"Von dieser Führung möchte ich nicht noch mehr haben"

Rede von Dr. Axel Troost, DIE LINKE, in der aktuelle Stunde "Führungsverantwortung durch die Bundeskanzlerin" auf Antrag von Bündnis90/Die Grünen am 11.2.2009

11.02.2009 / Axel Troost

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

natürlich ist das Verfahren, wie Bundeswirtschaftsminister Glos am Wochenende seinen Dienst quittiert hat und wie sein Nachfolger bestimmt wurde, eine Blamage. Und natürlich darf man als Parlamentarier fragen, ob die Bundeskanzlerin ihre Regierung noch im Griff hat.

Aber als Opposition dürfen wir nicht denselben Fehler machen, wie die Bundesregierung, nämlich die Öffentlichkeit mit Personaldebatten zu irritieren. Unsere Fraktion hat wenig von der Wirtschaftspolitik von Herrn Glos gehalten und ich sehe wenig Hoffnung, dass das bei Herrn zu Guttenberg anders sein wird.

Lassen Sie uns daher statt über Personalien lieber über Politikinhalte reden. Entscheidend ist doch die Frage, wohin die Bundeskanzlerin mit ihrer Regierung steuern will.

Wir beobachten, dass wichtige Glaubenssätze der neoliberale Politik der letzten 20 Jahre in einer außerordentlich schweren Krise außerordentlich schnell über Bord geworfen wurden: Konjunkturprogramme sind auf einmal nicht mehr des Teufels, der Einstieg des Staates als Retter privater Banken wird zum geeigneten Mittel und für all das sind nach all den Jahren des angeblich unausweichlichen Sozialabbaus auf einmal Milliardenbeträge verfügbar.

In so einer Situation ist es angemessen, noch mal nach den ursprünglichen Interessenlagen zu fragen. Es ist zwar richtig, dass der Neoliberalismus eine quasi religionsartige Ideologie ist und dass der Glaube an die Steuerungsfähigkeiten von Märkten geradezu fanatische Ausmaße angenommen hat. Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Neoliberalismus die gesellschaftspolitische Fassade für eine dahinter liegende interessengeleitete Politik war und ist. Die Zerstörungen des von Deutschland begonnenen Zweiten Weltkriegs waren, so zynisch es klingen mag, die Grundlage, auf der das sogenannte Wirtschaftswunder mit seinen hohen Wachstumsraten gedeihen konnte. Und nur diese hohen Wachstumsraten boten die Möglichkeit, die Interessen der Kapitalseite nach hohen Gewinnen mit kräftigen Lohnsteigerungen der Beschäftigten zu verbinden.

Es ist gezielte Verblödung, eine neue Dimension von Gier auf Seiten der Banker und Manager für die aktuelle Krise verantwortlich zu machen. Gier kennt kein Maß und sie ist so alt wie die Menschheit. Die Entwicklung der Zivilisation zeichnet sich genau dadurch aus, dass man dieser Gier gesellschaftspolitisch Grenzen setzt. Insofern waren die vergangenen Jahrzehnte ein zivilisatorischer Rückschritt.

Auch die Kapitalisten der Nachkriegswirtschaft waren gierig. Hier kommt der Neoliberalismus ins Spiel. Als theoretisches Konstrukt wurde er schon in den 1940er Jahren entwickelt. Politisch trat er aber erst in den 1970er Jahren in Erscheinung, als die Kapitalseite eine neue Legitimation für ihre Gier suchte. Gier wurde kurzerhand für gut erklärt, für eine treibende Kraft menschlicher Entwicklung, so einfach ist das. Mit den Möglichkeiten privater Medien, der Einwirkung in die Wissenschaft und über direkte Lobbyarbeit bahnte die Kapitalseite dem Neoliberalismus den Weg.

In der akuten Krisensituation ist es für die Kapitalseite aber attraktiver, einen starken Staat zu fordern, denn sie hat Angst um ihre Kapitalanlagen. Damals wie heute sind es vor allem die Kapitalbesitzer – die Reichen und Superreichen –, die profitieren: früher vom Rückzug des Staates, von Privatisierung und neuen Spekulationsmöglichkeiten, heute von den Bankenrettungsplänen und Konjunkturprogrammen.

Wir können hier lange die Führungsverantwortlichkeit der Bundeskanzlerin in Frage stellen und auf das Personalchaos der Regierung schimpfen: Eines kann man der Bundeskanzlerin sicher nicht vorwerfen: dass sie die Leute aus dem Augen verliert, für deren Interessen ihre Regierung, und zuvor die rot-grüne Regierung Schröder und die Regierung Kohl, all die Jahre Politik gemacht hat.

Ein besonders trauriges Beispiel dieser Politik in der letzten Woche ist die sogenannte Schuldenbremse. Genauso wie der Stabilitätspakt der EU wird dort ein formaler Sachzwang geschaffen. Heute werden die Verluste der Banken sozialisiert, in wenigen Jahren kann dann eine Bundesregierung behaupten, für Arbeitslosengeld II, für Wohngeld, für Zuschüsse zur Rentenversicherung etc. wäre wegen der Schuldenbremse kein Geld mehr da. Natürlich könnte man das auch anders machen: Wenn man den Finanzsektor auch nicht pleite gehen lassen kann, dann sollen doch wenigstens die bezahlen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten damit goldene Nasen verdient haben. Von einmaliger Vermögensabgabe zur Krisenbewältigung über Zwangsanleihe, Erbschaftsteuer, Vermögensteuern, Unternehmensteuern, Spitzensteuersatz lassen sich dafür viele praktische Wege beschreiten.

Das ist aber eben nicht das Interesse der herrschenden Eliten dieses Landes. Um die Interessen dieser Eliten abzusichern, fehlt es in der Bundesregierung leider nicht an Führung. Und von dieser Führung möchte ich nicht noch mehr haben.