Wahlen in Italien: Europas nächste Herausforderung

Von Axel Troost, finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE und stellvertretender Vorsitzender der Partei DIE LINKE

22.02.2013 / 21.02.2013

Wenige Tage vor der Wahl in Italien geht ein Raunen durch die politischen Eliten und die Medien: Das Land stünde vor dem Niedergang, die Zukunft des Euro stehe auf dem Spiel, und der Abstieg des Landes gehe unvermindert weiter - ökonomisch, moralisch und gesellschaftlich. Am Ende der Technokratenregierung von Mario Monti ist die dritt­größte Volkswirtschaft der Eurozone vom Abgrund der Staatspleite gezerrt. „Die Not­operation ist gelungen. Doch der Patient erwachte nicht aus dem Koma“, so der Kom­mentar der Süddeutschen Zeitung.

Zwar erlebte Italien bisher keine Massenproteste wie in Spanien und keine gewalttäti­gen Ausschreitungen wie in Griechenland, doch die Stimmung im Land ist von tiefem Pessimismus und großen Zukunftssorgen geprägt.

Die große Mehrheit der ItalienerInnen erhofft von dem Ausgang der Wahlen eine deut­liche Verbesserung der Lebensverhältnisse sowie eine umfassende Reform des politi­schen Systems. Mit dem Sanierungskurs des letzten Jahres ging ein deutlicher Wohl­standsverlust bei der Bevölkerung (beim privaten Konsum wurde im letzten Jahr ein Minus von 3,5% verzeichnet) einher. Die Arbeitslosigkeit ist auf ein Rekordhoch von 11,2 Prozent gestiegen, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 35 Prozent. Und die Steuer­last, die seit 1990 über 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes beträgt, liegt jetzt bei fast 43 Prozent. Italiens europäische Partner erwarten Strukturreformen und Impulse für die Reform der Euro-Zone.

Um die hohe Arbeitslosigkeit herabzudrücken, die soziale Infrastruktur und öffentlichen Dienstleistungen auszuweiten sowie die Staatsverschuldung zu reduzieren, die 120 Prozent des Bruttoinlandsproduktes beträgt, braucht Italien Wirtschaftswachstum – et­was, das die politischen Entscheidungsträger in den vergangenen Jahren nicht organi­sieren konnten.

Tatsächlich betrug Italiens jährliche Wachstumsrate seit Beitritt in die Wirtschafts- und Währungsunion 1999 0,5 Prozent, das liegt unter dem Durchschnitt der Eurozone von 1,5 Prozent. In den Jahren seit Beginn der globalen Finanzkrise fiel die Wachstumsrate auf -1,2 Prozent im Vergleich zum Durchschnitt der Eurozone von -0,2 Prozent, und sie wird wohl auch in diesem Jahr im Minusbereich bleiben. Die größte Herausforderung der neuen Regierung wird die Umsetzung der Reformen sein, die Italiens Wirtschafts­leistung nach Jahren verfehlter Politik und Vernachlässigung wieder auf Kurs bringen können. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet für 2013 mit einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes um 1,0 Prozent, nach einem Minus von rund 2,2 Prozent im vergangenen Jahr. Italiens Wachstumsschwäche ist chronisch.

Gleichzeitig ist die Sanierung der öffentlichen Finanzen ein wesentlicher Faktor für die mittel- und langfristige Stabilität Italiens. Es sind durchaus Fortschritte bei der Haus­haltssanierung zu verzeichnen. Der so genannte Primärhaushalt – bei dem Zinszahlun­gen ausgeklammert werden – weist einen Überschuss aus. „Die Regierung Monti hat in kurzer Zeit beim Thema Haushaltskonsolidierung Großes geleistet“, sagt der Direktor der Europäischen Zentralbank, Jörg Asmussen. Nach einer Prognose der EU-Kom­mission wird die Neuverschuldung sowohl 2013 als auch 2014 unter der in den EU­Verträgen festgelegten Drei-Prozent-Obergrenze liegen. Allerdings liegt das Problem weniger in der Neuverschuldung als im Schuldenstand. Er liegt mit 126,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes weit über dem Schnitt im Euro-Raum von 92,9 Prozent.

Nach den Zahlen des Internationalen Währungsfonds geht das Haushaltsdefizit zurück, und der Primärüberschuss wächst. Italiens neue Regierung muss diesen Fortschritt verstetigen und zugleich aber die sozial-ökonomischen Probleme lösen, d.h. die Ver­minderung der Arbeitslosigkeit und deutliche Fortschritte gegen die gewachsene soziale Ungleichheit.

Die Fähigkeit, Staatsschulden zu refinanzieren und die Kosten niedrig zu halten, ist we­sentlich für die Stärkung der öffentlichen Haushalte und das Wachstum des Brutto­inlandsprodukts. Zudem muss das Land attraktiver für Direktinvestitionen werden, da sich die Kapitalzuflüsse zwar erholen, aber immer noch um 30 Prozent unter Vorkrisen­niveau liegen. Italiens Ökonomie ist durch die massive Sparpolitik stranguliert worden.

Diese wirtschaftliche Strangulierung unter dem Übergangspremier Mario Monti ist mit einer erheblichen Steuerlast nicht zuletzt für Unternehmen verbunden. Gekürzt wurde unter dem Druck der EU in den letzen Monaten erheblich; entgegen der politischen Rhetorik sind die Wachstumsimpulse ausgeblieben. Eine bloße Fortführung dieses Kur­ses würde das Land weiterhin auf der abschüssigen Ebene halten.

Allerdings kann ein Politikwechsel alleine in Italien nur begrenzte Wirkung entfalten. Es bedarf insgesamt in der Euro-Zone eines umfassenden Kurswechsel in Richtung Wachstumsbeschleunigung, was neben den Krisenstaaten wie Griechenland, Portugal, Spanien und Irland eben auch Frankreich und Italien eine zukunftsorientierte Perspek­tive eröffnen könnte. Ausbleibende Investitionen der Privatwirtschaft müssen, um die rezessiven Entwicklung zu beenden, durch staatliche ersetzt werden. Die öffentliche Infrastruktur bietet – kombiniert mit einem europaweiten Programm – reichlich Hand­lungsmöglichkeiten. Konkret muss die staatliche Neuverschuldung die schwachen In­vestitionen der Privatwirtschaft ausgleichen. Die kurzfristigen Maßnahmen zur Konjunk­turbelebung müssen in ein mittelfristiges Programm der Erneuerung der Ökonomie, des Ausbaus sozialer Dienstleistungen und eine Sanierung der öffentlichen Finanzen ein­gebunden werden.

Die Anforderungen zur ökonomisch-sozialen Erneuerung Italiens sind nicht einfach. Noch schwieriger sind die Rahmenbedingungen auf dem politischen Feld. Für die italie­nischen Parlamentswahlen am 24. Februar haben nicht weniger als 215 Parteien Wahl­listen eingereicht. Die Zersplitterung der Parteienlandschaft hat viel mit der Fragmentie­rung und den Spaltungen in der Zivilgesellschaft zu tun. Es ist nahezu aussichtslos, dass eine breitere Verständigung auf ein Programm zustande kommt. Die Parzellierung in der Politik ist aber auch eine Folge eines Wahlgesetzes, das dem bürgerlichen Lager eine dauerhafte Mehrheit sichern sollte.

Sowohl die Wahl des Senats als auch die Wahl des Abgeordnetenhaus erfolgt nach einem Proporzsystem, das durch einen Mehrheitsbonus für die stärkste Allianz korrigiert wird. Erneut ist Italien mit einer Situation konfrontiert, wo der Wahlbevölkerung kaum eine Option für einen Politikwechsel möglich ist. Die tiefe sozial-ökonomische Krise und die europäischen Vorgaben (Stabilitäts- und Fiskalpakt) machen einen Ausbruch aus der gesellschaftspolitischen Sackgasse schwierig. Der Druck seitens der EU, marktkon­forme Demokratien zu entwickeln, hebelt immer stärker die Bürgerrechte und die poli­tische Willensbildung aus.