Große Koalition für Bundeswehreinsatz im Inland - Notfallplan für "besonders schwere Unglücksfälle"

07.10.2008 / www.tagesschau.de

Die Bundeswehr soll nach dem Willen des Koalitionsausschusses auch in Deutschland Waffen einsetzen dürfen - allerdings nur, wenn die polizeilichen Mittel erkennbar nicht ausreichen. Mit einer Änderung des Grundgesetzartikels 35 soll ein jahrelanger politischer Streit beendet werden.

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, es gehe nicht darum, dass eine generelle Ermächtigungsgrundlage für einen Einsatz der Bundeswehr im Innern geschaffen werde. Vielmehr werde mit der Grundgesetzänderung ein rechtsfreier Raum geschlossen, und ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt. Der Gesetzentwurf sei mit Justiz-, Verteidigungs- und Innenministerium sowie dem Auswärtigen Amt bereits abgestimmt und werde nun dem Kabinett zugeleitet.

Verfassungsgericht machte Auflagen

2006 hatten die Karlsruher Richter den Abschuss einer entführten Passagiermaschine verboten, wenn Unschuldige an Bord sind. Sollten in dem Flugzeug jedoch nur Terroristen sein, die die Maschine als Waffe einsetzen wollten, schloss das Verfassungsgericht den Abschuss nicht aus.

Jedoch hat nur die Bundeswehr die Mittel, um ein Flugzeug am Himmel zu zerstören. Der Einsatz militärischer Gewalt im Innern wird aber vom Grundgesetz bislang verboten. Die Große Koalition hatte sich zu Beginn der Legislaturperiode Ende 2005 darauf verständigt, die Verfassung zu ändern, um beispielsweise Anschläge nach dem Vorbild des 11. September 2001 zu verhindern. Nun soll das Grundgesetz tatsächlich geändert werden - vorausgesetzt, Bundestag und Bundesrat stimmen dafür.

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Erweiterung des Artikels 35: Die Große Koalition will das Grundgesetz ändern, um den Einsatz der Bundeswehr in extremen Gefahrensituationen zu ermöglichen. Laut der Nachrichtenagentur dpa soll der Artikel 35 um folgende Absätze erweitert werden: "Reichen zur Abwehr eines besonders schweren Unglücksfalls polizeiliche Mittel nicht aus, kann die Bundesregierung den Einsatz von Streitkräften mit militärischen Mitteln anordnen. Soweit es dabei zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, kann die Bundesregierung den Landesregierungen Weisungen erteilen. Maßnahmen der Bundesregierung nach den Sätzen 1 und 2 sind jederzeit auf Verlangen des Bundesrates im Übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Gefahr aufzuheben. Bei Gefahr im Verzug entscheidet der zuständige Bundesminister. Die Entscheidung der Bundesregierung ist unverzüglich nachzuholen."

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Die Opposition im Bundestag zeigte sich überrascht und verärgert. Denn offenbar war der Text für die geplante Grundgesetzänderung bereits länger in Ministerien und Großer Koalition bekannt. FDP-Chef Guido Westerwelle sagte, er kenne den Text nicht und der Bundestag sei nicht informiert worden. Die Innenexpertin der Linksfraktion, Petra Pau, sagte, Union und SPD wollten das seit Jahrzehnten bestehende Trennungsgebot zwischen Armee, Polizei und Geheimdiensten aufheben. "Die Bundeswehr hat im Inneren aus historischen, politischen, rechtlichen und fachlichen Gründen nichts zu suchen." Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Volker Beck, warnte, mit einer solchen Grundgesetzänderung werde der "Militarisierung der Innenpolitik" Vorschub geleistet.

"Bekämpfung besonders schwerer Unglücksfälle"Bislang sieht der Grundgesetzartikel 35 vor, dass die Bundeswehr lediglich bei Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen zur Unterstützung herangezogen werden kann. Zukünftig soll die Bundesregierung nun auch für die "Bekämpfung besonders schwerer Unglücksfälle" den Einsatz deutscher Soldaten anordnen können. Diese Verfassungsänderung bezieht sich den Angaben zufolge auf alle Notfälle auf deutschem Hoheitsgebiet, also auch in der Luft und in Küstennähe. Die Verfassungsänderung sieht zudem vor, dass bei Gefahr im Verzug der zuständige Bundesminister entscheide.