Gastkolumne (ND): Zwei Seelen

14.09.2008 / Von Georg Fülberth, Neues Deutschland

Beginnen wir mit Goethe:

»Im Atemholen sind zweierlei Gnaden:/Die Luft einziehn, sich ihrer entladen; / Jenes bedrängt, dieses erfrischt; / So wunderbar ist das Leben gemischt. / Du danke Gott, wenn er dich presst, / Und danke ihm, wenn er dich wieder entlässt.«

Was wollte der Dichter uns damit sagen? Er meinte die SPD. Auf ihrem Parteitag 2007 stellte sie sich die Kampfaufgabe, die LINKE aus der Hamburgischen Bürgerschaft und aus den Landtagen von Hessen und Niedersachsen herauszuhalten. Deshalb wurde links geblinkt. Heraus kam sogar ein ziemlich gutes neues Parteiprogramm.

Das Manöver misslang: Die LINKE kam in die Parlamente von Hamburg, Hessen und Niedersachsen. Das Wählerpotenzial der deutschen Sozialdemokratie war damit gespalten. Dies war keine Panne, auch kein Versagen des Vorsitzenden Beck, sondern es war schlimmer: Längst ist die deutsche Sozialstruktur so zerklüftet, dass sie links von der Mitte nicht mehr von einer einzigen Partei zusammengehalten werden kann. Dies ging zu Lasten der SPD.

Es war aber noch ein anderer Schaden zu beklagen. Zwar hatte die SPD auch auf dem Hamburger Parteitag tapfer an der Agenda 2010 festgehalten, dennoch meldete sich das Frühwarnsystem der Kapitalistenklasse. Deren Sprecher und Medien fanden, die SPD neige bedenklich zur Unzuverlässigkeit. Das hätte man ihr als Taktik durchgehen lassen, wenn es etwas gebracht hätte. Aber diejenigen Wählerinnen und Wähler, die Kurt Beck hatte zurückgewinnen wollen, haben zum Beispiel das Hamburger Parteiprogramm wohl gar nicht erst gelesen. Sie hatten zu viele Agenda-Taten gesehen, um auf gute Worte noch etwas zu geben. Damit verlor die SPD an Glaubwürdigkeit zugleich bei denen da oben und bei denen da unten. Das ist nicht gut für eine Volkspartei.

Die Ausmusterung von Beck wird daran allerdings auch nichts ändern, im Gegenteil: Durch den Coup vom Schwielow-See haben Steinmeier und seine Freunde das Feld auf der Linken freigegeben. Niemand kann zwei Herren dienen, jetzt kommt es erst einmal darauf an, das Vertrauen der Unternehmer wiederzugewinnen. Ihre Zeitungen und Sender sollen den neu-alten Vorsitzenden und seinen Kandidaten nicht mehr so heruntermachen wie den unglücklichen Beck. Dessen Sturz war insofern eine vertrauensbildende Maßnahme.

Die wird auch innerparteilich nötig sein, nur andersherum. Mit der scheinbaren Linkswende vom Herbst 2007 hatte man Ottmar Schreiner und Rudolf Dreßler beschwichtigen können, jetzt wird man es mit Andrea Nahles und den Autoren des »Briefs der 60« versuchen. Seit Schwielow hat sich die Parteiführung offenbar darauf verständigt, nicht mehr so viel von der Agenda 2010 zu reden, stattdessen spricht man mehr vom Hamburger Programm. Im Wahlkampf wird vielleicht nicht Steinmeier selbst, aber seine Partei die Kanzlerin wegen zu großer US-Treue angehen und Schröders Russland-Freundschaft dagegen setzen. Vielleicht findet man auch wieder einen sozialpolitischen Knallfrosch (wie 2005 die folgenlose Forderung nach der Bürgerversicherung), der über die Realität weghelfen soll. Hundertprozentig leicht wird es die LINKE also im Wahlkampf 2009 doch nicht haben.

Zum Schluss wieder Goethe: »Zwei Seelen wohnen, ach, in ihrer (der SPD) Brust.« Vielleicht doch eine zu viel.