Investitionen - aber wie? Zu ersten Ergebnissen der Gabriel-Kommission

Von Axel Troost

30.03.2015 / 30.03.2015

Deutschlands Straßen, Brücken und Bahnlinien verrotten: 47 Mrd. Euro – auf diesen gigantischen Betrag summiert sich der Wertverlust, der im Verkehrsbereich in Deutschland angefallen ist. In die öffentliche Infrastruktur (also weit mehr als Straßen etc.) fließen zu wenig Investitionen um die Substanz zu erhalten. Auch beim Kapitalstock der Unternehmen stellen wir unzureichende Substanzerhaltung und Erneuerung fest. Der Anteil der Investitionen an der Wirtschaftsleistung ist so gering wie nie in den vergangenen Jahrzehnten. Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) müssten Staat und Unternehmen pro Jahr zwischen 75 und 80 Mrd. Euro mehr investieren als bisher, damit das Land wettbewerbsfähig bleibt. Denn ein zeitgemäßer Kapitalstock bildet die Grundlage für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, ermöglicht weiteren technologischen Fortschritt, sichert die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes und ermöglicht die gesellschaftliche Reproduktion sowie einen hohen Beschäftigungsstand und die Entwicklung hochqualifizierter Beschäftigung.

Die Kehrseite der unzureichenden Investitionen: immer weiter anwachsender Kapitalüberschuss. Diese enormen Kapitalüberschüsse führen zu niedrigsten Zinsen und wachsenden Risiken vor Fehlleitung von Kapital und neuen Investitionsblasen. Es bestehen deutliche Anzeichen, dass es nach den Exzessen auf den Immobilienmärkten erneut zu Übertreibungen auf den globalen Märkten für Aktien und Unternehmensanleihen kommt. Der Finanzmarktstabilitätsbericht der Bundesbank zeigt, dass insbesondere in den USA der Markt für risikoreiche Unternehmensanleihen deutlich gewachsen ist. Zugleich sparen die Finanzminister und Stadtkämmerer so viel wie möglich, um die Schuldenbremse einzuhalten. Die Folgen der Schuldenbremse: Der Anteil staatlicher Investitionen am Bruttoinlandsprodukt schrumpfte auf 1,5 Prozent, den niedrigsten Stand seit den 1970er Jahren. Außerdem wird massiv Personal im öffentlichen Bereich abgebaut und auch bei den Sachausgaben im Bereich von Bundesländern und Kommunen gekürzt.

Vor allem die Kommunen in Deutschland haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen großen Investitionsstau verursacht. Nach Schätzungen des KfW Kommunalpanels beläuft sich die Investitionslücke im Kommunalbereich zurzeit auf 118 Mrd. Euro. Die Ursache für diese Fehlentwicklung ergibt sich aus der unzureichenden Finanzausstattung und dem wachsenden Zwang zu höheren Sozialausgaben (höhere Aufwendungen für Kitas und Bildung, neuerdings Flüchtlinge). In Durchschnitt können die Kommunen nicht genügend zusätzliche Mittel aufbringen, um ihren vorhandenen Investitionsbedarf decken zu können.

Die große Koalition verspricht Besserung: sie hat das für die kommenden Jahre geplante Investitionsprogramm von 10 Mrd. Euro um weitere 5 Mrd. Euro aufgestockt. Diese 5 Mrd. Euro sollen den Kommunen für den Ausbau der Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden. Finanzminister Schäuble will den Kommunen 2017 neben den bereits zugesagten Hilfen in Höhe von einer Milliarde Euro weitere 1,5 Mrd. Euro zur Verfügung stellen. Dazu wird außerdem ein Sondervermögen von 3,5 Mrd. Euro aufgebaut. Unter dem Strich bekommen die Kommunen so in den nächsten Jahren 5 Mrd. Euro extra. Dies ist angesichts eines kommunalen Investitionsstaus von 118 Mrd. Euro und kommunaler Sozialausgaben von 50 Mrd. Euro nötig und hilfreich, aber angesichts der tatsächlichen Bedarfe lediglich der „Tropfen auf den heißen Stein“.

Wegen des Diktats der Schuldenbremse in den öffentlichen Haushalten ändert sich daran absehbar nichts. Je länger aber die nötigen Investitionen aufgeschoben werden, umso dramatischer sind die Folgen. Die Investitionsschwäche ist außerdem ein europäisches Phänomen. Viele andere Länder in Europa weisen gegenwärtig gleichfalls ein geringes Niveau öffentlicher und privater Investitionen auf. Strategien für mehr Investitionen in Deutschland könnten daher eingebunden sein in gesamteuropäische Investitionsinitiativen wie den Juncker-Plan.

Um einen Ausweg zu suchen – gleichsam den Universalschlüssel zur Aufhebung des Substanzverlustes beim öffentlichen und privaten Kapitalstock – hat Bundeswirtschaftsminister Gabriel eine Experten-Kommission zur „Stärkung von Investitionen in Deutschland“ eingesetzt. Der Staat will ja mehr in die marode Infrastruktur investieren. Damit Straßen, Schulen und Kitas wieder in Schuss kommen, sollen auch Finanzinvestoren einbezogen werden und ihren Kapitalüberschuss sinnvoll einsetzen.

Die Kommission hat jetzt Vorschläge unterbreitet, wie dieser Transfers in Zeiten der Schuldenbremse gelingen kann. Im Kern macht sie drei Vorschläge:

  • 1. Die Schuldenbremse soll durch eine Selbstbindung der öffentlichen Hand ergänzt werden. Dies könne etwa durch die Verpflichtung zu einer positiven Nettoinvestitionsquote – also öffentliche Investitionen, die zumindest Abschreibungen auf das Vermögen der öffentlichen Hand kompensieren – und einer dementsprechenden Verankerung im Haushaltsrecht geschehen.
  • 2. Eine zweite Option ist eine haushaltsrechtliche Festlegung auf Bundesebene mindestens die Hälfte der Haushaltsspielräume, also unerwartete Überschüsse im Haushalt, in Form höherer öffentlicher Investitionen im Folgejahr verwenden zu müssen. Es geht nicht nur um Überschüsse, sondern der Bund kann auch unter den Bedingungen der Schuldenbremse eine begrenzte Neuverschuldung (jährlich 0,35% des BIP) eingehen.
  • 3. Eine dritte Empfehlung zielt auf die Schaffung spezialisierter Institutionen, die für Neuinvestitionen und Instandhaltung in bestimmten Infrastrukturkategorien zuständig sind. Diesen Institutionen sollte eine verlässliche finanzielle Ausstattung gegeben werden, die kurzfristig nicht oder nur schwer wieder umkehrbar ist. Die Kommission empfiehlt deshalb einerseits die Schaffung einer Infrastrukturgesellschaft privaten Rechts, die für Finanzierung, Bau und Erhalt von Bundesstraßen zuständig ist und sich unabhängig vom Bundeshaushalt durch eine Übertragung von Mauteinnahmen finanziert. Andererseits soll ein Infrastrukturfonds gebildet werden, der Bund, Länder und Gemeinden bei der Finanzierung von Infrastrukturprojekten unterstützet.

Gegen diese „Lösungsansätze“ gibt es auch massive Kritik. Die Gewerkschaften – selbst in der Kommission vertreten – monieren, dass in dem Bericht nicht ansatzweise problematisiert werde, dass die Schuldenbremse erst die Notwendigkeit schaffe, zur Finanzierung nötiger Infrastrukturinvestitionen auf privates Kapital zurückzugreifen. Des Weiteren würden öffentlich-private Partnerschaften in Anbetracht der bisherigen schlechten Erfahrungen damit in einem zu günstigen Licht dargestellt.

Auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) warnt davor private Investoren mit hohen Renditeerwartungen an der Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur zu beteiligen. Die zweifellos bestehende Investitionslücke sollte nicht vermengt werden mit den Anlageproblemen der Versicherer, sagte vzbv-Vorstand Klaus Müller. Wenn Lebensversicherungen wegen der niedrigen Zinsen ihre garantierten Auszahlungen nicht einhalten könnten, müsse dies unmittelbar gelöst werden und nicht, indem der Staat auf Umwegen überhöhte Renditen zusage.

Eine Sprecherin des Kommissionsvorsitzenden Marcel Fratzscher (DIW) erklärte, der Entwurf werde überarbeitet und angepasst. Im bisherigen Bericht wurde konkret vorgeschlagen:

  • Die „Infrastrukturgesellschaft privaten Rechts“ soll für die Finanzierung, Bau und Erhalt von Bundesstraßen zuständig sein und sich unabhängig vom Bundeshaushalt durch eine Übertragung von Mauteinnahmen finanzieren. Zusätzlich soll ein Infrastrukturfonds geschaffen werden, der Bund, Länder und Gemeinden bei der Finanzierung von Infrastrukturprojekten unterstützen soll.
  • Des Weiteren schlägt die Expertenkommission einen nationalen Investitionspakt für Kommunen vor, der eine Erhöhung kommunaler Investitionen um mindestens 15 Mrd. Euro über die nächsten drei Jahre ermöglichen soll, um die finanziellen Spielräume für Kommunen zu erweitern. Der kommunale Eigenanteil solle dabei gering sein (10-30 Prozent). Völlig offen bleibt dabei, wer Zinslasten und Tilgung der Fondsmittel bezahlen soll.
  • Eine von Bund und Ländern getragene Infrastrukturgesellschaft für Kommunen (IfK) soll den Kommunen helfen die wirtschaftlichsten Projekt- und Beschaffungsvarianten auszuwählen und den Planungs- und Umsetzungsprozess zu stärken. Bei großen Vorhaben könnte die IfK als Projektmanager auftreten. Alle Kommunen, unabhängig von ihrer Finanzkraft, Größe und Kompetenzen, sollen Zugang zu dieser kommunalen Infrastrukturgesellschaft haben.
  • Geprüft werden soll auch die Entwicklung von „ÖÖP“ – öffentlich-öffentlichen Partnerschaften, als Alternative zur konventionellen Beschaffung einerseits und Öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) andererseits.

Die von der Expertenkommission vorgelegten Vorschläge tragen dazu bei mit neuen Konstruktionen weitere Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge der öffentlichen Kontrolle bzw. Einflussnahme zu entziehen und führen zu einer weiteren Entleerung demokratischer Strukturen. Wir brauchen ein umfassendes Investitionsprogramm und dafür müssen die Mittel über ein sozial gerechteres Steuersystem beschafft werden.

Der Widerspruch könnte gegenwärtig nicht krasser sein: der Bundesverband der Industrie und die Interessenvertretungen der mittelständischen Wirtschaft drängen auf eine unternehmerfreundliche Regelung der Erbschaftsteuer. Im vergangenen Dezember hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden: Die bestehenden Sonderregeln für Vererbung von Unternehmen sind in mehreren Punkten grundgesetzwidrig. Allzu pauschal würden Unternehmerkinder bevorzugt. Es werde gar nicht geprüft, ob dies im Einzelfall wirklich nötig sei, um Arbeitsplätze zu erhalten.

In einem Sondervotum erklärten drei Richter auch noch, die Erbschaftsteuer müsse helfen, die wachsende Ungleichheit im Land zu stoppen:

Wir stimmen der Entscheidung zu, sind aber der Ansicht, dass zu ihrer Begründung ein weiteres Element gehört: das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG. Es sichert die Entscheidung weiter ab und macht ihre Gerechtigkeitsdimension erst voll sichtbar. Die Erbschaftsteuer dient nicht nur der Erzielung von Steuereinnahmen, sondern ist zugleich ein Instrument des Sozialstaats, um zu verhindern, dass Reichtum in der Folge der Generationen in den Händen weniger kumuliert und allein aufgrund von Herkunft oder persönlicher Verbundenheit unverhältnismäßig anwächst. Dass hier auch in Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit eine Herausforderung liegt, zeigt die Entwicklung der tatsächlichen Vermögensverteilung. Verwies schon Böckenförde in seinem Sondervotum zur Vermögensteuer für das Jahr 1993 darauf, dass 18,4% der privaten Haushalte über 60% des gesamten Nettogeldvermögens verfügten, lag dieser Anteil bereits im Jahr 2007 in den Händen von nur noch 10%. Die Schaffung eines Ausgleichs sich sonst verfestigender Ungleichheiten liegt in der Verantwortung der Politik nicht aber in ihrem Belieben. Wie der Senat schon für die Gleichheitsprüfung betont, belässt die Verfassung dem Gesetzgeber dabei einen weiten Spielraum. Aufgrund seiner Bindung an Art. 20 Abs. 1 GG ist er aber besonderen Rechtfertigungsanforderungen unterworfen, je mehr von dieser Belastung jene ausgenommen werden, die unter marktwirtschaftlichen Bedingungen leistungsfähiger sind als andere.“

Bei einer Einschränkung der vom Verfassungsgericht kritisierten Firmenprivilegien könnte das jährliche Erbschaftsteueraufkommen von derzeit 5 Mrd. Euro mittelfristig auf bis zu 13 Mrd. Euro steigen. Die Bundesländer und ihre Kommunen könnten über eine stärkere Besteuerung der hohen Einkommen und eine Besteuerung der Vermögen die notwendigen Finanzressourcen für mehr Investitionen erzielen. Das geht aber nur, wenn in der gesellschaftlichen Debatte die permanente Ausklammerung der ungleichen und ungerechten Verteilung wieder auf den Tisch kommt.

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