Rudolf Hickel: Gedrängt und getrieben
Der Ökonom Rudolf Hickel über einen Staat, der gar nicht anders kann, als Banken zu retten, Garantien zu geben und Geld zu verlieren
Wird der Staat mit der Bankrottgefahr für so genannte systemrelevante Banken wie die Hypo Real Estate erpresst?
Der Tatbestand der Erpressung ist unübersehbar, erst betreiben die Banken ihre Geschäfte ohne staatliche Kontrolle, und wenn dann durch eine Mischung aus Missmanagement und Spekulation der Zusammenbruch droht, ist der Staat gefragt. Man hat den Eindruck, dass diejenigen, die so handeln, eines genau wissen: Wenn ihnen der Kollaps droht, müssen sie gerettet werden, weil sie strategisch einen derartigen Stellenwert besitzen.
Wie oft kann der Staat Retter in der Not sein, ohne selbst in Not zu geraten? Immerhin erleben wir gerade die zweite große Hilfsaktion nach den Milliarden für die IKB?
Das lässt sich kaum präzise beantworten, aber ich gehe davon aus, wenn dieses Engagement des Staates voll zum Tragen kommt, beansprucht das den Haushalt erheblich und führt zu steigender Staatsverschuldung. Aber die Frage muss immer lauten, was passiert, wenn der Staat nicht eingreift? Welche gesamtwirtschaftlichen Kosten entstehen dann? Alle wissen genau, wenn die Hypo Real Estate oder eine andere Bank pleite geht, löst das schwere Schäden im gesamten Bankensystem aus.
Wie bewerten Sie die Garantieerklärung von Kanzlerin Merkel, die
privaten Einlagen seien sicher? Immerhin handelt es sich nach Auskunft
des Bundesfinanzministeriums um mindestens 568 Milliarden Euro?
Zunächst einmal ist es aufschlussreich zu erfahren, dass wir bei den
Privathaushalten Einlagen in dieser Höhe haben - natürlich höchst
ungleich verteilt. Da ist die Rentnerin mit dem kleinen Sparkonto
genauso dabei wie der Einkommensmillionär. Aber ich finde die Erklärung
von Frau Merkel insgesamt richtig, weil damit versucht wird, einen
Vertrauenseinbruch gegenüber den Banken zu verhindern. Mich überrascht,
dass sich die Anleger bisher so rational verhalten und es keinen Run
auf die Banken gibt, um Konten abzuräumen.
Und wenn sie das irgendwann doch tun?
Dann würden die 568 Milliarden Euro, die bedient werden müssten, die
Staatsschulden gewaltig noch oben treiben. Meine These lautet: Wenn es
zum großen Ansturm der Sparer auf die Banken kommt, muss keine
Einlagensicherung mehr bemüht werden, weil dann sowieso das ganze
System zusammenbricht.
Die Bundesregierung scheint diese Möglichkeit nicht ganz
auszuschließen, sonst hätte sie sich nicht zu dieser Garantieerklärung
für private Anleger durchgerungen.
Da haben Sie Recht, die Sensiblität ist inzwischen sehr hoch. Der Staat
hat diese Krise jetzt vollauf begriffen, er kann sich - um es mit Marx
zu sagen - der davon ausgehenden materiellen Gewalt nicht mehr
entziehen.
Die Sorge, das Vertrauen in das gesamte Finanzsystem könnte zusammenbrechen, bleibt demnach sehr groß.
Berechtigt groß.
Angenommen, die jetzt 50 Milliarden Euro umfassende Garantie für die
Hypo Real Estate müsste völlig oder teilweise in Anspruch genommen
werden, wo käme das Geld her?
Wir haben eine so genannte Risiko-Aufteilung, das heißt, auf der einen
Seite gibt es den Bund, der mit 26,5 Milliarden Euro eingreift, auf der
anderen Seite die Privatbanken, die ursprünglich nur mit 15 Milliarden
dabei waren, nun aber die Risikoabschirmung auf etwa 23,5 Milliarden
erhöht haben.
Wie funktioniert das?
Indem die Bundesbank und die EZB Papiere ins Portfolio nehmen, die sie normalerweise dort nicht platzieren dürften.
Was sind das für Papiere?
Wertpapiere der Hypo Real Estate, die den Privatbanken als
Gegenleistung für die vorgenommene Absicherung zur Verfügung gestellt
werden, vor allem Pfandbriefe. Und diese Papiere werden gegebenenfalls
durch die Bundesbank oder die EZB gegenfinanziert.
Mit anderen Worten, man kauft den Privatbanken diese Papiere
notfalls ab. Das erinnert an das Modell des
700-Milliarden-Dollar-Pakets, mit dem der US-Staat gerade den US-Banken
faule Kredite abnimmt.
Ja, das läuft ganz ähnlich.
Wie lässt sich die von allen Seiten augenblicklich so vehement verlangte Regulierung der Finanzmärkte politisch durchsetzen?
Man muss die Gunst der Stunde nutzen. Mein Schlüsselsatz lautet,
Notmaßnahmen, die letzten Endes immer Steuergelder kosten, sind vom
Staat nur dann zu rechtfertigen, wenn sie mit einer Politik der
scharfen Regulierung verbunden werden. Wir haben jetzt in Deutschland
quasi eine Teilverstaatlichung von Banken, die vor ein paar Wochen noch
undenkbar gewesen wäre. Es sollten jetzt weder Floskeln noch
Absichtserklärungen produziert werden, sondern Maßnahmen überzeugen.
Zum Beispiel muss jedes Finanzprodukt eine unabhängige Prüfung
erfahren. Werden obskure Wertpapiere gebündelt und weltweit vertrieben,
dann muss die verkaufende Bank davon mindestens 20 Prozent im eigenen
Portfolio halten. Sie werden sehen, wie schnell alle Institute bei
einer solchen Bedingung vorsichtiger werden. Man braucht nicht immer
das große Draufschlagen, es gibt einzelne Instrumente, die schmerzhaft
und wirkungsvoll sind und das ganze System erheblich verbessern können.