Der heimliche Kanzler

03.01.2008 / Euro am Sonntag (www.finanzen.net) am 30.12.2007

Mit Klassenkampfparolen geht Oskar Lafontaine auf Stimmenfang und treibt so die Große Koalition munter vor sich her.

Guido Westerwelle nennt ihn eifersüchtig einen Erreger, der die Parteien des Bundestags infiziert habe. Für den "Spiegel" verantwortet er den Linksrutsch in Deutschland. SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler sieht in ihm den Luzifer der Politik: Oskar Lafontaine. Der Fraktionschef der Linkspartei bewegt die Politik, wie kaum ein Oppositionspolitiker vor ihm.

Für den ehemaligen Wirtschaftsminister Wolfgang Clement funktioniert Politik in Deutschland Ende 2007 so: "Die Union folgt der SPD und die ist wiederum darauf fixiert, was die Lafontaine-und-Gysi-Truppe macht." Ohne die Linkspartei, so Clement, sähen viele Vereinbarungen zwischen SPD und Union in der Regierung besser aus.

Die Strategie ist immer gleich, egal ob bei Hartz IV, der Verlängerung des Arbeitslosengeldes, den Mindestlöhnen oder der Änderung der Rente mit 67: Lafontaine und die Linke geben vor, wo angebliche Gerechtigkeitslücken in der deutschen Politik existieren. Gebetsmühlenartig behaupten sie, dass der Aufschwung bei den meisten Arbeitnehmern bis heute nicht ankommt; dass Hartz-IV-Empfängern, Minijobbern, Zeitarbeitern oder Rentnern schreiendes Unrecht widerfährt; dass Manager viel zu viel verdienen und Unternehmen unter den Beteiligungen von "Heuschrecken" leiden.

Mit den Klassenkampfparolen sprechen sie bei Modernisierungsverlierern und vielen traditionellen Wählerschichten in der SPD, aber auch in der CDU, ein tief sitzendes Unbehagen an, erklärt der Parteienforscher Peter Löschel. So ist die Regierung in den letzten Monaten unter den Generalverdacht geraten, eine Politik für Reiche zu machen.

Um ihr soziales Image zu retten, und aus dem Umfragetief zu kommen, setzt vor allem die SPD in der Koalition ökonomisch widersinnige Dinge durch. Sie beharrt auf der Verlängerung des Arbeitslosengeldes für Ältere - in einer Situation, in der die Beschäftigung gerade Älterer erstmals seit Langem wieder ansteigt. Sie dreht die Rente mit 67 zurück, deren Einführung von Experten aller Couleur begrüßt worden war. Und sie setzt einen Mindestlohn in der Postbranche durch, der nach Einschätzung von Experten zu Massenentlassungen führen dürfte.

Schon zeichnet sich ab, dass Lafontaine von der Oppositionsbank aus auch in Zukunft viele Richtlinien der Politik bestimmen wird, etwa in der Zeitarbeitsbranche. Während die SPD-Führung sich auf einen Streit um die Höhe eines Mindestlohnes vorbereitet, ist Lafontaine schon weiter. "Ein Mindestlohn für Zeit- und Leiharbeit ist der falsche Weg", schrieb er den Sozialdemokraten vor Weihnachten ins Stammbuch. Stattdessen müsse uneingeschränkt der Grundsatz "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" gelten. "Wer wie der SPD-Vorsitzende Beck einen Mindestlohn für Leiharbeit fordert, zementiert den Zustand moderner Sklaverei, den die Leiharbeit darstellt."

Wenn Leiharbeiter uneingeschränkt, also vom ersten Tag an, das gleiche Geld wie ihre festangestellten Kollegen bekämen, wäre das nach Expertenmeinung das Ende der erfolgreichsten Branche der Regierungszeit Angela Merkels. Neben 650000 Arbeitsplätzen ginge für Hunderttausende die Chance verloren, auf dem Weg über die Zeitarbeit später auch einen festen Arbeitsplatz zu finden.

Zeitarbeitnehmer werden gerade wieder mit steigender Tendenz in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen. Trotzdem soll im Arbeitsministerium schon an einem Entwurf für das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz gearbeitet werden, in dem das Prinzip "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" an Bedeutung gewinnen soll.

Unverhofften Erfolg könnte Lafontaine auch noch bei einem anderen Projekt haben, das schon über die politische Bühne gebracht schien - der Reform der Erbschaftsteuer. Nach monatelangen Verhandlungen hatten Peer Steinbrück und der hessische Ministerpräsident Roland Koch sich auf ein Konzept zur Reform der Erbschaftssteuer geeinigt, das so auch das Kabinett passiert hatte. Nun will die CSU nachverhandeln und mehr Entlastungen für Unternehmen herausholen.

Steinbrück reagierte darauf in mehreren Interviews extrem nervös. Der Finanzminister weiß: Die Linke könnte angesichts der in Deutschland herrschenden Vermögensverteilung eine neue Gerechtigkeitslücke entdecken. Schon fordert der finanzpolitische Sprecher der Fraktion, Axel Troost (siehe S. 8), eine Reform der Reform.