DIE LINKE.: »Ein Sofortprogramm von mindestens 50 Milliarden«

Lafontaine fordert, die Konjunktur anzukurbeln, und wirft den Bankern eine Zockermentalität vor - Plädoyer für Millionärssteuer

22.10.2008 / Stuttgarter Zeitung, 20. Oktober 2008

Der Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine bezweifelt, dass die SPD nach dem Führungswechsel die Kurve kriegt. Der Vorsitzende der Linkspartei kritisiert im Gespräch mit Thomas Maron außerdem das Krisenmanagement der Regierung. Der Finanzmarkt müsse an die Kette gelegt werden.

Taugt Frank-Walter Steinmeier als Kanzlerkandidat?

Seine Eignung hatten die Delegierten des SPD-Parteitags zu bewerten. Ich bin da nicht mehr dabei. Steinmeier muss ebenso wie die jetzige Bundeskanzlerin lernen, dass die deutsche Außenpolitik das Völkerrecht beachten muss und dass wir in Afghanistan nichts verloren haben.

Die SPD fühlt sich programmatisch im Aufwind. Zu Recht?

Das bleibt abzuwarten. Zwar erleben wir jetzt die Zeit der Wendehälse, und die Vorschläge der Linken werden in einer atemberaubenden Geschwindigkeit von allen Parteien übernommen, auch von der SPD, allerdings: die Worte sind beliebig, auf die Taten kommt es an. Noch ist Peer Steinbrück gegen die Pendlerpauschale, in der letzten Woche hat die SPD für die Aufstockung des Bundeswehrkontingents in Afghanistan gestimmt. Solange die SPD eine solche Politik macht, bleibt sie unglaubwürdig.

Wenn jetzt die SPD ungezwungen linke Themen spielen kann, weil selbst die Kanzlerin das Hohelied der Verstaatlichung singt, bleibt Ihnen doch kaum noch Platz.

Die Gefahr besteht nicht. Schon bei der Teilverstaatlichung der Banken fährt die Regierung von Union und SPD einen Schlingerkurs. Finanzminister und Kanzlerin reden von Aktien ohne Stimmrecht und von Genussscheinen. Das heißt, anders als die Vereinigten Staaten und Großbritannien trauen sich CDU/CSU und SPD nicht, für das Geld der Steuerzahler auch Anteile mit vollem Stimmrecht an den Banken zu erwerben.

Wie sollte die Regulierung der Finanzmärkte international gestaltet werden?

Wir brauchen eine Stabilisierung der Wechselkurse. In den vergangenen Jahren gab es oft Wechselkurskrisen, die in Südamerika und Asien ganze Volkswirtschaften in die Rezession gestürzt haben. Die Kapitalverkehrskontrollen müssen wieder eingeführt werden, weil der lockere Umgang mit diesem frei um die Welt fließenden Geld diese Krise verursacht hat. Außerdem müssen die Steueroasen ausgetrocknet werden, weil keine internationale Regulierung funktionieren kann, wenn sich Hedgefonds oder Private-Equity-Gesellschaften in Steueroasen, in denen keine Gesetze gelten, niederlassen.

Merkel hat eine strengere Regulierung angekündigt. Ist die Bundesregierung auf dem richtigen Weg?

Die Bundesregierung hat schwere Fehler gemacht. Zuerst hieß es, die Finanzkrise ist eine Sache der USA, jeder kehre vor seiner eigenen Tür. Dann kam die Krise bei der Hypo Real Estate, und der Finanzminister sprach von Abwicklung. Das ist für eine Bank, die dringend Geld braucht, derart verheerend, dass er eigentlich hätte zurücktreten müssen. Das, was den Finanzmarkt an die Kette legen würde, lehnt die Bundesregierung ab. Stattdessen wiederholt sie Vorschläge, die von den Banken selbst seit Jahren vertreten werden, etwa eine bessere Transparenz oder eine bessere Kontrolle der Ratingagenturen. Das ist aber alles viel zu harmlos. Um bei den Ratingagenturen, die die Papiere der Banken bewerten, anzufangen: die gehören in öffentliche Kontrolle. Die Linke ist die einzige Partei, die dies in aller Klarheit fordert.

Die SPD-Linke fordert das auch ...

Ja, aber sie setzt nichts durch.

Erst sagten Sie, das Rettungspaket sei technisch notwendig. Dann haben Sie es doch abgelehnt. Warum?

Zwei Dinge sind unvermeidlich. Erstens: den Geldfluss zwischen den Banken wiederherzustellen. Das geschieht durch die Bürgschaft. Zweitens: die Banken vor der Pleite zu bewahren. Das geschieht durch die Bereitstellung von Kapital. Diese beiden Maßnahmen sind unverzichtbar. Aber wenn die Bundesregierung sich weigert, für unsere Steuergelder staatliche Anteile zu fordern, dann ist das Paket nicht zustimmungsfähig. Zudem müsste längst ein Konjunkturprogramm gestartet worden sein.

Wie sehen Ihre Vorschläge dafür aus?

Wir brauchen eine Stärkung der Nachfrage. Steuersenkungen sind aber nicht der richtige Weg. Stattdessen müssen Hartz-IV-Sätze, Renten und Löhne angehoben werden, da Steuersenkungen bei einem großen Teil der Hartz-IV-Empfänger, Rentner und bei 30 Prozent der Lohnempfänger nicht ankommen. Außerdem muss der Staat ein Investitionsprogramm auflegen. Vorrangig muss es um Investitionen in den Umweltschutz gehen, das beginnt bei der Gebäudesanierung bis hin zu Gutscheinen, um energiesparende Geräte anzuschaffen. Darüber hinaus gibt es viele Schulen, in denen die Eltern die Säle streichen, und Universitäten, in denen der Kalk von den Wänden rieselt. Deutschland investiert in die öffentliche Infrastruktur, gemessen am Sozialprodukt, nur die Hälfte unserer europäischen Nachbarn. Das ist kein haltbarer Zustand. Rund 50 Milliarden Euro müssen sofort in die Hand genommen werden, um solche Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Darüber hinaus schlagen wir vor, eine degressive Abschreibung für Unternehmen wieder einzuführen, die mit 50 Prozent im ersten Jahr beginnt, um die Investitionstätigkeit der Wirtschaft anzuregen. Damit die Zocker einen Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten, brauchen wir die Millionärssteuer.

Ergeben sich da neue Schnittmengen mit der SPD, die in Teilen Ähnliches fordert?

Wenn den Worten Taten folgen: Ja.

Was darf ein Bankmanager Ihrer Ansicht nach denn verdienen?

Wir haben für alle Manager das 20-Fache eines Durchschnittgehalts als Höchstgrenze vorgeschlagen, das wären 600 000 Euro. Dies wurde von den anderen Fraktionen abgelehnt und als Populismus beschimpft. Jetzt sind plötzlich alle für Einkommensgrenzen, Steinbrück für 500 000 Euro, andere für 370 000 - das Gehalt des Bundesbankpräsidenten. Da kann ich nur sagen: willkommen im Club der Populisten.

Wollen Sie Herrn Ackermann verhaften, wie dies Ihr Kandidat für die Bundespräsidentenwahl, Peter Sodann, gesagt hat?

Es ist erfrischend, wenn ein ehemaliger "Tatort"-Kommissar so empört ist über die verzockten Summen, dass er dies für strafrechtlich relevant hält. Ich würde da allerdings nicht nur an Herrn Ackermann, sondern an viele andere auch denken, die ebenfalls an dieser Zockerei beteiligt waren und jetzt mit hohen Zahlungen bequem in den Ruhestand gehen. Leider haben wir zu bescheidene Vorschriften zur Managerhaftung. Und die, die wir haben, werden noch nicht einmal angewandt. Hätten wir da ordentliche Gesetze, dann müssten jetzt einige hinter Schloss und Riegel.

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