Bildungsgipfel: "Ziel klar verfehlt"

Interview zum Bildungsgipfel

23.10.2008 / Das Gespräch führte Nicole Diekmann, tagesschau.de.

"Der Bildungsgipfel war eine Mogelpackung", sagt Bildungsforscher Klaus Klemm im Interview mit tagesschau.de. "Da wurden Beschlüsse verkündet, die schon umgesetzt wurden." Er sehe "keine Gewinner - außer ein paar Politikern, die in den kommenden Tagen verkünden werden, sie hätten einen Durchbruch erzielt".

tagesschau.de: Herr Professor Klemm, welche Note verdient der Bildungsgipfel?

Klaus Klemm: Ich bin kein Freund von Schulnoten und möchte es lieber so ausdrücken: Ziel klar verfehlt.

tagesschau.de: Warum?

Klemm: Die angekündigte Steigerung der Bildungsausgaben auf zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes bis 2015 ist ein unglaublich hehres Ziel. Was aber nicht erwähnt wird, ist, dass die zehn Prozent höchstwahrscheinlich vom Bund auf der einen Seite und Industrie und Forschung auf der anderen Seite gezahlt werden sollen.

Denn wenn der Bund tatsächlich allein zehn Prozent zahlen würde, müsste er 100 Milliarden jährlich mehr ausgeben. Das kann der Gipfel nicht beschlossen haben. Man hat sich darauf verständigt, öffentlichen und privaten Geldgebern zu sagen, dass man auf zehn Prozent kommen muss. Was Industrie und Forschung machen, hat der Bund aber nicht in der Hand. Er kann lediglich ermuntern.

"Das ist Werbesprache - keine konkrete Politik"

tagesschau.de: Was sagen Sie zu den übrigen Ergebnissen?

Klemm: Da wurden Beschlüsse verkündet, die ohnehin schon in der Diskussion waren oder bereits umgesetzt wurden: Es war immer klar vereinbart, dass der Bildungsauftrag des Kindergartens gestärkt werden soll. Diese Absprachen haben fast alle Bundesländer inzwischen umgesetzt.

Zwar ist auf dem Gipfel tatsächlich beschlossen worden, den Hochschulpakt zu verlängern. Aber auch das ist nichts Neues. Die Studentenzahlen steigen, weil Bundesländer nun vom neun- auf das achtjährige Gymnasium umstellen und dadurch mehr Abiturienten auf den Hochschulmarkt kommen. Das hat man nun nochmals unterstrichen - aber ohne es mit konkreten Zahlen zu füttern.

Rund 15 Prozent der Schulen in Deutschland sind Ganztagsschulen. Diese Quote wollte man schon bis 1985 erreicht haben. Jetzt nochmal zu verkünden, den Ganztagsbereich stärken zu wollen - dafür muss man nicht Ministerpräsidenten zusammentrommeln.

tagesschau.de: Aber die geplante Halbierung der Schulabbrecherquote ist doch ein konkretes Vorhaben.

Klemm: Das ist ein Dauermissverständnis: Wir haben im Moment diese immer wieder zitierten 80.000 Jugendlichen eines Altersjahrgangs, die die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen. Die Hälfte dieser Jugendlichen kommt von Sonderschulen, zum Beispiel für Lern- oder geistig Behinderte oder für Verhaltensauffällige. Alle Mittel, die die einzelnen Länder für die Senkung der Quote verwenden, zielen auf die Hauptschulen. Wenn man die Halbierung der Quote wirklich erreichen will, muss man die Sonderschulen mit einbeziehen. Alles andere ist Werbesprache, keine konkrete Politik.

"Im Vorfeld nicht so laut tönen"

tagesschau.de: Man will die Quote also gar nicht wirklich halbieren?

Klemm: Man wird es schon wollen, aber man steht dem Problem ratlos gegenüber.

tagesschau.de: Was haben Sie vom Gipfel erwartet?

Klemm: Das Ergebnis, das jetzt verkündet worden ist - also fast nichts. In den letzten Wochen konnte man sehen, dass ambitionierte Ansätze schon in den Vorgesprächen scheiterten. Die Länder sind klamm und versuchen, ihre Haushalte auszugleichen. Hinzugekommen ist nun, dass wegen der Finanzkrise niemand weiß, mit welchen Steuereinnahmen und Sonderausgaben im kommenden Jahr zu rechnen ist. Da kann ich verstehen, dass Ministerpräsidenten und Bundesregierung sich in dieser Situation mit Zusagen zurückhalten - aber dann darf man im Vorfeld nicht so laut tönen.

tagesschau.de: Sind unsere Politiker lernschwach, oder warum wird so wenig umgesetzt?

Klemm: So hart würde ich es nicht formulieren. Seit der Vorstellung der ersten PISA-Studie Ende 2001 hat sich im Bildungsbereich schon erstaunlich viel getan, zum Beispiel beim Bildungsauftrag im Kindergarten, der Sprachförderung in der Vorschule. Wir haben schon Einiges bewegt, aber im Moment konzentriert sich das meiste noch auf den Vorschul- und den Schulbereich. Außerdem haben wir vieles nachzuholen, das erst langfristig spürbar wirken kann.

"Ich sehe keinen Gewinner"

tagesschau.de: Mit dem Gipfel hat aber doch die Kanzlerin das Thema Bildung zur Chefinnensache gemacht - ein klares Signal, dass es hakt. Was ist das Problem?

Klemm: Ein entscheidender Faktor ist Geld. Im OECD-Vergleich liegen wir mit den Ausgaben für das Bildungssystem zwar nur ein Prozent unter dem Durchschnitt. In diesen Wert fließen aber auch die Zahlen aus Ländern wie der Türkei oder Mexiko. Wenn wir uns an Skandinavien orientieren, hinken wir stark hinterher. Auf dem Gipfel wurde ja nun beschlossen, Stipendienprogramme auf- und auszubauen. Wenn aber nicht klar ist, wer das finanzieren soll, sehe ich schon die Arbeitsgruppen, die die Schuld hin- und herschieben.

tagesschau.de: Ihr Fazit: Wem hat dieser Gipfel genutzt?

Klemm: Ich sehe keinen Gewinner - außer ein paar Politikern, die in den kommenden Tagen verkünden werden, sie hätten einen Durchbruch erzielt. Der Gipfel war eine Mogelpackung.