Bilanz der Chatserie zur Finanzkrise

16.11.2008 / Von Nicole Diekmann, tagesschau.de.

Parteien suchen Modelle und Schuldige

Ein Finanzexperte pro Bundestagspartei war an jedem Tag in dieser Woche zu Gast in der tagesschau-Chat-Serie zum Finanzgipfel. Drei Themen beherrschten die Debatten mit den Usern: die Lehren aus der Bankenkrise, die Deckelung von Managergehältern und der Weltwirtschaftsgipfel.


Bankenkrise: Was ist die Lehre?

Eines eint die Politiker aller Parteien: Der Ruf nach einer transparent arbeitenden Bankenaufsicht, sowohl national als auch weltweit. Mit dieser Forderung im Reisegepäck ist Kanzlerin Angela Merkel zum Weltfinanzgipfel nach Washington aufgebrochen. Nach ihrem Willen soll der Internationale Währungsfonds (IWF) diese Aufgabe übernehmen. Eine Forderung, die Unions-Fraktionsvize Michael Meister im tagesschau-Chat wiederholte.

Carl-Ludwig Thiele, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion, hingegen warnte vor zu vielen und zu starren Regeln und einer zu dominanten Rolle des Staates: Der sei "für uns als FDP der schlechteste Banker" und solle zwar "die Rahmenbedingungen setzen, aber nicht selbst als Akteur wirken".

Damit liegt die FDP über Kreuz mit den Grünen. "Ich bin für eine Reform des Finanzsystems mit mehr Transparenz und besseren Regeln", sagte Thieles Amtskollegin Christine Scheel von den Grünen.

Eine Forderung, die Axel Troost von der Linkspartei näher beschrieb: Neben der Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen der Banken plädiere der finanzpolitische Sprecher der Linksfraktion für die Einrichtung eines Finanz-TÜVs, der neue Finanzprodukte prüfen solle. Außerdem solle eine europäische "öffentlich-rechtliche", also unabhängige Rating-Agentur geschaffen werden, um die "nicht verträgliche Doppelrolle" der Agenturen abzuschaffen, die Finanzprodukte prüfen und gleichzeitig Banken beim Handel mit diesen Produkten beraten.

Ganz ohne Proporz geht's wohl nicht

Parteipolitische Reflexe riefen die Erklärungsversuche dafür hervor, warum die ursprünglich amerikanische Bankenkrise Deutschland mit großer Wucht erreicht hat. Schuld ist die Politik - soweit geht man konform. Allerdings meint man immer die der Politik anderen. FDP-Mann Thiele zielte mit seinem Vorwurf des "Staatsversagens" insbesondere auf den SPD-Bundesfinanzminister: "Wenn Herr Steinbrück erklärt, dass er den Brand löschen müsse, dann kann ich nur sagen: Er hätte sich früher um vorbeugenden Brandschutz kümmern müssen."

Die Linkspartei hingegen will vor allem die rot-grüne Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder als Verantwortlichen ausgemacht haben: Sie habe durch Deregulierungsmaßnahmen riskanten Spekulationen Tür und Tor geöffnet, sagt Troost von der Linkspartei.

Auch Scheel nannte "fehlende Regelungen im Finanzmarkt" als einen der Hauptgründe für den Bankenkollaps, "wofür wiederum die Politik die Verantwortung trägt". Nicht aber die rot-grüne Politik: "Ich sehe keine Veranlassung einer Mitschuld."

Managergehälter: Vier für die Deckelung, einer dagegen

Seitdem die Bankenkrise Deutschland erreicht hat, ist hierzulande der Ruf laut geworden, Manager stärker in die Pflicht zu nehmen. Prinzipiell ist man sich im Bundestag über den Sinn solcher Maßnahmen einig - nicht aber, wie sie aussehen sollen. In den Chor derer, die die Deckelung von Managergehältern fordern, will die FDP nicht einstimmen: Er sei der Auffassung, dass in keinem Land die Managerhaftung so strikt geregelt sei wie in Deutschland, sagte FDP-Politiker Thiele. "Es geht hier nicht um zusätzliche Vorschriften, sondern es geht darum, dass die derzeit geltenden Vorschriften auch tatsächlich angewandt werden."

Union, SPD, Grüne und Linkspartei sind sich in dieser Frage dagegen ungewohnt einig. Die Linkspartei sei durchaus der Ansicht, dass ein Manager mehr verdienen sollten als normale Beschäftigte - "allerdings nicht mehr als das 20-fache des Durchschnittseinkommens in den entsprechenden Betrieben", so Troost.Die Grüne Scheel signalisierte ebenfalls Zustimmung - gleichwohl aber auch Skepsis ob der Entschlossenheit der Großen Koalition: "Wir erwarten eine langjährige Diskussion zu diesem Thema. Bislang gibt es noch nicht einmal ein gemeinsames Eckpunktepapier, geschweige denn eine Gesetzesformulierung."

Eine Vorlage, die SPD-Mann Krüger verwandelte: Er müsse "Frau Scheel enttäuschen", sagte er, und stellte eine Einigung mit dem Koalitionspartner noch in diesem Jahr in Aussicht.

Weltfinanzgipfel: Gemeinsame, vernichtende Vorhersage

Einigkeit, aber Einigkeit trauriger Natur herrscht auch bei den Erwartungen der Bundestagsparteien, was den Weltfinanzgipfel in Washington angeht: Sie befürchte, so Scheel, "dass einzelne Interessen der Länder ein gemeinsames Vorgehen verhindern". Auch Linkspartei-Finanzexperte Troost rechnet mit "relativ wenig konkreten Beschlüssen: Es wird viel geredet, aber konkrete Maßnahmen sind bisher so gut wie nicht besprochen und beschlossen worden."

FDP-Mann Thiele äußerte zumindest "Hoffnung - wenn auch keine aktuellen konkreten Ergebnisse zu erwarten sind." Diplomatischer formulierte es der SPD-Politiker Krüger: Er gehe mit einem "gewissen Schuss Optimismus an die Tagung heran".