Krise erreicht die Weltwirtschaft

Notenbanken senken koordiniert Zinsen / DGB-nahes Institut fordert massives Gegensteuern

09.10.2008 / Neues Deutschland

Mit kräftigen Zinssenkungen stemmen sich die weltweit führenden Notenbanken gegen die Finanzmarktkrise und wachsende Ängste um die Konjunktur.

Frankfurt/Washington (ND/dpa). In einer gemeinsamen und außerplanmäßigen Aktion haben sechs Notenbanken am Mittwoch ihre Leitzinsen gesenkt. Die Europäische Zentralbank kappte erstmals seit Juni 2003 den Leitzins für den Euro-Raum und verringerte ihn um 0,5 Punkte auf 3,75 Prozent. Zinssenkungen um jeweils 0,5 Punkte gab es auch in den USA auf 1,5 Prozent und in Großbritannien auf 4,5 Prozent. Zuletzt hatte es eine gemeinsame Leitzinssenkung nach den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 gegeben.

An den Börsen konnte die Leitzinssenkung den negativen Trend nicht umkehren. Nachdem die Aktienkurse am Morgen im freien Fall waren, gab es zunächst zwar eine deutliche Erholung, nach wenigen Stunden gingen die Börsen aber wieder klar auf Talfahrt. Die Notenbanken begründeten den Schritt in einer gemeinsamen Erklärung mit der Unsicherheit an den Finanz- und Geldmärkten sowie gestiegenen Risiken »für eine Abschwächung des Wachstums«. Bei niedrigeren Zinsen können Banken sich billiger Geld bei der Notenbank besorgen. Damit kommen auch Unternehmen und Verbraucher günstiger an Geld, was Investitionen und den privaten Konsum ankurbeln kann.

Die Sorge um Konjunktur unterstrich am Mittwoch der Internationale Währungsfonds. Er senkte seine weltweite Wachstumsprognose für 2009 von 3,9 auf 3,0 Prozent. Das wäre der geringste Zuwachs seit sechs Jahren. In Deutschland rechnet der IWF für 2009 sogar mit einer Stagnation. Nach Ansicht des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) können die Krise auf den Finanzmärkten und der Einbruch der Weltkonjunktur im besten Fall innerhalb des kommenden Jahres überwunden werden. Voraussetzung dafür sei aber, dass »Regierungen und Zentralbanken in den USA und der EU sehr rasch nicht nur das Bankensystem stabilisieren, sondern auch die Konjunktur durch eine expansiv ausgerichtete Wirtschaftspolitik mit Konjunkturprogrammen und durch Leitzinssenkungen stimulieren«, wie es in einer am Mittwoch in Düsseldorf veröffentlichten Studie heißt. Sollten Regierungen und Notenbanken hingegen zu langsam handeln und sich die Europäer weiter auf punktuelle, rein national ausgerichtete Rettungsaktionen beschränken, könnten die Volkswirtschaften beiderseits des Atlantik schon bald in einen Teufelskreis geraten, bei dem sich »die abwärts gerichteten Güter- und Kapitalmarktbewegungen wechselseitig verstärken«, warnen die Ökonomen.

Führende Autokonzerne bekommen die Folgen der Finanzkrise inzwischen massiv zu spüren. Während Toyota die Gewinnprognose für das laufende Geschäftsjahr um 40 Prozent senken muss, vermeldete BMW für den Monat September einen Absatzrückgang von 14,6 Prozent. Die Ford-Tochter Volvo kündigte an, knapp ein Viertel der 25 000 Stellen zu streichen.

Der russische Präsident Dmitri Medwedjew wie auch der britische Premier Gordon Brown sprachen sich am Mittwoch für ein »baldiges« G8-Treffen zur weltweiten Finanzkrise aus. Die Regierung in London beschloss zudem ein Rettungspaket im Gesamtvolumen von 500 Milliarden Pfund für den Finanzsektor, das u. a. eine Teilverstaatlichung von acht Großbanken beinhaltet. In Island wurde erneut ein Geldhaus verstaatlicht. Frankreich gründete eine staatliche Rettungsgesellschaft, um von der Pleite bedrohte Banken aufzufangen. Laut einem Pressebericht soll der französische Präsident Nicolas Sarkozy sehr verärgert über Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wegen ihrer destruktiven Haltung beim jüngsten Pariser Krisengipfel sein. »Wenn es ein Reinfall war, dann aber nicht meiner, sondern Merkels«, habe Sarkozy gesagt.