»... endet vier Monate nach Entbindung«

Barmer bot im Internet Vordrucke zur Kündigung von Schwangeren und Schwerbehinderten an

14.09.2008 / Von Simone Schmollack, Neues Deutschland

Neuer Skandal bei der Barmer: Auf ihrer Homepage bot die Krankenkasse als »Service für Arbeitgeber« Formulare an, mit denen unliebsame Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gekündigt werden können.

War es wirklich nur ein Versehen? Bis vor wenigen Tagen bot Deutschlands größte Krankenkasse auf ihrer Homepage Arbeitgebern Formblätter zur Kündigung von Schwangeren, Müttern und Schwerbehinderten an. »Formulierungsbeispiel zum Sachverhalt der Kündigung einer Schwangeren oder Mutter« waren die Blätter überschrieben. Und: »... hiermit kündige ich Ihnen das bestehende Arbeitsverhältnis vom ... außerordentlich und fristlos.«


Die Formulare standen offensichtlich jahrelang im Netz, nur hatte das bis vor kurzem niemand bemerkt. Erst als die Presse darauf aufmerksam geworden war, wurden die Seiten entfernt. Jetzt steht das Unternehmen mit Hauptsitz in Wuppertal in scharfer Kritik.

»Das verstößt eindeutig gegen geltendes Recht«, sagt Claudia Menne, Frauenbeauftragte beim DGB. »Schwangere dürfen nicht gekündigt werden.« So steht es im Muterschutzgesetz, § 9 Absatz 1 MuSchG: »Die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung ist unzulässig ...«

Welche Absicht steckte also dahinter? Thorsten Jakob, Sprecher der Barmer, kann es nicht erklären. »Es scheint sich um ein Versehen zu handeln«, sagt er. Wer die Formulare und auf wessen Anweisung ins Netz gestellt hat, ist seinen Aussagen zufolge nicht geklärt. Auch personelle Konsequenzen soll es nicht geben.

Als »Service« bietet die Barmer unter der Rubrik »Formulare und Bescheinigungen« verschiedene Mustervorlagen an, mit denen Mitglieder Adressen- und Arbeitgeberwechsel mitteilen oder sich ihre Rente ausrechnen lassen können. Arbeitgeber können sich unter »Leistungen und Beiträge« Vordrucke herunterladen, die »die Kommunikation zwischen Chefs und Beschäftigten erleichtern soll«, sagt Jakob. Aber die Kritik an dem Vorgang sei »auf jeden Fall berechtigt«. Jakob: »Es ist missverständlich formuliert worden.« In dem Schreiben sei nämlich auf den Kündigungsschutz hingewiesen worden. »Wir wollten Arbeitnehmerinnen auf die Schutzvorschriften hinweisen.«

Dennoch ein merkwürdiges Verfahren. Das findet auch Claudia Menne vom DGB: »Eine Krankenkasse kann gar nicht kündigen, das kann nur der Arbeitgeber.«

Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) reagierte laut Presseberichten empört auf das Internetangebot. Solche Anweisungen gehören nicht zum Arbeitgeberservice, sagte er. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauerbach sah darin einen Verstoß gegen Arbeitnehmerrechte: »Versicherte müssen sich auf ihre Kassen verlassen können.«

Auf der Barmer-Startseite erscheint jetzt eine Werbung für einen Test von Schwangerschaftsdiabetes. »Den bieten wir als einzige Krankenkasse in Deutschland kostenlos an«, sagt Thorsten Jakob. Die Kasse preist sich als »familienfreundlich« an: »Bei der Barmer sind Sie mit der ganzen Familie gut versichert. Familienangehörige genießen von Anfang an den vollen Versicherungsschutz.«

Der aktuelle Vorfall ist nicht der erste, mit dem die Ersatzkasse in Verruf geraten ist. Vor kurzem wurde sie heftig dafür kritisiert, dass sie Versicherten, die die Barmer verlassen und zur Konkurrenz wechseln wollten, sogenannte Bleibeprämien gezahlt hatte: 220 Euro dafür, dass sie Barmer-Mitglied bleiben. Die Barmer gilt als eine der teuersten Krankenkassen in Deutschland.