Sachsen: Kritik an Tillichs Vorwahl-Fazit / Wirbel um Lücken im Archiv

25.06.2009 / Von Hendrik Lasch, Dresden, Neues Deutschland

Alle Probleme zu den Akten
Sachsens CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich wird nach seiner Fünfjahresbilanz von der LINKEN Schönfärberei vorgeworfen, während sein SPD-Vize sich ihm an den Hals wirft.

Vor dem Landtag demonstrierten gestern streikende Kindergärtnerinnen. Für CDU-Regierungschef Stanislaw Tillich hätte das Erinnerung an ein gebrochenes Versprechen sein müssen: Als er 2008 das Amt von seinem Vorgänger Georg Milbradt übernahm, versprach er, den Betreuungsschlüssel in den Kitas zu verbessern, was indes ausblieb. Gründe dafür hörten die Erzieherinnen in der Bilanz, die Tillich gestern zum Ende der Wahlperiode hielt, nicht. Er lobte lieber die Koalition aus CDU und SPD für das kostenfreie Vorschlujahr.

Typisch Tillich: Der als kantenlos geltende Politiker kann auch an der Regierungspolitik keine Makel finden – das Erreichte war das Erreichbare, so der Tenor seiner Rede. Dabei musste der Freistaat zuletzt etliche Tiefschläge verbuchen: Die Landesbank brach zusammen, was Milbradt, einen Finanzminister und viele Bankvorstände die Ämter kostete. Gerüchte um einen »Sachsen-Sumpf« sorgten bundesweit für Schlagzeilen und offenbarten peinliche Lücken bei der Kontrolle des Geheimdienstes. Zuletzt fiel der Leuchtturm Qimonda.

In Tillichs Fazit tauchen die Probleme nur am Rande auf. Die Landesbank sei Opfer der Finanzkrise; wäre sie später zusammengebrochen, wäre alles noch viel schlimmer gekommen. Der »Sumpf« beruhe darauf, dass »einige im Verfassungsschutz nicht korrekt gearbeitet haben«; die schlampige Aufsicht blieb unerwähnt. Für Qimonda habe sich »trotz großer Unterstützung« kein Investor gefunden. Einen Nachtragsetat zur Stützung des Unternehmens hatte freilich die CDU-Fraktion blockiert.

Eine »nette Wohlfühlrede« habe Tillich gehalten, resümierte André Hahn, Fraktionschef der LINKEN, der seinem CDU-Kontrahenten indes eine »selektive Wahrnehmung der Wirklichkeit« attestierte. Sachsen sei das Bundesland »mit dem höchsten Altersdurchschnitt, den niedrigsten Tariflöhnen und den Regionen mit den meisten armen Kindern«, so Hahn, der eine Fortsetzung der schwarz-roten Koalition »nicht wünschenswert« nannte.

Dass die SPD das anders sieht, war bekannt; wie offensiv sie sich der CDU an den Hals wirft, überraschte gestern indes. Wirtschaftsminister und Tillich-Vize Thomas Jurk verblüffte mit einem Lobpreis auf Milbradt, der mit ihm den ersten Koalitionsvertrag in Sachsen unterzeichnete, sowie einer euphorischen Bilanz der Regierungsjahre. Während Hahn von einer »Anbiederungsrede« sprach, merkten Beobachter an, Jurk binde sich »auf Gedeih und Verderb« an die CDU.

Für Aufsehen sorgte dabei, dass Jurk seinen Parteifreund Karl Nolle attackierte, indem er sich schützend vor Tillich und dessen Umgang mit seiner Biografie stellte. Ihm 20 Jahre nach Ende der DDR vorzuwerfen, in der DDR Verantwortung übernommen zu haben, werde der »Lebensleistung nicht gerecht«. Nolle hatte zu Wochenbeginn ein Buch über den Umgang der CDU mit ihrer Ost-Geschichte veröffentlicht und dieser »Doppelmoral« vorgeworfen. Tillich, der Vize-Ratschef des Kreises Kamenz war, soll noch im Dezember 1989 den Beschluss über die Enteignung eines Hauses mitgetragen haben, die auch nach DDR-Recht Willkür war.

Die Akten im Kreisarchiv Kamenz, die ein Mitarbeiter Nolles vor Monaten noch komplett vorfand, sollen inzwischen lückenhaft sein; zudem wird über Journalistenrecherchen im Archiv sofort die Staatskanzlei informiert. Die »Methoden, mit denen nun offenbar Akten unterdrückt werden sollen«, wird SPD-Fraktionschef Martin Dulig zitiert, habe »die CDU wohl aus DDR-Zeiten übernommen«.