BUNDESTAG" V. 3. JULI 2009)