NOKIA: "Steuerliche Anreize für Verlagerungen abschaffen"

Der Ökonom Gerhard Bosch plädiert für eine neue Förderpolitik, die auf Vernetzung und nicht auf die Ansiedlung großer Konzerne setzt

10.02.2008 / Von Hartmut STEIGER, vdi Nachrichten

VDI nachrichten, Düsseldorf, 25. 1. 08, has - Nur Produkte und Verfahren, die andere nicht leicht imitieren können, böten Schutz vor Abwanderungen, meint der Ökonom Gerhard Bosch von der Uni Duisburg-Essen. In den vergangenen Jahren habe die Zahl der Standortverlagerungen aber nicht zugenommen, so eine neue Untersuchung. Die meisten Verlagerungen spielen sich innerhalb Deutschlands ab.

Eine Lehre zieht Gerhard Bosch, Ökonom und Leiter des Instituts Arbeit und Qualifikation an der Uni Duisburg-Essen, aus dem Konflikt um die Schließung des Bochumer Nokia-Werkes: Politiker und Bürger sollten nicht mehr darauf vertrauen, dass es sich bei Ansiedlungen großer Konzerne um ein dauerhaftes Engagement handelt, sondern um "befristete Zusagen, die nur für bestimmte Produktzyklen und Abschreibungsperioden gelten." Entscheidend für die Investitionspolitik sei der Renditevergleich, meint der Ökonom.

Für das Ruhrgebiet mit seiner hohen Arbeitslosigkeit, aber auch für die gesamte Wirtschaftspolitik, ist die Schließung des Bochumer Nokia-Werkes ein "herber Rückschlag", meint Bosch. Das Revier könne nicht alleine darauf setzen, große Investitionen aus dem Ausland anzuziehen. Gebraucht würden stattdessen von unten vernetzte Wirtschaftsstrukturen mit Unternehmen, die eine Bindung an die Region haben.

Ein Beispiel dafür ist Dortmund. Dort haben sich Cluster gebildet, z. B. in der Nano- oder Systemtechnik. Das sind Netzwerke von Dienstleistern, Forschungseinrichtungen, Produzenten und Zulieferern, die als Wettbewerber oder Lieferanten miteinander in Verbindung stehen.

Doch Schutz vor Abwanderung bieten Cluster auch nicht, vor allem dann nicht, wenn sie eine gewisse Größe erreicht haben. Die einzige Sicherheit seien, so Bosch, Produkte und Prozesse, die andere nicht imitieren könnten.

Grundsätzlich sei es zwar sinnvoll, die Bindungswirkung von Standortzusagen zu verlängern, aber Bosch ist skeptisch, ob sich das angesichts der harten Konkurrenz auch durchsetzen lässt. Wenn ein Großinvestor mit einer Ansiedlung lockt, "werden alle einknicken", vor allem dort, wo es keine alternativen Arbeitsplätze gibt, befürchtet der Ökonom. Er verlangt aber von der Förderpolitik, dass Leistung und Gegenleistung stärker aneinander gekoppelt werden.

Der Konflikt über die Abwanderung des Bochumer Nokia-Werkes verdränge allerdings, dass es in den vergangenen Jahren keine Zunahme von Verlagerungen gegeben hat, meint Astrid Ziegler vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf.

Eine Verlagerung habe in den vergangenen Jahren nur in 16,4 % aller Betriebe eine Rolle gespielt, so Ziegler. In rund der Hälfte dieser Betriebe wurde seit Anfang 2005 verlagert. Die meisten Verlagerungen - fast 70 % - spielten sich in Deutschland ab, nur 20 % gingen ins Ausland. Fast ein Drittel der seit 2005 verlagerten Betriebe war in ausländischem Besitz. Zu diesem Ergebnis kommt das WSI in seiner repräsentativen Befragung von mehr als 2000 Betriebsräten in Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten.

In einem Fünftel der Betriebe wurde eine zunächst angekündigte Verlagerung zurückgenommen, nachdem die Belegschaft Zugeständnisse gemacht hatte, Druck von Seiten der Öffentlichkeit aufgebaut worden war oder Politiker und Gewerkschafter interveniert hatten. Zudem zeigte sich, dass Verlagerungen nicht immer erfolgreich waren. In 13 % kam es zu einer Rückverlagerung nach Deutschland.

Auch wenn Nokia für die Verlagerung des Bochumer Werkes nach Rumänien keine direkten EU-Hilfen erhält, so profitiert es doch von der Subventionspraxis der Europäischen Union, kritisiert Gerhard Bosch. Verlagerungen würden durch die Verbindung von EU-Fördermitteln und niedrigen Steuersätzen in den neuen EU-Ländern überhaupt erst attraktiv. Nur dank der massiven finanziellen Unterstützung aus Brüssel für den Aufbau der Infrastruktur könnten die Beitrittsländer es sich leisten, extrem niedrige Steuersätze zu erheben, mit denen sie Unternehmen anlocken. So liegt die nominale Belastung von Kapitalgesellschaften in Rumänien bei 16 %, in Deutschland aber bei knapp 30 %. Bosch verlangt eine Harmonisierung der Steuerpolitik innerhalb der EU, mit der steuerliche Anreize für Verlagerungen abgeschafft werden.

Auch wenn die Boykottaufrufe von Politikern den finnischen Konzern finanziell nicht schädigen sollten, glaubt Bosch dennoch, dass Nokia mit der Schließung des Bochumer Werkes einen Imageschaden davontragen werde. Der Ökonom wunderte sich über die zynische Aussage, dass Nokia weiter auf Deutschland als Absatzmarkt, aber nicht mehr als Produktionsstandort setze.

Nach Ansicht von Werner Hammer, Gesamtbetriebsratsvorsitzender von Nokia Deutschland, sei die Schließung des Bochumer Werkes eine Steilvorlage für alle Unternehmen, denen es weniger gut gehe als Nokia.