Die EU steckt in einer existenziellen Krise. Die Wirtschaftskreisläufe sind seit Jahren gestört. Ganz Südeuropa leidet an Verarmung und hoher Arbeitslosigkeit. Die Europäische Zentralbank reiht eine Notfallmaßnahme an die nächste. In der Flüchtlingspolitik wurden die tiefen Gräben zwischen den EU-Staaten nur durch eine inhumane Abschottungsstrategie überbrückt. Und zuletzt hat der geplante Ausstieg der Briten die EU erneut schwer erschüttert. Vielerorts in Europa erstarken Kräfte, die eine nationalistische Politik unbehelligt von europäischen Institutionen durchsetzen wollen. Auch in der LINKEN finden sich Stimmen, die den Euro auflösen oder aus der EU austreten wollen. Doch so verständlich der Unmut ist, tragen solche Ausstiegsszenarien wenig dazu bei, einer fortschrittlichen linken Politik Konturen zu verleihen und eine positive Botschaft zu vermitteln.
Die vielen Probleme aus der Zeit vor dem Euro (Dominanz der DM, über- und unterbewertete Währungen, spekulative Währungsattacken) zeigen, dass eine Rückkehr zu nationalen Währungen oder zum alten europäischen Währungssystem (EWS) nicht erstrebenswert ist. Denn dazu kämen noch die schweren Schäden, die der Übergang zu einem neuen Währungssystem hervorrufen würde – ein Schock für die immer enger gewordenen wirtschaftlichen Beziehungen. Besonders hart wären Staaten mit hoher Verschuldung und schwacher Wirtschaft betroffen: Sie wären zur harter Sparpolitik gezwungen, gleichgültig, ob sie links oder rechts regiert würden.
Die Auflösung des Euros ist ein Szenario, auf das man sich wohl oder übel vorbereiten muss, aber keine Lösung, die vorangetrieben werden sollte. Dies gilt auch für die Auflösung der EU. Denn der Nationalstaat ist nicht in der Lage, die globalen Probleme der Wirtschafts- und Finanzkrisen, des Klimawandels, der Migrationsbewegungen und des Terrorismus zu bewältigen. Die Welt braucht weniger Nationalstaat und mehr internationale Kooperation sowie internationale Organisationen wie die EU. Allerdings: Weder EU noch Euro haben in ihrer jetzigen Form eine Zukunft. Wenn sie Bestand haben wollen, müssen beide radikal umgebaut werden. Seit die Wechselkurse als Korrekturfaktoren wegfallen sind, braucht gerade die Währungsunion neue Instrumente des Ausgleichs.
Um sich nicht durch die Finanzmärkte erpressen zu lassen und die Zinsunterschiede zwischen den Eurostaaten zu reduzieren, sollten sich diese zudem zukünftig über gemeinschaftlich aufgelegte Euro-Anleihen finanzieren. Dazu kämen neue Spielregeln für die Finanzmärkte und eine gemeinsame Steuerpolitik, die gegen Steuerdumping und legale und illegale Formen der Steuervermeidung vorginge.
Zudem kommt die EU nicht umhin, legale Zugangswege für Flüchtlinge zu schaffen und Mittel für die Aufnahme von Flüchtlingen und die Beseitigung von Fluchtursachen zu mobilisieren. Jede einzelne dieser Maßnahmen wäre schon ein kleiner Erfolg. In ihrer Gesamtheit zeigen sie einen Weg auf, die EU und den Euro in Richtung eines solidarischen Europas zu transformieren.
Nach der griechischen Niederlage: Ist die Politik der Austerität in der EU unüberwindlich?