Die öffentliche Debatte ist (fast nur noch) geprägt von unbegründeten Schlagworten, Etiketten und Phrasen

16.09.2008 / Von Albrecht Müller, Nachdenkseiten


In den Hinweisen hatten wir schon auf den Beitrag „Meister der Phrase“ in der taz hingewiesen. Ulrike Herrmann beschreibt dort sehr gut, wie die öffentliche Debatte und Meinungsbildung von Phrasen geprägt ist. Wir werden zugeschüttet mit Parolen: Heißes Herz und klare Kante, Konjunkturprogramme sind verbranntes Geld, wir sind die Mitte, den Hartz IV-Beziehern geht es zu gut, Lafontaine - der Populist, CDU/CSU tendiert zum Sozialen/Sozialdemokratisierung, Überalterung, Merz – der Wirtschaftsfachmann, Merkel – eine gute Kanzlerin, und so weiter und sofort. Es nimmt kein Ende, und meist kommen die immer wieder gestreuten Behauptungen ohne Belege aus.


Achten Sie einmal darauf, ob Sie zum Beispiel für die Behauptung, Konjunkturprogramme seien Strohfeuer („verbranntes Geld“, so Steinbrück), irgendeinen Beleg finden. Oder wenn Sie ständig hören, Lafontaine sei ein Populist und Friedrich Merz der Wirtschaftsfachmann par excellence, wird dann irgendwo der Versuch gemacht, dies sachlich zu begründen?
In der Regel geschieht dies nicht, zum Beispiel auch nicht dann, wenn Altkanzler Schmidt Lafontaine einen Populisten nennt und ihn gleich auch noch mit Adolf Hitler und Le Pen verrührt. Siehe Anlage A. – D.
Nebenbei: Ich halte Nazi-Vergleiche, anders als andere ehrenwerte Demokraten, durchaus für erlaubt. Aber wenn man das tut, dann sollten solche Vorwürfe belegt sein. Und dies vor allem dann, wenn sie in einem Organ wie Bild am Sonntag erscheinen. Vermutlich könnte man nämlich sehr viel eher und fundierter belegen, dass sich die Bild-Zeitung der Methoden des NS-Stürmer bedient, als dass zu belegen wäre, Lafontaine ähnele „Adolf Nazi“ - wie Schmidt sagt – oder Le Pen.

Die Nutzer der verschiedenen Parolen kommen ohne Belege aus, weil sie sich darauf verlassen können, dass diese Parolen ständig wiederholt werden und die Absender aus verschiedenen Ecken des gesellschaftlichen und politischen Lebens kommen. Beispiele: Aus allen Parteien, aus der Wirtschaft und sogar von einigen Arbeitnehmervertretern und Linken ist z.B. zu hören, Konjunkturprogramme führten zu nichts außer höheren Schulden; von Vertretern aller Parteien mit Ausnahme der Linken wird Lafontaine ein Populist genannt; von der Sozialdemokratisierung der Union und damit von sozialen Farbtupfern bei der Union spricht Dahrendorf, dann Geißler zum Beispiel anerkennend und die Vertreter des Wirtschaftsrats der Union auch, wenn auch anklagend. Es läuft aber aufs Gleiche hinaus: dieses Image wird geprägt - unabhängig von den Fakten.

Wir können davon ausgehen, dass die Verbreitung der gängigen Parolen heute in Kampagnen geplant ist und über allerlei Wege einschließlich bezahlter Publicrelations-Organisationen umgesetzt wird. Ich nenne ein Beispiel für die breite Umsetzung: Nahezu unmotiviert fügte Gabi Bauer vor wenigen Tagen im Nachtmagazin der ARD das Wort sozial bei Erwähnung der Union hinzu. Solche scheinbar zufällige Imagepflege ist vermutlich kein Zufall. Genauso wenig Zufall sind die Arrangements in Talkshows, die der Verbreitung gewünschter Botschaften dienen. In den beiden Einträgen zu „Hart aber fair“ hatten wir dies ausführlich beschrieben.

Die Meinungs- und Imagebildung mit unbelegten Parolen der skizzierten Art wäre nicht so leicht möglich, wenn die kritischen Elemente in den deutschen Medien nicht nahezu völlig ausgefallen wären. Die drei zitierten Meldungen (Anlage A, C und D), die vom Interview des Altkanzlers Schmidt in der Bild-Zeitung berichten, sind für diese unkritische Haltung typisch. Wenn es noch etwas kritischen Biss in den deutschen Hauptmedien gäbe, dann dürfte ein solches Interview nicht ohne kritischen Kommentar durchlaufen.

Während ich diesen Text am Sonntagnachmittag schreibe, werde ich von Lesern der NachDenkSeiten auf den Presseclub vom gleichen Tag aufmerksam gemacht. Siehe dazu Anhang E. Das war offenbar ein weiterer, aktueller Beleg für den Übergang der Medien von kritischen Begleitern des Geschehens zu Elementen eines ausgeprägten Kampagnenjournalismus. Auch die öffentlich-rechtlichen Sender begeben sich offenbar ohne Schamesröte in die Schlacht anti-demokratischer Kampagnen. Wir brauchen offensichtlich keinen Berlusconi in Deutschland. Wir haben ihn schon: Die meisten Medien schaffen die Vereinheitlichung der Meinungsmache auch ohne den Monopoleigentümer. Beachtlich.

Anlagen

A. 14. September 2008
ALTKANZLER-ATTACKE
Schmidt vergleicht Lafontaine mit Hitler und Le Pen

Volle Breitseite gegen den Chef der Linkspartei: “Adolf Nazi war ein charismatischer Redner. Oskar Lafontaine ist das auch”, sagte Altkanzler Schmidt in einem Interview. Zudem seien Lafontaine und Le Pen “vergleichbare Populisten”.
Berlin - Helmut Schmidt ist ein Mann der klaren Worte. Dafür wurde der SPD-Politiker in seiner Zeit als Bundeskanzler eher gefürchtet als geliebt. Heute jedoch, in einer Zeit der Politikverdrossenheit und gummiweichen Talkshow-Phrasen, hängt das Volk an den Lippen des rigiden Altkanzlers mit den nüchternen Argumenten, der am 23. Dezember 90 Jahre alt wird. Zahlreiche Medienberichte widmeten sich in den vergangenen Monaten des überraschenden Popularitäts-Revivals Schmidts; in diesen Tagen erscheint sein selbstironisch betiteltes Buch “Außer Dienst”.
Quelle: SPEIGEL Online

B. Bild Am Sonntag
Helmut Schmidt im Interview

Herr Altbundeskanzler, haben Sie Mitleid mit Kurt Beck?
KAI DIEKMANN, WALTER MAYER und HANS-JÖRG VEHLEWALD
„Mitgefühl, ja. Nicht mit ihm alleine…“, antwortete Helmut Schmidt auf die Frage von. Wenige Tage nach dem überraschenden Führungswechsel in der SPD sprachen wir mit dem Altbundeskanzler, der Ende des Jahres 90 Jahre alt wird.
(…)
Helmut Schmidt: Ich sage sechs, weil ich Berlin mitzähle. Berlin ist die Hauptstadt der Arbeitslosigkeit, die Hauptstadt der Hartz-IV-Empfänger . . .
BamS: … und die Hauptstadt der Linkspartei.
Helmut Schmidt: Genau. Es ist übrigens kein spezifisch deutsches Problem, obwohl es so scheint. Das finden Sie auch in Holland, Belgien, in Frankreich: rechte Populisten wie Le Pen und Konsorten.
BamS: Oskar Lafontaine – der deutsche Le Pen?
Helmut Schmidt: Das würde ich so nicht sagen. Der eine ist links, der andere ist rechts. Aber vergleichbare Populisten sind Lafontaine und Le Pen schon.
(…)
Quelle: Bild.de

C. FR-Online
Schmidt attackiert Lafontaine

Auch Adolf Hitler wäre ein charismatischer Redner gewesen. Oskar Lafontaine sei es auch, sagte Schmidt. Zudem verglich er Lafontaine mit dem französischen Rechtspopulisten Jean-Marie Le Pen. “Der eine ist links, der andere ist rechts. Aber vergleichbare Populisten sind Lafontaine und Le Pen schon”, erklärte der Altkanzler.
Quelle: FR

D. Stern
Schmidt sieht Lafontaine wie Le Pen

Harter Tobak des Alt-Kanzlers: Helmut Schmidt ist mit Oskar Lafontaine hart ins Gericht gegangen und hat ihn mit dem französischen Rechtspopulisten
Jean-Marie Le Pen verglichen. Und damit nicht genug: Schmidt nannte den Linksparteichef in einem Zeitungsinterview zudem in einem Atemzug mit Adolf Hitler.
Quelle: STERN