In Fesseln gelegt

WAHL IN HESSEN-SPD will mit linker Mehrheit in Hessen nichts anfangen

03.02.2008 / Georg Füllberth, Freitag 5/2008

Als Roland Koch zu Beginn der heißen Phase des hessischen Wahlkampfs ein schärferes Vorgehen gegen jugendliche Straftäter mit so genanntem Migrationshintergrund forderte, fürchteten SPD und Grüne, er könne sich in ähnlicher Weise einen unsauberen Erfolg organisieren wie 1999. Dann gingen die Umfragewerte der CDU in den Keller, und Kochs Vorstoß erschien als Fehler. Umso erstaunlicher war, dass er ihn kurz vor dem Wahltag noch einmal wiederholte und der Fraktionsvorsitzende Christean Wagner mit der Idee nachlegte, Ausländer, die "Scheiß-Deutsche" riefen, sollten ausgewiesen werden. Die enormen Verluste der CDU am 27. Januar erscheinen daher als Ergebnis eines Kulturkampfs. Selbst die FAZ hatte den Ministerpräsidenten längere Zeit sanft abgemahnt. Offenbar passte es auch ihr nicht, dass ein Land mit einem Weltflughafen, dem wichtigsten Bankensitz und einer starken Exportindustrie dumpfbackig präsentiert werden sollte.

Damit sind wird schon auf dem Weg vom Überbau zur Basis. Kochs Kraftsprüche hatten nämlich die Tatsache kompensieren sollen, dass er während seiner zweiten Amtsperiode nahezu den gesammelten Öffentlichen Dienst Hessens gegen sich aufgebracht hat. Seine Bildungspolitik empörte Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler und sogar die Schulsekretärinnen. Denen war vom zuständigen Ministerium eine untaugliche Software aufgezwungen worden, die sie zu ständiger Mehrarbeit zwang. Seit der Sparaktion Operation sichere Zukunft verlor Koch sogar die Förster und Polizisten, ganz zuletzt überdies die Richter.

Aufgrund dieser Vorlagen hatte die SPD relativ leichtes Spiel. Ihr Zuwachs wird von Beck nun als Erfolg der neuen Linksoptik seit dem Hamburger Parteitag dargestellt. Da lohnt aber ein Blick auf Niedersachsen. Auch dort war ein Vertreter der Parteilinken Spitzenkandidat. Die SPD verlor deutlich. Ihr Zuwachs in Hessen resultiert nicht nur aus dem Einbruch der Union, sondern aus einem Kraftakt: Die Bundespartei hat alles in dieses Land geworfen, was ihr zur Verfügung stand, einschließlich einer fast schon indezenten Unterstützung durch die neue Spitze der IG Metall.

Die Linkspartei ist nun in drei westdeutschen Länderparlamenten. Damit steht fürs Erste fest, dass die Spaltung des sozialdemokratischen Potenzials eine Tatsache bleibt und auch durch Beck nicht rückgängig gemacht werden konnte. Allerdings ist immer noch nicht klar, ob die Linke im Westen mehr ist als ein Abfallprodukt einer letztlich immer noch verunsicherten SPD. Es war schon atemberaubend zu sehen, wie sie sich in Hessen das Thema Mindestlöhne von Andrea Ypsilanti wegnehmen ließ. Dass mit Willi van Ooyen ein Mann in den Landtag einzieht, der wie nur wenige andere ein jahrzehntelanges außerparlamentarisches Engagement in der Friedensbewegung verkörpert, wird nicht nur ihm selbst eine berechtigte Genugtuung sein.

In der Union dürfte Koch als Kanzler-Prätendent ausscheiden und Wulff aufrücken. Praktisch bedeutet das nicht viel, so lange Angela Merkel so unangefochten bleibt wie bisher.

Nach Bekanntgabe des vorläufigen amtlichen Endergebnisses in Hessen wurde verdächtig hurtig über Neuwahlen spekuliert. Offensichtlich sind die Parteien noch nicht imstande, eine völlig neue Konstellation zu verarbeiten. Die Schnittfläche der Programme von SPD, Grünen und der Linken ist groß. Es sieht so aus, als gebe es eine linke Mehrheit in Hessen. Aber: Andrea Ypsilanti ist zwar 2007 in einer Kampfabstimmung zur Spitzenkandidatin gewählt worden, vorher jedoch hatte Jürgen Walter, der als "wirtschaftsnah" gilt, die Mehrheit der Unterbezirke hinter sich gebracht. Der konservative Seeheimer Kreis ist nach einer hessischen Gemeinde benannt. Eine Koalition mit der Linken jetzt würde die SPD auseinander reißen. In der konstituierenden Sitzung des Landtages am 5. April muss nicht zwingend gleich ein Ministerpräsident (oder eine Ministerpräsidentin) gewählt werden. Man fragt sich, was passieren würde, wenn die Linke dort den Antrag stellt, sofort die Studiengebühren abzuschaffen.

Dass die FDP sich einer Ampelkoalition glaubhaft verweigert und auch eine Verbindung SPD-CDU gegenwärtig undenkbar erscheint, lässt die parlamentarische Situation zwar ausweglos erscheinen, ist aber ehrlich: Tatsächlich wurde ein Lagerwahlkampf geführt, der nicht rückgängig zu machen ist. Auf regionaler Ebene setzt sich damit eine Blockade fort, die im Bund schon seit 2005 besteht. Sie muss irgendwann aufgelöst werden. Die bürgerliche Variante stellt Wulffs CDU-FDP-Koalition in Niedersachsen dar. Was aber wäre die Kombination, die mehr soziale Gerechtigkeit durchsetzen wird? Hier wird noch ein langer Prozess der Klärung zwischen SPD, Grünen und der Linken nötig sein. Insofern gab es in Hessen und Niedersachsen die Auftaktwahlen für 2009.