Idealer Nährboden

Vorabdruck. Die neoliberale Modernisierung des Kapitalismus als Wegbereiterin für rassistische Ausgrenzung und Standortnationalismus

17.03.2008 / Christoph Butterwegge, aus: Junge Welt, stark gekürzte Fassung des Beitrags von Christoph Butterwegge aus dem von ihm mitherausgegebenen Buch »Neoliberalismus. Analysen und Alternativen«

Aus einer ökonomischen Theorie, die in den 1930er Jahren als Reaktion auf die damalige Weltwirtschaftskrise und den ­Keynesianismus als staatsinterventionistischem Lösungsansatz entstand, hat sich der Neoliberalismus zu einer Sozialphilosophie entwickelt, welche die ganze Gesellschaft im Rahmen eines strategischen Plans nach dem Modell von Markt und Leistungskonkurrenz (um-)gestalten will, wobei ihr der Wettbewerb zwischen (arbeitenden) Menschen, Unternehmen, Regionen und Nationen, kurz: »Wirtschaftsstandorten« unterschiedlicher Art, als Wundermittel zur Lösung aller Probleme erscheint. Wenn der Neoliberalismus eine Weltanschauung, ja eine politische Zivilreligion ist, welche die Hegemonie, d. h. die öffentliche Meinungsführerschaft erobert hat, stellt sich die Frage nach seinem Verhältnis zum Rechtsextremismus bzw. -populismus. Dieser wiederum bestimmt seine politisch-programmatische Einstellung zum Markt bzw. zum (So­zial-)Staat nicht im luftleeren Raum, sondern mit Rücksicht auf die jeweiligen Herrschaftsverhältnisse, institutionellen Gegebenheiten und Geistesströmungen wie den Neoliberalismus. Hier wird untersucht, ob letzterer vermittelt über Sozialdarwinismus, Wohlstandschauvinismus und eine Ideologie, die ich »Standortnationalismus« nenne als Steigbügelhalter des Rechtspopulismus fungiert, welche ökonomischen, politischen und sozialen Veränderungen diesem Prozeß zugrunde liegen und wie ihm begegnet werden kann.

Neoliberale Hegemonie als Gefahr

Wer eine bestimmte Form der Ökonomie verabsolutiert, wie das Marktradikale tun, negiert die Politik im allgemeinen und die Demokratie im besonderen, weil sie Mehrheitsentscheidungen zum Fixpunkt gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse machen und nicht das Privateigentum an Produktionsmitteln. Selbst das Grundgesetz der Bundesrepublik ist Neoliberalen ein Dorn im Auge, gilt es doch, sein Sozialstaatsgebot außer Kraft zu setzen und dem Markt nicht nur Vor-, sondern auch Verfassungsrang einzuräumen. Dabei stören demokratische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse, die mehr Zeit in Anspruch nehmen als dezisionistische Maßnahmen, z. B. das Prinzip der Gewaltenteilung und föderale Strukturen, die Macht beschränken, sowie der Konsenszwang eines Parteienstaates nur.

Wo die permanente Umverteilung von unten nach oben mit dem Hinweis auf Globalisierungsprozesse als für den »eigenen Wirtschaftsstandort« nützlich, ja unbedingt erforderlich legitimiert wird, entsteht ein Diskriminierung begünstigendes Klima. Je mehr die ökonomische Konkurrenz nach neoliberalen Restrukturierungskonzepten im Rahmen der »Standortsicherung« verschärft wird, umso leichter läßt sich die kulturelle Differenz zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft politisch aufladen und als Ab- bzw. Ausgrenzungskriterium gegenüber Mitbewerbern um Arbeitsplätze sowie wohlfahrtsstaatliche Transferleistungen instrumentalisieren.

Noch in einer anderen Hinsicht weisen die Denkstrukturen des Neoliberalismus und des Rechtsextremismus signifikante Übereinstimmungen auf: Beide verabsolutieren geradezu die Höchstleistung, sei es des einzelnen Marktteilnehmers oder der »Volksgemeinschaft« insgesamt, und glorifizieren die Konkurrenz, in welcher sich der Starke gegenüber dem Schwachen durchsetzen soll. Darin wurzelt die Notwendigkeit einer (sozialen) Selektion, die mit dem Prinzip der Gleichheit bzw. Gleichwertigkeit aller Gesellschaftsmitglieder im Weltmaßstab unvereinbar ist.

Die von Neoliberalen ins Werk gesetzten Privatisierungsmaßnahmen stärken sowohl die gesellschaftliche Bedeutung wie auch den politischen Einfluß des Kapitals. »Privat heißt, daß alle zentralen Entscheidungen jedenfalls prinzipiell von Leuten und Gremien gefällt werden, die sich nicht öffentlich verantworten müssen.«1 Wenn deutsche Großstädte ihren kommunalen Wohnungsbestand (wie Dresden) oder ihre Stadtwerke (wie Düsseldorf) an Finanzinvestoren oder Großkonzerne verkaufen, um schuldenfrei zu werden, geben sie die Entscheidungsgewalt über das frühere Eigentum auf. Anstelle demokratisch legitimierter Stadträte, die bisher dafür zuständig waren, bestimmen nunmehr Kapitaleigner bzw. die von ihnen bestellten Manager, welche Wohnungs- bzw. Stadtentwicklungspolitik oder welche Energiepolitik gemacht wird. Somit läuft Privatisierung auf Entpolitisierung, diese wiederum auf Entdemokratisierung hinaus, weil der Bourgeois nunmehr auch jene Entscheidungen trifft, die eigentlich dem Citoyen, dem Gemeinwesen sowie seinen gewählten Repräsentanten vorbehalten bleiben sollten. Letztlich schließen sich das Prinzip »Markt« und das Prinzip »öffentliche Aufgaben in einem demokratischen Staat« wechselseitig aus.

Regierungen degenerieren immer mehr zu bloßen Sachwalterinnen der Verwertungsbedürfnisse »ihrer« Wirtschaftsstandorte, was sie veranlaßt, oft überhastet Reformen auf den Weg zu bringen, die der »Standortsicherung« bzw. den dahintersteckenden Kapitalinteressen dienen. Die neoliberale Standortlogik orientiert sich nicht an den (arbeitenden) Menschen, sondern an den internationalen Finanzmärkten. Sie erlaubt nur Standortpolitik, was auf ein stark reduziertes Politikverständnis hindeutet. Ein betriebswirtschaftlicher Tunnelblick verstellt dem Betrachter die Sicht auf den Gesamtzusammenhang, d. h. die politischen, sozialen und kulturellen Grundlagen der herrschenden Produktionsweise, und trübt die Einsicht, daß man Markt, Leistung und Konkurrenz nicht verabsolutieren darf.

Der neoliberale Wettbewerbswahn fördert die politische Rechtsentwicklung in vielen Gesellschaftsbereichen, etwa an den Hochschulen, und führt zur Ab- bzw. Ausgrenzung von Schwächeren, Minderheiten und sogenannten Randgruppen. Durch seine Fixierung auf den Leistungswettbewerb mit anderen Wirtschaftsstandorten schafft der Neoliberalismus einen idealen Nährboden für Standortnationalismus, Sozialdarwinismus und Wohlstandschauvinismus, die zu den verheerendsten Begleiterscheinungen eines Denkens gehören, das sich mit dem »eigenen« Wirtschaftsstandort total identifiziert und dessen Entwicklungschancen auf den Weltmärkten hypostasiert. »Die deutsche Variante des Neoliberalismus verbindet (...) globale Elemente mit einer neurechten Lesart der Verteidigung des Nationalstaates.«2

Rechte Globalisierungskritik

Die neoliberale Modernisierung bietet dem Rechtsextremismus gute Entfaltungsmöglichkeiten, weil sie nicht nur die Konkurrenzsituation zwischen den einzelnen Wirtschaftsstandorten und -subjekten verschärft, sondern auch zu einer sozialen Polarisierung, einer Prekarisierung der Arbeit sowie einer Pauperisierung großer Teile der Bevölkerung bei gleichzeitiger Explosion von Unternehmensgewinnen und Aktienkursen, d. h. einer weiteren Konzentration von Kapital und Vermögen bei Wohlhabenden und Reichen führt.

Durch die systematische Ökonomisierung bzw. Kommerzialisierung aller Gesellschaftsbereiche, deren Restrukturierung nach dem Marktmodell und die Generalisierung seiner betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien und Konkurrenzmechanismen, wie sie beispielhaft die Unternehmensberatungsfirma McKinsey verkörpert, sollen nicht nur neue Profitquellen erschlossen, sondern auch rigidere Ordnungsprinzipien implementiert werden. Man kann von einem »Wirtschaftstotalitarismus« sprechen

Der soziale Klimawandel, für den »Hartz IV« als berühmt-berüchtigter Höhepunkt der »rot-grünen« Reformpolitik steht, die CDU/CSU und SPD in der großen Koalition eher noch verschärft fortführen, hat die Wirkungsmöglichkeiten für Rechtsextremisten verbessert. Wut und Verzweiflung unter den davon Betroffenen erleichterten es beispielsweise örtlichen Gliederungen der NPD, sich im Vorfeld der Beschlußfassung über das »Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« (landläufig unter »Hartz IV« bekannt; d. Red.) an Montagsdemonstrationen in Ostdeutschland zu beteiligen, ohne immer von den Veranstaltern des Feldes verwiesen oder von den Teilnehmern vertrieben zu werden, und die wachsende Verunsicherung von Langzeitarbeitslosen erlaubte es ihnen, Funktionäre als »Sozialberater« einzusetzen.

Folgerichtig rückte die völkische Kapitalismuskritik gegen Ende des 20./Anfang des 21. Jahrhunderts wieder stärker in das Blickfeld der Rechtsextremisten, was sich in einem Strategiewechsel von Gruppierungen wie der NPD und einer thematischen Schwerpunktverschiebung von der »Ausländer-« zur »sozialen Frage« niederschlug. Wirtschaft und Soziales wurden zu dem Politikfeld, auf das sich Agitation und Propaganda fast der gesamten rechtsextremen Szene konzentrierten. Je mehr sich Arbeitslosigkeit, Armut und Abstiegsängste bis in die Mitte der Gesellschaft hinein ausbreiteten und das Leben von Millionen Familien bestimmten, umso stärker konzentrierten sich Rechtsextremisten auf diese Probleme. Sie propagierten eine größere Heimatverbundenheit, ein völkisches Zusammengehörigkeitsgefühl und eine nationale Identität als geistig-moralischen Schutzschild gegenüber den Herausforderungen der Globalisierung, massenhafter Migration und kultureller »Überfremdung«, sei es durch Juden oder durch Muslime. Freilich hat die soziale Frage im rechtsextremen Politikmodell keinen Eigenwert, ist vielmehr der nationalen Frage, verstanden als Auftrag zur Bildung einer »Volksgemeinschaft«, untergeordnet.

»Globalisierung« fungiert als Schlüsselkategorie und darüber hinaus neben dem demographischen Wandel als zweite »große Erzählung« unserer Zeit, die Neoliberale benutzen, um ihre marktradikale Ideologie zu verbreiten und den Um- bzw. Abbau des Sozialstaates zu legitimieren. Daß sich Rechtsextremisten bzw. -populisten und Neonazis auf die Globalisierung, insbesondere auf deren unsoziale Schattenseiten beziehen, wurzelt nur zum Teil in Zeitgeistopportunismus. Wenn viele Millionen Menschen von Arbeitslosigkeit und/oder Armut betroffen sind, können auch solche Gruppierungen dazu nicht schweigen. Neben (partei-)taktischen Motiven ist dafür entscheidend, daß die objektiven Verhältnisse ultrarechten Organisationen gar keine andere Wahl lassen, als sich damit inhaltlich auseinanderzusetzen und Stellung zu beziehen. Gleichzeitig wissen Neonazis sehr genau, daß sonst womöglich die (sich in der Bundesrepublik seit geraumer Zeit als Partei neu formierende) Linke das Thema besetzt und ihnen weniger Möglichkeiten zur Nachwuchsrekrutierung bleiben, wenn sie es gänzlich meiden und auf andere Felder ausweichen würden.

Widersprüchlichliches Verhältnis

Herbert Schui hat in einer Schrift mit dem Titel »Wollt ihr den totalen Markt?« zahlreiche Parallelen zwischen dem Neoliberalismus und dem Rechtsextremismus herausgearbeitet und deren Geistesverwandtschaft nachgewiesen.3 Neoliberale reduzieren den Menschen auf seine Existenz als Marktsubjekt, das sich im Tauschakt selbst verwirklicht. Letztlich zählt für sie nur, wer oder was ökonomisch verwertbar und gewinnträchtig ist. Aufgrund dieses ausgeprägten Utilitarismus, seines betriebswirtschaftlichen Effizienzdenkens, seiner Leistungsfixierung und seines Wettbewerbswahns bietet der Neoliberalismus nicht bloß Topmanagern ihren Alltagserfahrungen im Berufsleben entsprechende Orientierungsmuster, sondern auch ideologische Anschlußmöglichkeiten an den Rechtsextremismus bzw. -populismus. Populistisch ist jene Gruppierung innerhalb des Rechtsextremismus wie des Brückenspektrums zwischen diesem und dem (National-)Konservatismus zu nennen, die besonders das verunsicherte Kleinbürgertum anspricht, dessen Vorurteile gegenüber dem Wohlfahrtsstaat nährt, dabei wirtschaftsliberale Ziele verfolgt, Minderheiten abwertende Stammtischparolen aufgreift, den Stolz auf das eigene Kollektiv, die Nation bzw. deren Erfolge auf dem Weltmarkt (Standortnationalismus) mit rassistischer Stimmungsmache oder sozialer Demagogie verbindet und die verständliche Enttäuschung vieler Menschen über das Parteien- bzw. Regierungsestablishment für eine Pauschalkritik an der Demokratie schlechthin nutzt.

Der jüngste Aufstieg des Rechtspopulismus hat sich im Spannungsfeld von neoliberaler Modernisierung und antiglobalistischer Gegenmobilisierung vollzogen. Während der 80er Jahre lehnte sich der Rechtspopulismus fast überall in Europa an den Neoliberalismus an, überbot dessen Marktradikalismus teilweise sogar und fungierte damit als Türöffner für den Standortnationalismus. Hatte der Nationalsozialismus auf Traditionsbewußtsein, überkommene Werte und den Mythos des Reiches gepocht, setzte der moderne Rechtspopulismus eher auf Innovationsbereitschaft, geistige Mobilität und den Mythos des Marktes. Statt fremder Länder wollte er neue Absatzmärkte erobern. Die ultrarechte Wertetrias, so schien es fast, bildeten nicht mehr »Führer, Volk und Vaterland«, sondern Markt, Leistung und Konkurrenzfähigkeit.

Anfang der 90er Jahre äußerten die europäischen Rechtspopulisten deutlicher Vorbehalte gegenüber einer Form der Globalisierung, die Massenarbeitslosigkeit produzierte und gleichzeitig die Zuwanderung von Hochqualifizierten forcierte, um den jeweiligen Industriestandort noch leistungsfähiger zu machen. Rechtspopulisten profilierten sich als Interessenvertreter der Arbeitnehmer und Erwerbslosen, die von den sozialdemokratischen (Regierungs-)Parteien verraten worden seien. Teilweise feierten sie Wahlerfolge mit ungewohnten Tiraden gegen die Öffnung der (Arbeits-)Märkte, den Wirtschaftsliberalismus, Managerwillkür und Standortentscheidungen multinationaler Konzerne. Geschickt verbanden Rechtspopulisten unter Hinweis auf negative Folgen der Globalisierung die soziale mit der »Ausländerfrage«, wodurch sie Anschluß an die Massenstimmung, neoliberale Sozialstaatskritik und hegemoniale Diskurse gewannen.

Man kann beim Rechtspopulismus keinen durchgängigen Schwenk weg vom Neoliberalismus erkennen, sondern höchstens ein zeitweiliges Schwanken im Hinblick darauf, wie bestimmte Wählerschichten am besten zu erreichen wären. Daß der Rechtspopulismus aus wahltaktischen Gründen programmatische Konzessionen an breitere Schichten (Arbeitermilieu, sozial Benachteiligte, »Modernisierungsverlierer«) machen mußte, bedeutet natürlich keinen prinzipiellen Bruch mit dem Marktradikalismus. »Selbst dort, wo neue rechtsradikale Parteien ihre wirtschaftsliberale Rhetorik einschränken, bedeuten die Konsequenzen ihres Aufstiegs Wasser auf die Mühlen neoliberaler Sozialstaatskritik.«4

Hinsichtlich der Hauptfunktion beider Geistesströmungen, der Legitimationsbeschaffung und der Herrschaftssicherung, ergeben sich frappierende Ähnlichkeiten. Nicht bloß der Rechtsextremismus will hinter die demokratischen Errungenschaften von 1789 zurück und schafft dafür die Voraussetzungen, wenn er Machtpositionen erringt, sondern auch ein Marktradikalismus, der die Menschen politisch entmündigt, indem er sie auf ihren Status als »homines oeconomici« beschränkt. »Neoliberalismus ist militante Gegenaufklärung: Die Menschen sollen ihre Lage nicht durch vermehrtes Wissen in einer kollektiven, bewußten Anstrengung in den Griff bekommen. Denn dies würde mit der Herrschaft aufräumen, die der Neoliberalismus mit all seinen Kunstgriffen zu legitimieren sucht.«5

Die wichtigste Schnittmenge zwischen Neoliberalismus und Rechtspopulismus liegt in der Überzeugung, daß man auf den »Wirtschaftsstandort D« stolz sein und ihn stärken müsse, um den Wohlstand aller zu mehren. Den festen Glauben an die Überlegenheit des »eigenen« Wirtschaftsstandortes teilen selbst prominente Gewerkschafter, die sich für Antifaschisten halten, mit den meisten Rechtspopulisten. Genauso, wie man neoliberale Grundpositionen nicht nur innerhalb der FDP findet, sondern weit darüber hinaus, beschränken sich standortnationalistische Überzeugungen keineswegs auf das Unternehmerlager. »Daß Deutschland wieder Spitze sein müsse, ist ein gängiger Topos des öffentlichen Diskurses, in den auch Gewerkschaftsführer nicht selten einstimmen.«6

Neoliberalismus ist nicht mit Standortnationalismus gleichzusetzen, als gesellschaftspolitisches Großprojekt aber nur schwer ohne ihn zu realisieren. Wenn sich der Neoliberalismus mit dem Nationalkonservatismus amalgamiert, resultiert daraus ein aggressiver Standortnationalismus, der geradezu als politisch-ideologische Steilvorlage für den Rechtsextremismus wirkt. Das fast alle Lebensbereiche beherrschende Konkurrenzdenken führt zur Ausgrenzung und Abwertung von Leistungsschwächeren, die im wirtschaftlichen Wettbewerb auf der Strecke bleiben, die Gewinnmargen eines Unternehmens senken, den Sozialstaat angeblich unbezahlbar machen und somit als menschlicher Ballast für den »eigenen« Standort wirken.

Standortnationalismus verbindet

Hat der Neoliberalismus in einer Gesellschaft die Hegemonie errungen und die Standortlogik fest im öffentlichen Bewußtsein verankert, rückt die Sicherung, Wiedergewinnung oder Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des »eigenen« Wirtschaftsstandortes quasi von selbst in den Mittelpunkt allen politischen Handelns. Mat­thias Matussek konstatiert in seinem Bestseller »Wir Deutschen. Warum uns die anderen gern haben können«, ohne Nationalstolz sei eine Wirtschaftsnation nicht erfolgreich.

Obwohl die Bundesrepublik seit längerem steigende Rekordexportüberschüsse erzielt, behauptet Henrik Müller (geschäftsführender Redakteur des manager-magazins; d. Red.) allen Ernstes, daß sie bisher nicht zu den Gewinnern des »globalen Wettbewerbs« gehöre, was er auf mangelnden Patriotismus für ihn ein zentraler Erfolgsfaktor im Wirtschaftsleben zurückführt: »Die Deutschen haben Probleme, sich dem Wettbewerb der Nationalstaaten zu stellen, weil sie Schwierigkeiten haben, sich als Nation zu begreifen und entsprechend zu handeln ja, den Wettbewerb der Staaten überhaupt zu akzeptieren.« Der zitierte Wirtschaftspublizist beklagt, daß Deutschland die »nationale Identität« fehle, wie sie für andere Völker selbstverständlich sei: »Seit den Verbrechen unter Hitler ist alles Deutsche diskreditiert. Auch heute, da die allermeisten Täter des Dritten Reichs tot sind, ist es vielen Bundesbürgern unmöglich, sich aus vollem Herzen und mit gutem Gefühl als Deutscher zu empfinden, sich gar offen zum Deutschsein zu bekennen.«7

Braucht ein Land im Zeitalter der Globalisierung die nationale Identität als »Gesellschaftskitt«, um als Wirtschaftsstandort leistungsfähig und erfolgreich sein zu können? Was als »Wirtschaftspatriotismus« erscheint, der laut Müller die ökonomische Leistungsfähigkeit eines Landes und seine Erfolge auf den Weltmärkten gewährleistet, ist nur eine für den modernen Finanzmarktkapitalismus charakteristische, von Teilen des organisierten Rechtsextremismus radikalisierte Form des Nationalismus, gepaart mit Wohlstandschauvinismus. Dieser übernimmt Mathias Brodkorb zufolge jene Rolle, die der Antisemitismus für NS-Agitatoren spielte: »Er steht im Zentrum des öffentlichen rechten Diskurses und stellt die wichtigste Schnittstelle zum Alltagsdenken der Bevölkerung dar.«8 Gleichzeitig hat der Antisemitismus wieder Hochkonjunktur, was auf die ökonomische Globalisierung zurückzuführen ist, die man als Verschwörung »der Ostküste« und US-Amerikanisierung der Welt interpretiert.

Die für den Rechtsextremismus konstitutiven Aus- bzw. Abgrenzungsideologien, vor allem Rassismus, Nationalismus und Sozialdarwinismus, sind in letzter Konsequenz auf die Konkurrenz zurückzuführen, welche eine notwendige wohlgemerkt: keine hinreichende Bedingung für die Herausbildung entsprechender Handlungsanleitungen und Legitimationskonzepte zur Ausgrenzung von (ethnischen) Minderheiten bzw. Leistungsschwächeren darstellt. Die auch von seinen schärfsten Kritikern bewunderte Produktivität, Flexibilität und Vitalität des kapitalistischen Wirtschafts- bzw. Gesellschaftssystems beruht auf der Konkurrenz, die seine Mitglieder nicht ruhen läßt, sie vielmehr zum permanenten Kampf »jeder gegen jeden« zwingt und als stärkste Triebkraft wissenschaftlich-technischer Innovationen und unternehmerischer Investitionen fungiert. Dysfunktional wirkt dagegen, daß sich die soziale Kohäsion einer Industrienation im »Säurebad der Konkurrenz« (Karl Marx) zersetzt, Ideale wie Solidarität, Gerechtigkeit und Humanität auf der Strecke bleiben und eine systemimmanente Selektion stattfindet, die eine vertrauensvolle Kooperation sogar zwischen Angehörigen derselben Bevölkerungsschicht verhindert, zumindest aber erschwert.

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1 Narr, Wolf-Dieter: Zukunft des Sozialstaats als Zukunft einer Illusion?, Neu-Ulm 1999, S. 26
2 Hansen, Ralf: Rückkehr des Leviathan, in: Joachim Bischoff et al. (Hg.), Das Ende des Neoliberalismus?, Hamburg 1998, S. 204
3 Schui, Herbert et al.: Wollt ihr den totalen Markt? Der Neoliberalismus und die extreme Rechte, München 1997
4 Kitschelt, Herbert: Politische Konfliktlinien in westlichen Demokratien, in: Dietmar Loch/Wilhelm Heitmeyer (Hg.), Schattenseiten der Globalisierung, Frankfurt/Main 2001, S. 439
5 Schui, Herbert: Rechtsextremismus und totaler Markt, in: Peter Bathke/Susanne Spindler (Hg.), Neoliberalismus und Rechtsextremismus in Europa, Berlin 2006, S. 54
6 Zeuner, Bodo et al.: Gewerkschaften und Rechtsextremismus, Münster 2007, S. 20
7 Müller, Henrik: Wirtschaftsfaktor Patriotismus, Frankfurt/Main 2006, S. 16 u. 200
8 Brodkorb, Mathias: Metamorphosen von rechts, Münster 2003, S. 84___________

Stark gekürzte Fassung des Beitrags von Christoph Butterwegge aus dem von ihm mitherausgegebenen Buch »Neoliberalismus. Analysen und Alternativen«, VS Verlag Wiesbaden, 420 S., 24,90 Euro

Buchpräsentation in der Bundespressekonferenz in Berlin am 18.3., um 10 Uhr; gemeinsam mit dem ver.di-Bundesvorsitzenden Frank Bsirske, der Juso-Bundesvorsitzenden Franziska Drohsel und Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender Die Linke im Bundestag