Wirtschaftswissenschaftler warnt vor Rezession

Gustav A. Horn fordert Konjunkturprogramm

21.08.2008 / Gustav A. Horn im Gespräch mit Gabi Wuttke, Deutschlandradio Kultur

Angesichts der aktuellen Wirtschaftsentwicklung ist nach Ansicht von Gustav A. Horn eine Rezession in Deutschland nicht mehr auszuschließen. In dieser Situation dürfe man sich nicht auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft verlassen, sondern müsse in Form eines staatlichen Konjunkturprogramms aktiv gegensteuern, betonte der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung.

Gabi Wuttke: Die deutsche Wirtschaft tritt auf der Stelle, die Flaute setzt sich fort. Das haben sowohl die Bundesbank als auch das arbeitgebernahe Institut für Wirtschaftsforschung dem dritten Quartal dieses Jahres attestiert. Aber trotz der schlechten Prognosen von einer Rezession will niemand sprechen. Trotzdem wachsen der Angst in Deutschland, scheint es, Flügel. Prof. Gustav Horn leitet das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Guten Morgen, Herr Horn!

Gustav A. Horn: Guten Morgen!

Wuttke: Sieht mancher jetzt vorschnell schwarz, weil es in den letzten Jahren einfach zu gut lief oder ist Sorge berechtigt?

Horn: Leider ist die Sorge berechtigt, selbst das DIW ja immer noch gesagt hat, ein Aufschwung hält an, ein Wachstum von 2,7 Prozent prognostiziert hat, muss jetzt eingestehen, dass die Lage doch wesentlich ernster ist. Denn die Indikatoren sprechen eine deutliche Sprache. Alle Zahlen, alle Indikatoren, die etwas in die Zukunft weisen für die nächsten sechs, sieben Monate, haben nur eine Richtung. Und die ist nach unten. Das heißt, hier ist etwas im Gange, hier entwickelt sich etwas, dass anzeigt, dass die deutsche Wirtschaft tatsächlich nicht nur auf der Stelle tritt, sondern möglicherweise sogar schrumpft.

Wuttke: Heißt das zu sagen, eine Rezession stünde nicht an, ist nur Schönfärberei?

Horn: Ich halte diese Aussage für gewagt, weil wenn man sich die Zahlen anschaut, dann kann man einfach nicht mehr ausschließen, dass es auch eine Rezession gibt. Sie mag nicht tief sein, Gott sei Dank. Aber dass es eine Rezession geben könnte, das ist wirklich nicht mehr auszuschließen.

Wuttke: Die Bundesregierung lehnt ein Konjunkturprogramm weiter ab und setzt stattdessen auf eine weitere Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung. Derweil fordern die Ökonomen Bofinger und Straubhaar, die Regierung solle jedem einen Scheck in Höhe von 125 Euro in die Hand drücken, dann würde der Motor schon wieder brummen. Können Sie der einen oder anderen Variante etwas abgewinnen?

Horn: Ich kann der ersten Variante, dass man jetzt gar nichts tun sollte, kann ich überhaupt nichts abgewinnen. Das ist allerdings ein Mantra, das in der deutschen Wirtschaftspolitik immer wieder dann zum Tragen kommt, wenn es schlechter wird. Man dürfe einfach nichts tun, die Wirtschaft werde sich schon wieder von selber erholen oder es gebe gar kein Problem. Das sieht man zum Beispiel im Ausland ganz anders. Man braucht bloß nach Spanien zu blicken, nach den USA, überall wird was getan, wenn die Wirtschaft lahmt. Aber in Deutschland scheint diese Erkenntnis nicht weit verbreitet zu sein. Die zweite Idee halte ich für gut. Nur ich würde nicht so weit gehen, dass man dadurch, dass man den Menschen 125 Euro per Scheck gibt, die Wirtschaft wieder in Gang bringt. Ich sehe das eher als eine Notmaßnahme, die insbesondere Niedrigeinkommensbezieher es ermöglicht, beispielsweise mit den höheren Energiekosten fertig zu werden.

Wuttke: Das heißt, die Konjunktur würde dadurch nicht anziehen, sondern es würden Löcher gestopft, wie ja wahrscheinlich auch in den USA. Dort wurden den Menschen auch Schecks zugeschickt nach der großen Immobilienkrise.

Horn: Ja, dort im wesentlich höheren Umfang, als das hier geplant ist. Aber wie gesagt, es ist mehr eine sozialpolitische Maßnahme, die ich für richtig halte. Die Menschen, gerade diejenigen, die wenig Geld haben, leiden sehr unter den hohen Energierechnungen. Und man konnte ihnen das Leben zumindest etwas leichter machen.

Wuttke: Gut, aber das kurbelt die Konjunktur dann ja letztlich nicht an, wie Sie sagen?

Horn: Nein, dazu muss man wesentlich mehr Geld in die Hand nehmen. Und ich bin dann auch dafür, dass man dieses Geld vor allen Dingen in investive Aufgaben steckt, das heißt der Staat sollte entweder direkt oder über steuerliche Förderung Investitionen fördern, insbesondere im Energiebereich, um unsere Energieeffizienz zu steigern. Das müssen wir langfristig ohnehin tun. Und deshalb kann es auch kurzfristig richtig sein, dass man diese Bereiche verstärkt.

Wuttke: Vor zwei Jahren noch hatte Thomas Straubhaar die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Firmen bejubelt, die endlich profitabel geworden seien, auch durch Einsparung von Mitarbeitern. Nun will er mit seinem als neoliberalen Institut bekannten Auftritt den kauffreudigen Bürger auf Staatskosten. Herr Horn, Sie unterstützen diesen Vorschlag auch, auch wenn Sie sagen, damit wird die Konjunktur nicht angekurbelt. Gibt es da gerade eine Zäsur in Ihrer Zunft?

Horn: Nun, es bröckelt, sagen wir es so. Die Erkenntnis ist einfach zu überwältigend, dass das Wirtschaftsgeschehen nicht immer einfach, selbst wenn die Gewinne hoch sind, immer einfach stetig weitergeht. Es gibt konjunkturelle Krisen, und diese Krisen sind so stark, dass die Wirtschaft nicht alleine wieder herauskommt, sondern des Anschubs bedarf. Diese Erkenntnis ist weltweit sehr weit verbreitet. Nur in Deutschland hat die Mehrzahl der Ökonomen diese Erkenntnis in den letzten Jahren einfach nie angewendet. Das Ergebnis war u.a., dass die Wirtschaftspolitik eben nach 2001, in unserer letzten Krise viel zu wenig getan hat, um uns aus dem Sumpf wieder herauszuziehen.

Wuttke: Das heißt, die Forderung der Linkspartei nach einem staatlichen Konjunkturprogramm halten Sie für berechtigt?

Horn: Ich halte diese Forderung im Prinzip für berechtigt. Wenn die Konjunktur lahmt, muss man etwas tun. Es ist auch wichtig für die Einstellung der Bürger zur Wirtschaft. Denn sie müssen sicher sein, sie müssen darauf bauen können, dass wenn etwas schiefgeht, und man kann das nie ausschließen, dass etwas schiefgeht, es eine Institution gibt, die hier kompensierend tätig wird. Und das kann nur der Staat sein. Von der Wirtschaft kann man dies nicht verlangen.

Wuttke: Herr Horn, es gilt als ausgemacht, dass neue Arbeitsplätze von einer guten Konjunkturlage der Unternehmen abhängig sind, dass sie in Arbeitsplätze investieren, wenn sie guten Profit machen. Nun hat ein Empiriker mal nachgehakt und, siehe da, die Firmengewinne sind in den letzten 30 Jahren immer weiter gestiegen, aber die Arbeitslosigkeit eben auch. Müssen wir uns eigentlich dringend von einem Märchen verabschieden?

Horn: Ich kenne die Studien nicht. Aber das Ergebnis halte ich nicht für tragfähig. Man hat es jetzt im Aufschwung auch gesehen. Als die Investitionen anzogen, da stieg dann auch die Zahl der Arbeitsplätze und die Arbeitslosigkeit nahm ab. Und das haben wir in früheren Zyklen genauso gesehen. Das Ergebnis ist aus meiner Sicht nicht valide. Was allerdings richtig ist, die Gewinne der Unternehmen sind in den letzten 30 Jahren in der Tat sehr stark gestiegen, ohne dass die Beschäftigung auch nur annähernd mitgehalten hätte.

Wuttke: Die deutsche Konjunktur im Jahr 2008. Dazu der Leiter des Institutes für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Danke, Herr Horn, schönen Tag!

Horn: Gern geschehen.