Steuerpolitik paradox

16.05.2008 / Von Rudolf Hickel, Neues Deutschland

»Die wachsende Steuerlast im unteren Bereich gerät wegen des verabsolutierten Ziels ›ausgeglichener Haushalt‹ zum Tabu.«

Der massive Streit über den steuerpolitischen Kurs der Bundesregierung ist unübersehbar. Da legt die CSU eine Reform zur Einkommensbesteuerung vor und stößt auf Protest bei CDU und SPD. Ohne ernsthafte Überprüfung dieser vorgeschlagenen Steuersenkung vor allem für die Lohnbezieher im unteren Einkommensbereich wird, einem Pawlowschen Reflex vergleichbar, von der Mehrheit der Niedergang seriöser Finanzpolitik beschworen. Sicherlich versucht die CSU mit ihrem steuerpolitischen Programm ihre Position in der bayerischen Landtagswahl zu verbessern. Der berechtigte Vorwurf wahltaktischen Opportunismus darf jedoch die inhaltliche Diskussion nicht erübrigen. Am Ende hat die extrem aggressive Ablehnung einen ganz anderen Grund: Steuersenkungen werden wegen der Gefahr, die Staatsverschuldung könne steigen, verteufelt. Die wachsende Steuerlast für die Lohnsteuerzahler im unteren Bereich gerät wegen des verabsolutierten Ziels »ausgeglichener Haushalt« zum Tabu.

Dies muss durchbrochen werden. Abgesehen von der Erhöhung des Kindergeldes sowie der verfassungsrechtlich angemessenen Reaktivierung der Entfernungspauschale konzentriert sich das Konzept der CSU auf einen altbekannten Skandal. Durch die Art des Steuertarifs steigt mit wachsendem Arbeitseinkommen die durchschnittliche Steuerbelastung der Lohnbezieher zwischen dem Eingangsteuersatz von 15 Prozent und dem Spitzensteuersatz von 42 Prozent vor allem im unteren Bereich schnell an. Dieser Effekt wird als »heimliche« bzw. »kalte Progression« bezeichnet. Nach einer groben Schätzung führt im Durchschnitt eine Lohnerhöhung um ein Prozent zur steuerlichen Mehrbelastung von zwei Prozent. Im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums wurde geschätzt, dass durch diese heimliche Progression von 2006 bis 2012 Mehreinnahmen über 63 Milliarden Euro in die öffentlichen Kassen fließen werden. Der Anstieg der Steuerlast bei wachsendem Einkommen innerhalb dieser Zone ist nicht nur ungerecht. Weil sich zusätzliche Arbeit weniger lohnt, ist diese Mehrbelastung auch leistungsfeindlich. Der Reformbedarf liegt auf der Hand.

Die Entlastungswirkungen der CSU-Vorschläge für typische Einkommensgruppen wären enorm: Die Arzthelferin zahlt 465 Euro und der Polizeimeister in der Besoldungsgruppe A 7 506 Euro weniger an Steuern.

Der Ausgangspunkt ist richtig, doch die CSU verheddert sich bei der Finanzierung der Steuerausfälle. Spekuliert wird auf eine auch durch steigenden privaten Konsum eintretende Stärkung der Binnenwirtschaft mit der Folge höherer Steuereinnahmen. Diese Selbstfinanzierung ist zweifelhaft. Der CSU fehlt der Mut, ein Gesamtkonzept vorzulegen. Erhöht werden müsste der Spitzensteuersatz von derzeit allgemein 42 Prozent auf mindestens 45 Prozent. Darüber hinaus sollten funktionslose Steuerprivilegien für Unternehmen und Einkommensstarke abgebaut werden – etwa die Steuerbefreiung von Gewinnen aus dem Verkauf inländischer Beteiligungen durch Aktiengesellschaften. Schließlich bieten die Reaktivierung der Vermögensteuer sowie eine schärfere Erbschaft- und Schenkungsteuer Finanzierungspotenziale.

Hierbei entpuppt sich die CSU – zusammen mit den anderen Regierungsparteien – als Schutzpatron der Einkommensstarken und der Gewinnwirtschaft. Ziel muss es sein, eine gerechte, leistungsorientierte Verteilung der Steuerlast herzustellen und gleichzeitig die Finanzierungsbasis für öffentliche Aufgaben, etwa für ein Zukunftsinvestitionsprogramm, zu stärken.