Sommerinterview mit dem Parteivorsitzenden der Linkspartei Oskar Lafontaine

13.08.2008 / Bericht aus Berlin, 10.08.2008, Tagesschau

Ulrich Deppendorf, Chefredakteur, ARD-Hauptstadtstudio: Willkommen zum "Bericht aus Berlin", meine Damen und Herren. Heute in unserem Sommerinterview einer der beiden Vorsitzenden der Partei Die Linke, Oskar Lafontaine. Herzlich willkommen, wir begrüßen Sie hier an der Saarschleife, das ist ja der Lieblingsort der sozialdemokratischen Politiker und auch der linken Politiker hier im Saarland.

Oskar Lafontaine, Die Linke, Parteivorsitzender: Ja, ich freue mich, dass die Saarschleife allmählich bekannt wird. Am bekanntesten war ja das Tete-a-Tete mit Gerhard Schröder hier, aber es gehört zu meiner Tradition immer hier zu sein.

Deppendorf: Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zur gestrigen Wahl zum Spitzenkandidaten bei der Landtagswahl im nächsten Jahr. 92,4 Prozent. Herr Lafontaine, wenn Sie wirklich zum Ministerpräsidenten gewählt werden würden...

Lafontaine: Haben Sie Zweifel?

Deppendorf: Ja. Würden Sie dann wirklich Ministerpräsident werden wollen, im Saarland bleiben oder nicht doch lieber die große Bühne in Berlin behalten?

Lafontaine: Selbstverständlich, wenn ich hier kandidiere, dann will ich das Amt auch ausführen. Wenn ich also von den Wählerinnen und Wähler den Auftrag erhalte, im Übrigen hat man auch als Ministerpräsident die Bühne in Berlin. Das habe ich ja vorexerziert lange Jahre als SPD-Vorsitzender und Ministerpräsident des Saarlandes.

Joachim Wagner, stellv. Chefredakteur, ARD-Hauptstadtstudio: Man hat lange nichts mehr von Ihrer Frau gehört, wird die Sie im Wahlkampf unterstützen und gegebenenfalls auch ein Ministeramt übernehmen? Sind das Ideen?

Lafontaine: Sie haben aber Ideen. Nein, Sie wissen ja, ich bin ein Saarländer, der unterm Pantoffel steht, wenn Sie wissen, was das ist. Und insofern muss ich immer das machen, was meine Frau sagt und meine Frau hat gesagt, sie möchte nicht Ministerin werden. Also, insofern ist das entschieden.

Wagner: Erledigt?

Lafontaine: Ja.

Deppendorf: Bevor wir uns jetzt weiter mit der Familie Lafontaine beschäftigen, beschäftigen wir uns erst einmal mit der Partei und mit Ihnen als Vorsitzender.

Wagner: Herr Lafontaine, nun soll sich die Führung der Linkspartei auf einen Kandidaten oder Kandidatin für die Bundepräsidentenwahl geeinigt haben. Erstens: Stimmt das? Und zweitens: Könnten Sie uns den Namen vielleicht verraten?

Lafontaine: Das werden wir alles im September verraten.

Wagner: Haben Sie sich denn schon geeinigt?

Lafontaine: Das werden wir alles im September verraten.

Deppendorf: Können Sie uns wenigstens das Geschlecht verraten? Ich meine, es steht ja alles schon fest.

Lafontaine: Das werden wir alles im September verraten. Ich will Sie nicht zu unnötigen Spekulationen reizen.

Deppendorf: Nun hat ja der Kandidat oder die Kandidatin Ihrer Partei eigentlich keine reale Chance bei der Bundespräsidentenwahl. Gibt es von Seiten der Linkspartei Bedingungen an die SPD, um dann doch Gesine Schwan zu wählen?

Lafontaine: Wir hatten es zunächst durchaus begrüßt, dass Frau Schwan kandidierte. Wir haben aber dann gesagt, es muss auch einen Sinn machen, wenn wir hier zusammenarbeiten und Frau Schwan wählen. Da gibt es zwei Möglichkeiten. Einmal, dass man eine Koalitionsperspektive eröffnet, die hat die SPD ausdrücklich ausgeschlossen, das wäre also das Gustav-Heinemann-Modell, um ein Beispiel zu nennen. Das andere ist, dass Frau Schwan dezidiert Positionen vertritt, etwa bei Hartz IV oder bei der Rentenkürzung oder bei völkerrechtlichen Kriegen, die auch unsere sind. Beide Bedingungen sind nicht erfüllt. Insofern haben wir dann gesagt, es spricht nichts dafür Frau Schwan zu unterstützen. Wir werden uns bemühen eine eigene Kandidatur, also einen eigenen Kandidaten oder Kandidatin, zu nominieren.

Wagner: Nun ist es so, dass vielleicht auch eine Rolle gespielt hat, dass Frau Schwan Sie einen Demagogen genannt hat. Hat Sie das verletzt, verärgert oder gleichgültig gelassen?

Lafontaine: Ich bin in den 40 Jahren politischer Tätigkeit so oft, wenn Sie so wollen, ans Schienbein getreten worden, dass da eine ziemlich Hornhaut ist. Man kann politische Entscheidungen dieser Relevanz nicht danach treffen, ob man persönlich verletzt ist oder so.

Deppendorf: Wollen Sie denn Frau Schwan eigentlich noch zu einem Gespräch empfangen? Es heißt, es gibt da bei ihnen unterschiedliche Meinungen: Sie wollen nicht mehr, aber Ihre anderen Führungsmitglieder wollen Frau Schwan empfangen.

Lafontaine: Nein, wir begrüßen es natürlich, wenn sie sich bei uns vorstellt, denn wie gesagt, es ist noch offen, wie wir uns im dritten Wahlgang verhalten. Das ist ja logisch. Wir gehen auch davon aus, dass dann unsere Kandidatin oder unser Kandidat bei der SPD die Möglichkeit hat sich vorzustellen.

Wagner: Sie haben eben den dritten Wahlgang erwähnt. Wenn Sie dort Frau Schwan unterstützen oder Frau Schwan sogar gewählt werden sollte, ist das auch ein Signal für die Bundestagswahl 2009?

Lafontaine: Das wäre natürlich ein Signal für die Bundestagswahl 2009, aber wie gesagt, ich kann jetzt noch nicht sagen, wie wir entscheiden werden, das ist auch kein diplomatisches Ausweichen. Man muss sehen, wie sich die Bundesversammlung entwickelt, was bis dahin geschieht. Wir werden tatsächlich erst kurz vor dem dritten Wahlgang entscheiden, was wir machen.

Wagner: Signal für was? Können Sie das nochmal präzisieren?

Lafontaine: Signal für eine Öffnung der SPD zu uns. Denn wir haben ja keine Berührungsängste, wir sagen immer: Wir sind jederzeit bereit, morgen Herrn Beck zu wählen, wenn er - Sie kennen die Bedingungen - die Rentenkürzung zurücknimmt, Hartz IV zurücknimmt, wenn er den Mindestlohn wirklich einführen will und wenn er die Truppen aus Afghanistan zurückzieht. Das wäre wirklich ein Segen, denken Sie nur wiederum an die Deutschen Soldaten, die jetzt verletzt zurückgekommen sind. Ich halte es hier mit Helmut Schmidt, der schlicht und einfach mal gesagt hat, wir haben in Afghanistan nichts verloren.

Deppendorf: Kommen wir noch zu einer anderen Baustelle, die auch mit Ihrer Partei zu tun hat, nämlich Hessen. Rot-Grün, Rot-Rot-Grün möglicherweise. Frau Ypsilanti will möglicherweise jetzt noch mal den zweiten Anlauf versuchen - wie Herr Beck gesagt hat - mit dem Kopf gegen die Wand zu laufen. Werden Sie sie unterstützen? Wollen Sie sich nochmal auf das Risiko einlassen?

Lafontaine: Wir haben keine Probleme damit und unsere Unterstützung ergibt sich ja nicht aus irgendwelchen abartigen Überlegungen, sondern vom Programm her. Frau Ypsilanti, die hessische SPD, sie hat ein landespolitisches Programm, das sich weitgehend mit unseren Vorstellungen deckt, auch hier an der Saar. Gebührenfreies Studium, eine Reform von G8, dieses Turbo-Abitur, das viele Arbeiterkinder in Schwierigkeiten bringt, keine weitere Privatisierung, kein weiterer Abbau im öffentlichen Dienst, eine moderne, neuere Energiepolitik. Das sind auch Programmpunkte, die wir hier haben, die wir in ganz Deutschland haben. Deshalb würden wir sie wählen. Leider hat sie es nicht geschafft, ihre Partei hinter sich zu bringen.

Wagner: Gäbe es denn von Seiten der Linkspartei irgendwelche Bedingungen, die Frau Ypsilanti erfüllen müsste oder ist das aufgrund der Programmnähe ohne weitere Bedingungen möglich?

Lafontaine: Wir haben eine große Programmnähe, insofern ist eine Zusammenarbeit, wenn sie von der SPD gewünscht wird, problemlos.

Deppendorf: Herr Lafontaine, kommen wir jetzt mal zu den Inhalten Ihrer Politik. Wenn man zu viel verspricht, zerstört man die Glaubwürdigkeit. Das hat einer Ihrer Parteifreunde gesagt, der Wirtschaftssenator von Berlin, Harald Wolf. Stimmen Sie dem zu?

Lafontaine: Ja, aber wir versprechen nicht zu viel.

Wagner: Doch.

Lafontaine: Was wir versprechen, bewegt sich im europäischen Rahmen. Ich habe jetzt grade eine sehr interessante Arbeit gelesen von Herrn Bofinger, einem der Weisen des Sachverständigenrates, der eben darauf hingewiesen hat, dass die verfehlte Steuerpolitik - also Steuersenkung bei Unternehmen oder Abgabensenkung, die auch Milliarden Zurücküberweisung an die Unternehmen sind, Wegfall der Vermögenssteuer und Senkung des Spitzensteuersatzes - dass die zu einem Einnahmeausfall des Staates pro Jahr von 118 Milliarden geführt haben. Das ist genau die Zahl, die wir immer wieder nennen. Wir gehen in Deutschland einen Sonderweg der Entstaatlichung, wir machen den Staat immer ärmer und versündigen uns so an der Zukunft unserer Kinder. Denn wir investieren zu wenig in die Erziehung, wir investieren zu wenig in die Schulen, in die Universitäten und in die Forschung.

Wagner: Darf ich da nachhaken? Wollen Sie denn so viel die Steuern hochheben? Die Bürger klagen jetzt schon über zu hohe Steuern, dann würden sie ja alle noch mehr belasten.

Lafontaine: Das ist sehr unterschiedlich. Diejenigen, die sehr viel haben und relativ wenig Steuern zahlen, klagen immer über viel zu hohe Steuern. Es gibt ja auch viele, 30 Prozent der Arbeitnehmer, die beispielsweise keine Lohnsteuer mehr zahlen, weil die Löhne mittlerweile so niedrig sind. Das ist alles sehr differenziert. Wir wollen eine andere Vermögenssteuer, eine andere Betriebsbesteuerung und wir wollen einen anderen Spitzensteuersatz und eine andere Erbschaftssteuer. Die große Mehrheit der Bevölkerung wäre von unseren Steuervorschlägen entlastet. Ich will ein Beispiel nennen - die anderen schreiben das ja jetzt mittlerweile wieder ab - wir wollen einen linearen Steuertarif, der die Facharbeiter und die Kleinbetriebe entlasten würde. Wir wollen die Progression, die kalte Progression, die durch Preissteigerungen, den Steuertarif entsteht, beseitigen. Und wir wollen die kleineren Betriebe im Besonderen durch steuerliche Abschreibungen begünstigen. Auf der anderen Seiten kommen eben die Mehreinnahmen, von denen ich gesprochen habe, ich will Zahlen nennen, die sind alle überprüfbar. Hätten wir eine Besteuerung wie der OECD bei Gewinn, hätten wir 50 Milliarden Mehreinnahmen. Hätten wir eine Besteuerung wie Amerika oder England bei Vermögen, hätten wir 50 Milliarden Mehreinnahmen.

Wagner: Aber 50 Milliarden reicht für das alles nicht aus, was Sie versprechen.

Lafontaine: Doch. 50 Milliarden plus 50 Milliarden macht 100 Milliarden und dann sind wir beim Spitzensteuersatz, sehr schnell bei den 118 Milliarden, wie Professor Bofinger - wenn Sie schon uns nicht glauben, sollten sie diesem Weisen glauben - errechnet hat. Es ist gut, dass ein Wirtschaftprofessor in Deutschland eben mal die Stimme erhebt und sagt, der Sonderweg Deutschland, den Staat immer ärmer zu machen, ist eine Versündigung an der Zukunft unserer Kinder.

Deppendorf: Herr Lafontaine, Sie fordern ja die Abschaffung der Rente mit 67. Sie wollen sozusagen die Rente nochmal weiter ausdehnen, Sie wollen den Dämpfungsfaktor rausnehmen, Sie wollen den Lebensstandard sichern. Haben Sie sich eigentlich mal ausgerechnet, was das alles zusammen kostet?

Lafontaine: Ja, selbstverständlich haben wir das ausgerechnet.

Deppendorf: Dann nennen Sie doch eine Zahl.

Lafontaine: Die Rentenversicherer haben das ausgerechnet, ich will Ihnen das gerade erläutern. Und sie haben ihre eigene Zahl korrigiert. Ursprünglich hieß es mal, müsste man den Beitragssatz auf 28 Prozent erheben, jetzt sind sie bei 25,2. Das wäre eine Entlastung für die Arbeitnehmer, die zahlen nämlich bei der jetzigen Situation rund 17 Prozent, die Arbeitnehmer zahlen nur 10 Prozent. Und wenn unser Vorschlag durchkommt, dann zahlen die Arbeitnehmer die Hälfte von 25,2, also deutlich weniger als jetzt. Nur die armen Unternehmer werden etwas mehr belastet. Alles sorgfältig durchgerechnet.

Wagner: Wir haben nach Kosten gefragt.

Lafontaine: Ich habe Ihnen gerade 25,2 Prozent gesagt.

Deppendorf: Prozent, aber in Milliarden?

Lafontaine: Rund ein Prozent sind ca. zehn Milliarden. Sie sind also dann bei 52 Milliarden Mehrausgaben und ich habe Ihnen gerade gesagt, wie das alles zu finanzieren ist. Hier geht es sogar nur um eine Umfinanzierung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern und der Rest wäre eben über die Steuern zu finanzieren. Wie in allen anderen Saaten Europas. Welch kindische Einstellung ist das - ich muss das mal sagen - was in allen Staaten Europas geht, geht nicht bei uns.

Wagner: Aber diese 50 Milliarden, die erwähnen Sie, um die Rentenkassen zu füllen, die erwähnen Sie, um Hartz IV zu bezahlen, die erwähnen Sie für Bildungsausgaben, das sind in Wirklichkeit 250 Milliarden.

Lafontaine: Sie können sich eine goldene Uhr verdienen - ich habe es Ihnen so oft angeboten, jedem neoliberalen Journalisten, jedem neoliberalen Professor und jedem neoliberalen Politiker - wenn er folgenden Satz widerlegt: Alle Kürzungen der letzten Jahre wären überflüssig gewesen, wenn wir nur die durchschnittliche Steuerabgabenquote Europas hätten.

Wagner: Das Finanzministerium sagt das genau Gegenteil, ich will es nur mal sagen.

Lafontaine: Das Finanzministerium muss dann die Rechnungen vorlegen, ich habe noch keine einzige gesehen, sie müssten dann auch Herrn Bofinger widerlegen.

Deppendorf: Herr Lafontaine, Sie, Lothar Bisky - wir kommen zu einem ganz anderen Thema - Gregor Gysi und Herr Bartsch, gelten ja als gemäßigte Reformer. Es gibt aber einige Extremisten in Ihrer Partei...

Lafontaine: ...ein wütender Reformer.

Deppendorf: Sie sind der wütende Teil der Gemäßigten. Es gibt aber Leute in Ihrer Partei, die unterstützen die kolumbianische Drogen- und Geiselnehmerorganisation FARC, der BND wird mit der Gestapo verglichen. Sie schweigen dazu. Warum?

Lafontaine: Ich kann ja jetzt was dazu sagen. Sie sehen, ich schweige gar nicht dazu. Die FARC wurde auch von der Europäischen Union von der Liste der terroristischen Organisationen gestrichen. Insofern war ein solcher Antrag auch der Linken im Deutschen Bundestag. Also, Sie können beruhigt sein, die Europäische Union arbeitet nicht mit der Drogenmafia und irgendwelchen, wie soll ich mal sagen, unseriösen Organisationen zusammen. Hier ging es darum, einen Beitrag zu leisten, dass sich die Dinge in Südamerika verbessern und da ist ja einiges auf positivem Wege. Ich habe das auch gehört von dem Großpolitiker Huber, wir würden mit der FARC zusammenarbeiten. Dann wäre die Europäische Union terroristisch und das wagt Herr Huber vielleicht nicht noch einmal zu wiederholen.

Wagner: Nun haben Sie haben einmal den amerikanischen Präsidenten Bush als Terroristen bezeichnet.

Lafontaine: Richtig und dabei bleibe ich auch.

Wagner: Gilt das eigentlich auch für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Obama, der ja auch seine Truppen in Afghanistan verstärken will?

Lafontaine: Sehen Sie, alle die über Terrorismus sprechen, schenken sich die simple Frage: Was verstehe ich unter Terrorismus? Das muss ich ja sagen. Und nun hat der Bundestag, Gott sei Dank, ein Gesetz beschlossen, dass klar sagt, was Terrorismus ist. Und da steht drin: Terrorismus ist die rechtswidrige Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele. Nach diesem Kriterium ist Herr Bush ein Terrorist, denn der Irak-Krieg ist in brutaler Form rechtswidrig und nach diesem Kriterium ist jeder, der Kriege führt, die das Völkerrecht verletzen, ein Terrorist. Das habe ich nicht beschlossen, sondern der Deutsche Bundestag.

Wagner: ...und Obama?

Deppendorf: ...wenn er noch mehr Soldaten nach Afghanistan schicken würde.

Lafontaine: Wenn diese Kriegsführung weiter geht, die das Völkerrecht massiv verletzt, auch das humanitäre Völkerrecht, dann trifft das Kriterium des Deutschen Bundestages zu. Ich verstecke mich jetzt mal hinter dem Deutschen Bundestag, Sie sehen, wie raffiniert ich das angehe. Der Deutsche Bundestag hat das festgestellt, dass alle, die das machen, das Kriterium des Terrorismus erfüllen.

Wagner: Aber Sie haben das Wort "wenn" gesagt. Ist es eben das, wie Afghanistan geführt wird und mit welchen Zielen und mit welchen Opfern, ist ja bekannt, nochmal die Nachfrage...

Lafontaine: Selbstverständlich ist das ein terroristischer Krieg, denn dort werden unschuldige Menschen in großem Umfang umgebracht. Das ist Terrorismus.

Wagner: Aber da es UNO-Beschlüsse gibt...

Deppendorf: Der Auslöser waren die Taliban, Herr Lafontaine...

Lafontaine: Es gibt keinen UNO-Beschluss dort Zivilisten zu ermorden. Da irren Sie sich ganz gewaltig.

Wagner: Das ist eine demagogische Verfälschung.

Lafontaine: Nein, das ist keine demagogische Verfälschung.

Wagner: Das ist eine absolute demagogische Verfälschung.

Lafontaine: Ihnen passt es nur nicht, wenn Sie widerlegt werden.

Wagner: Ich werde nicht widerlegt

Lafontaine: Doch, Sie werden widerlegt. Tausende unschuldige Zivilisten kommen ums Leben dort und ich bleibe dabei: Wir haben dort nichts verloren und es gibt keine Rechtfertigung für dieses Morden. Und wir züchten da den Terrorismus groß, nichts anderes machen wir.

Wagner: Dass alle andere Nationen - oder die meisten anderen Nationen - anderer Auffassung sind, kümmert Sie nicht?

Lafontaine: Es sind viele Nationen ganz anderer Auffassung. Sie dürfen nicht nur die westliche Brille auf der Nase haben.

Deppendorf: Warum hört man eigentlich von Ihnen und von der Linken nichts, jetzt auch im Rahmen der Olympischen Spiele, gegen die Internet-Zensur und gegen die Einschränkungen der Demonstrationsfreiheit in China?

Lafontaine: Wir sind gegen jede Form von Zensur, wir sind gegen jede Form der Einschränkung demokratischer Rechte überall auf der Welt. Insofern kritisieren wir natürlich auch diese Vorgehensweise Chinas.

Wagner: Nochmal ein Beispiel, Populismus wird Ihnen ja immer wieder vorgeworfen.

Lafontaine:...Na, Sie!

Wagner: Wir sind ja nicht allein. Der Vorwurf ist Ihnen vertraut. Tun Sie doch nicht so, als wenn er unvertraut wäre. Nun könnte man sagen, dass es populistisch, ein wenig realitätsfern ist, den Mindestlohn auf acht Euro hoch zu setzen. Ihr Parteifreund Brie hat gesagt, dass diese acht Euro nie von einem Friseur in Mecklenburg bezahlt werden können. Da hat er doch Recht?

Lafontaine: Sehen Sie, wir sind hier nicht weit von Frankreich und da werden Mindestlöhne von 8,44 Euro bezahlt. Wollen Sie ernsthaft behaupten, das ginge in Deutschland nicht? Und wenn Herr Brie das formuliert hat für den Osten, dann verstehe ich die Sorge, die dahinter steht, aber er übersieht die ökonomischen Zusammenhänge. Solange im Osten Löhne gezahlt werden von 3,80 Euro oder so, dann ist das natürlich schwer. Wenn aber im Osten 8,44 Euro gezahlt werden, dann gehen die Leute auch mal wieder zum Friseur. Das sind die ökonomischen Zusammenhänge.

Deppendorf: Herr Lafontaine, nach den Europawahlen im nächsten Jahr wird Ihr bisheriger Co-Vorsitzender Bisky aufhören, er wird ins Europaparlament wechseln. Werden Sie dann alleine an der Spitze stehen wollen oder wird es wieder eine Doppelspitze geben?

Lafontaine: Es ist sehr wahrscheinlich, dass es wieder eine Doppelspitze geben wird. Wir sind bemüht, stärker Frauen in der Spitzenverantwortung zu haben, wir haben derzeit auf der Stellvertreter-Ebene viele Frauen, aber natürlich ist die Diskussion berechtigt, auch in der Spitze Frauen zu haben. Aber jetzt sind wir noch weit davon weg, wenn Sie jetzt fragen, wer oder wen, werde ich Ihnen keine Antwort geben.

Wagner: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Lafontaine. Das war es für heute, herzlichen Dank für Ihr Interesse. Am kommenden Sonntag wird der Bericht aus Berlin ausfallen. Und am 24. August werden wir dann im nächsten Sommerinterview den FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle begrüßen.