Bildungsfinanzierung im föderalen Magerstaat

Von Tobias Kaphegyi, Henrik Piltz und Axel Troost

30.04.2013 / aus: Sozialismus 5/2013, Seite 24-29

Stabile Problemlagen

Spätestens mit dem Bildungsgipfel 2008 in Dresden haben alle im Bundestag vertretenen Parteien anerkannt, dass das Bildungssystem unterfinanziert ist. Die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten erklärten das Thema damals einmütig zur Chefsache. Mit der Ausrufung der Bildungsrepublik sollte eine Steigerung der Bildungsausgaben auf sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) einhergehen. Wie dringend diese Stärkung der Bildungsfinanzierung ist, wird durch den internationalen Vergleich deutlich. Die öffentlichen Bildungsausgaben in Relation zum BIP sind in Deutschland rund 20% geringer als in den meisten anderen Industrieländern. Im Vergleich zu Skandinavien beträgt der Abstand sogar teilweise mehr als 50% (siehe Abbildung 1 auf der Seite 26). Um so erschreckender ist daher die Tatsache, dass seitdem nichts passiert ist. Ein wichtiger Baustein in der Architektur dieses Versagens ist im föderalen Staatsaufbau Deutschlands zu suchen: Die Bundesländer verfügen seit der Föderalismusreform über (fast) alle Kompetenzen im Bildungssystem, gleichzeitig können sie ohne Zustimmung der Bundesebene keine zusätzlichen Steuereinnahmen generieren. Letzteres erwies sich als Achillesferse: Es gab weder ein Verfahren noch eine Vereinbarung, wie die Finanzierung der zusätzlichen Bildungsausgaben sichergestellt werden sollte. Stattdessen wurde offen gelassen, welchen Anteil davon Bund, Länder und Kommunen sowie die Bürgerinnen und Bürger selbst erbringen sollten. Durch die Einbeziehung von Teilen des Kindergeldes, von Steuerermäßigungen für Bildungsleistungen und anderer in der internationalen Statistik nicht berücksichtigten Größen wurde die zu schließende Finanzlücke parallel kleingerechnet (vgl. Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik 2010: 250). Der tatsächliche Aufstockungsbedarf des Bildungsetats dürfte – ohne diese Taschenspielertricks – nahe an den bereits genannten 50% liegen, die notwendig wären, um das Niveau der skandinavischen Staaten zu erreichen. Nach den Berechnung von Piltz (2011) besteht ein zusätzlicher jährlicher Finanzbedarf von rund 56,8 Milliarden Euro sowie ein einmaliger Investitionsbedarf von ca. 45,3 Milliarden Euro, der durch die öffentlichen Haushalte finanziert werden muss. Diese Berechnungen beruhen auf der Annahme, dass sich die Finanzierung des Bildungssystems an den Bedürfnissen der am Bildungsprozess beteiligten Menschen orientiert – also vor allem an den Lehrenden und Lernenden. Zentrale Maßnahmen eines solchen Konzepts sind insbesondere die Verbesserung der Betreuungs- und Unterrichtsverhältnisse in allen Bereichen des Bildungssystems (eine Schule für alle, geringere Klassengrößen, Inklusion, flächendeckende schulpsychologische und schulpädagogische Betreuung), der Ausbau von Ganztagsangeboten im Elementarbereich und in den allgemeinbildenden Schulen sowie die starke Verringerung der privat zu erbringenden Finanzierungsanteile im Bildungssystem. Diese Maßnahmen sind dringend notwendig, denn nach wie vor steht das deutsche Bildungssystem für eine im internationalen Vergleich hohe soziale Selektivität. Unter Verwendung eines neuen Indikators, der untersucht, wie individuell sich Geschwister in Bezug auf Einkommen und Bildungsabschluss entwickeln und wie stark sie in ihrem Erfolg von ihrem Familienhintergrund determiniert werden (»Geschwisterkorrelation«), weisen aktuelle Arbeiten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) für Deutschland sogar einen größeren Zusammenhang zwischen dem familiären Hintergrund und dem Bildungsergebnis nach als zwischen dem familiären Hintergrund und der (stark genetisch bedingten) Körpergröße (vgl. Schnitzlein 2013). Solch ein Ausmaß an sozialer Vererbung von ungerecht verteilten Bildungs- und Lebenschancen ist mit einer demokratischen Gesellschaft kaum vereinbar und führt zwangsläufig zu vielfältigen Spannungen, Konflikten und gesellschaftlichen Problemen (vgl. Wilkinson/Pickett 2009). Darüber hinaus ist eine umfangreichere Bildungsfinanzierung notwendig, um Kinder zu sozialen, selbständigen und kritikfähigen Menschen zu erziehen. Gegen solche Finanzierungskonzepte wird immer noch viel zu oft eingewandt, dass das deutsche Bildungssystem effektiver sei als in anderen Staaten Europas, und deshalb mit geringeren öffentlichen Finanzmittel auskommen könnte – gerade wegen seiner starken Orientierung am Arbeitsmarkt. Als Beispiel wird vor allem das System der Dualen Ausbildung genannt, das angeblich zu einer geradezu traumhaft niedrigen Jugendarbeitslosenquote beiträgt – im Gegensatz zu Quoten von mehr als 50% in Spanien und Griechenland. Tatsächlich ist das duale Ausbildungssystem, trotz der um Welten besseren ökonomischen Situation in Deutschland, nicht annähernd so effektiv wie behauptet. Das parallel zum dualen System existierende so genannte Übergangssystem wurde in den letzten Jahren massiv ausgebaut. In diesem werden Jugendliche untergebracht, die zu Beginn eines Ausbildungsjahres keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Im Jahr 2011 wurden über vier Milliarden Euro aufgewandt, um fast 300.000 Jugendliche in diesem Übergangsbereich zu »betreuen«. Trotzdem verließ der größte Teil von ihnen das Übergangssystem wieder, ohne eine Weiterqualifikation erhalten zu haben. Die Jugendarbeitslosigkeit wird hierdurch nur verschleiert (Dräger/Frick 2012: 4). Dieses Übergangssystem verstärkt zudem die hohe soziale Selektivität des deutschen Bildungssystems. Denn »die sozialen Selektionsprozesse [...] sind für den Übergang aus der allgemeinbildenden Schule in die Berufsausbildung in Deutschland bisher besonders stark ausgeprägt [...]. Das duale System ist seit 2000 die Domäne von Schulabsolventen und -absolventinnen mit mittlerem Abschluss und Hochschulreife, die [...] zwei Drittel der Ausbildungsplätze besetzen.« (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012: 103) Im Übergangssystem werden also vor allem Jugendliche mit geringem Bildungsabschluss und mit Eltern geparkt, die nur über einen niedrigen sozioökonomischen Status verfügen. Sie befinden sich im Übergangssystem in den allermeisten Fällen auf einem – für den Staat mit hohen Ausgaben verbundenen – Weg in die Perspektivlosigkeit. Aufgrund des Übergangssystems tritt dies nicht offen zutage und wird politisch kaum kritisiert. Knapp fünf Jahre nach dem Bildungsgipfel stellt sich daher die Frage, ob die (Bildungs-)Politik aus diesem kollektiven Versagen gelernt hat. Versprechen die Parteien noch immer eine bessere Bildungspolitik und spiegeln sich diese Forderungen in ihrer Finanz- und Steuerpolitik wider? Sind diese Versprechen seriös, weil Bundes- und LandespolitikerInnen an einem Strang ziehen? Werden neue Steuern auf Vermögen und hohe Einkommen für nötig befunden oder an Austeritätspolitik, Schuldenbremse und neoliberalem Konsolidierungskurs festgehalten?

Reaktionen der Politik

In den Wahlprogrammen aller im Bundestag vertretenen Parteien, sowohl auf Landesebene als auch auf Bundesebene, findet sich weiterhin das Versprechen, mehr Finanzmittel in das Bildungssystem umzuleiten (vgl. Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik 2013 und Piltz 2013). Beispielsweise forderten die baden-württembergischen Grünen u.a. 7.500 zusätzliche ErzieherInnenstellen für die Betreuung von Kindern über drei Jahren sowie 1.000 LehrerInnen für den Ganztagsschulausbau (siehe die Seiten S. 97 und 109 des Wahlprogramms). Wahlversprechen, die schon alleine mehrere hundert Millionen Euro kosten würden. Die baden-württembergische SPD forderte im Wahlkampf u.a. den vom Landesrechnungshof ermittelten Investitionsstau von fünf Milliarden Euro im Hochschulbau schneller abzubauen als von der CDU/FDP-Landesregierung unter Stefan Mappus geplant. Zusätzlich sollten die Studiengebühren abgeschafft und gleichzeitig zusätzliche Master-Plätze an den Hochschulen geschaffen werden. Auch diese Forderungen würden mehrere hundert Millionen Euro kosten und bildeten nur einen geringen Teil der Wahlkampfforderungen der baden-württembergischen Sozialdemokraten im Bildungsbereich sowie im gesamten Wahlprogramm. Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (2013) hat die Kosten der in den Wahlprogrammen der beiden Volksparteien für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2012 enthaltenen Forderungen zum Bildungsbereich berechnet. Aus den Forderungen der CDU würden sich jährliche Mehrkosten in Höhe von mindestens 1,27 Milliarden Euro, für die SPD knapp 2,46 Milliarden Euro ergeben. Im Folgenden soll empirisch geprüft werden, inwieweit die Parteien realistische Versprechen machen, wenn sie einerseits Verbesserungen im Bildungssystem versprechen und gleichzeitig weiterhin eine strenge Sparpolitik in Bund und Ländern praktizieren wollen, ohne über neue Steuern auf Gewinne und Vermögen höhere Steuereinnahmen erzielen zu wollen

Bildungsrepublik, Schuldenbremse, Einlaufkurven

Es wird deutlich: Die Krise der Bildungsfinanzierung kann nicht isoliert von der Entwicklung der Staatsfinanzen betrachtet werden. Die seit mehr als zwei Dekaden vorherrschende neoliberale Entstaatlichungslogik hat die Staatsfinanzen in eine nachhaltige Krise geführt. Mehr als zwei Drittel der Staatsverschuldung in Deutschland sind nach dem Jahr 1990 entstanden. Rund die Hälfte dieser Verschuldung ist Folge dreier Entwicklungen: Zum ersten die Steuerrechtsänderungen seit 1998 zu Gunsten von Unternehmen und Vermögenden. Zum zweiten die Stützung des Bankensektors während der 2008 in Deutschland beginnenden Finanzmarktkrise, die sich aus der weltweite Deregulierung des Finanzsystems entwickelt hatte. Zum dritten die beiden Konjunkturpakete sowie die Steuerausfälle im Zuge des starken Wirtschaftseinbruchs im Jahr 2009, der die Übertragung der Finanzmarktkrise auf die Realwirtschaft darstellt (vgl. Troost 2013: 5). Zudem verursachen die Steuerrechtsänderungen auch weiterhin konstante Mindereinnahmen in den öffentlichen Haushalten, so dass sich Bund, Länder und Kommunen weiter verschulden müssen. Mit der vor kurzem beschlossenen Anhebung des Grundfreibetrages ab 2013 werden Bund, Länder und Kommunen weitere Steuerausfälle in Höhe von jährlich ca. 2,5 Milliarden Euro verkraften müssen. Diese Entwicklung hat den Spielraum zukünftiger Landes- und Bundesregierungen sowie der kommunalen Gebietskörperschaften massiv eingeschränkt. Mit der Verabschiedung und beginnenden Umsetzung der so genannten Schuldenbremse und des Fiskalvertrages ist die Aufnahme neuer Schulden zur Verbesserung des Bildungssystems nicht mehr möglich. Die Schuldenfinanzierung war in der Vergangenheit zwar auf Gebäude und sonstige Investitionen beschränkt, ließ den Gebietskörperschaften jedoch einen durchaus beträchtlichen Spielraum – für Nordrhein-Westfalen beispielsweise im Jahr 2011 mehr als drei Milliarden Euro. Für die öffentliche Bildungsfinanzierung stellt sich also eine entscheidende Frage: Welche Spielräume existieren überhaupt noch in den öffentlichen Haushalten, um (mehr) Finanzmittel für die Bildung bereitzustellen, und wie werden sich diese in Zukunft verändern? Um sich ein realistisches Bild davon zu verschaffen, ist ein Blick insbesondere auf die Länderhaushalte von großer Bedeutung. Die Finanzierung des Bildungssystems wird zum größten Teil aus ihrem Steueraufkommen finanziert, wie das Beispiel der zwei von SPD und Grünen regierten Bundesländer Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen deutlich macht (siehe Tabelle 1). Den strukturell stabilsten Landeshaushalt weist Baden-Württemberg aus, das seine Nettoverschuldung 2011 um 1,9 Millionen Euro senken konnte. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass dies nur erreicht werden konnte, weil es eine hohe Entnahme aus Rücklagen, Fonds und Stöckengegeben hat (540,6 Millionen Euro) sowie Einnahmen aus (kassenmäßigen) Überschüssen aus Vorjahrenin Höhe von 522,3 Millionen Euro angefallen sind. Letzteres ist überwiegend auf die schnelle konjunkturelle Erholung nach dem Wirtschaftseinbruch im Jahr 2009 zurückzuführen und wird dauerhaft nicht zu wiederholen sein. Der grün-roten Landesregierung ist durchaus zuzutrauen, dass sie einen ausgeglichenen Haushalt in den kommenden Jahren vorlegt – wie es die Schuldenbremse bis 2019 vorsieht. Weitere signifikante Spielräume für zusätzliche Bildungsausgaben lassen sich jedoch nicht erkennen. Im Gegenteil: Schon jetzt soll an LehrerInnengehältern gespart werden. Für Nordrhein-Westfalen lässt sich anhand einer Nettokreditaufnahme von über drei Milliarden Euro im Jahr 2011 bis zum Greifen der Schuldenbremse und dem Verbot der Nettoneuverschuldung ab dem Jahr 2019 nicht der geringste Spielraum erkennen, der für eine signifikante Verbesserung in der Bildungspolitik sorgen könnte. Auch wenn das Land noch aufgrund der Abwicklung seiner Landesbank ein in der Zukunft hoffentlich bald wegfallendes Problemfeld besitzt, zeigt die mittelfristige Finanzplanung der Landesregierung bis 2016, dass die finanziellen Probleme in Nordrhein-Westfalen schwerwiegend sind. Nach der mittelfristigen Finanzplanung ist mit »kalten« Ausgabenkürzungen im Bildungsbereich zu rechnen, d.h. das Land wird zwar die absoluten Ausgaben für diesen Bereich erhöhen, die Preissteigerung wird jedoch voraussichtlich über diesem Ausgabenwachstum liegen. Damit werden dem Bildungsbereich weitere Finanzmittel entzogen. Die Betrachtung der zwei Landeshaushalte im Jahr 2011 ist insgesamt nicht ausreichend, um das bestehende Problem der Staatsfinanzierungskrise einzufangen. Sie ist jedoch symptomatisch für die Situation in den übrigen Bundesländern.

Mehr Geld für Bildung – aber wie?

Mit dem Versprechen, mehr Geld für die Bildung bereitzustellen, bei gleichzeitigem Kürzungsdruck durch die Schuldenbremse, sind auch die Parteien gezwungen, in ihren Wahlprogrammen Vorschläge zur Gegenfinanzierung anzubieten. Offeriert werden dabei vor allem von CDU und FDP – aber auch von SPD und Grünen – die klassisch neoliberalen Ansätze: die so genannte Aufgabenkritik, Entbürokratisierung und Privatisierung. Bei der »Aufgabenkritik« geht es in erster Linie um die Reduzierung der bisher vom Land wahrgenommenen Aufgaben. Ähnliches gilt auch für die Entbürokratisierung, mit der nicht nur in der öffentlichen Verwaltung Gesetze, Verordnungen oder sonstige Regulierungen gestrichen und damit Kosten gesenkt werden sollen.[1] Derartige Maßnahmen haben in den vergangenen Jahren jedoch die Funktionsfähigkeit des Staates massiv beeinträchtigt. So hat beispielsweise der Personalabbau im Bereich der Steuerfahnder zu Steuermindereinnahmen von bis zu 50 Milliarden Euro geführt – je nach Schätzmethode (vgl. Kraft 2009). Die dritte Variante zur »Hebung von Effizienzreserven« in den öffentlichen Haushalten ist die Privatisierung. Häufig wird damit nur die Einbeziehung von Privaten in den Prozess der Leistungserbringung – entweder durch Privatisierung oder Public Private Partnership Modelle (PPP) – verstanden. Sie tritt allerdings auch durch die Implementierung von Methoden des sogenannten New Public Managements auf. Ziel dieser Maßnahmen ist die Schaffung von Märkten, um die Leistungserbringung des Staates dem wettbewerblichen Konkurrenzdruck zu unterwerfen. Dieser soll zum effizientesten Mitteleinsatz und gleichzeitig zum höchstmöglichen Zielerreichungsgrad führen – eine Ideologie, die empirisch bereits oft widerlegt wurde (vgl. z.B. Bundesrechnungshof 2009, Gemeinsamer Erfahrungsbericht zur Wirtschaftlichkeit von ÖPP-Projekten 2011 und Broß/Engartner 2013). Bei Privatisierungen konnten in der Regel entweder höhere Kosten oder schlechtere Qualität nachgewiesen werden. Signifikante Ersparnisse wurden nicht erzielt. Selbst wenn durch Aufgabenkritik, Entbürokratisierung und Privatisierung tatsächlich Einsparungen erreichbar wären, würden sie niemals den zur Umsetzung der Schuldenbremse und zur Verbesserung der Bildungsfinanzierung notwendigen Umfang erreichen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sie nicht einmal ausreichen werden, um Einschnitte infolge der Schuldenbremse zu verhindern – vor allem weil bereits in den vergangenen Jahren Aufgabenkritik und Bürokratieabbau betrieben wurde. Die von Grünen und SPD gestellte Regierung in Baden-Württemberg beweist dies gerade eindrucksvoll: So wurden mit der Abschaffung der Studiengebühren zwar mehr öffentliche Mittel für die Hochschulen bereitgestellt. Kurz darauf kündigte die gleiche Landesregierung jedoch an, Tausende von LehrerInnenstellen zu streichen – mit Verweis auf die Schuldenbremse, die unter allen Umständen umgesetzt werden müsse. Hätte die Landesregierung Alternativen, um die Ausgaben zu reduzieren, würde sie diese sicherlich umsetzen. Es bleibt also letztlich nur ein Weg, um mehr Finanzmittel für die Bildung bereitzustellen: Steuererhöhungen. Wie oben bereits ausgeführt, sind die Bundesländer für die Finanzierung, Organisation und Bereitstellung großer Teile des Bildungssystems verantwortlich, verfügen aber über keine originäre Gesetzgebungskompetenz in Steuerfragen – mit Ausnahme einiger Bagatellsteuern, mit denen sie knapp 5% ihres Steueraufkommens generieren. Es lohnt sich also, einen Blick in die Programmentwürfe der Parteien für die anstehende Bundestagswahl zu werfen. Insgesamt haben drei Parteien die Forderung nach Steuererhöhungen in ihre Programmentwürfe aufgenommen. Neben der LINKEN – die dies seit ihrer Gründung fordert – haben SPD und Grüne dieses Thema wieder für sich entdeckt, und das obwohl die beiden Parteien mit ihrer Steuerreform 1998 für die größten Steuersenkungen in der Geschichte der Bundesrepublik und die daraus folgende Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte verantwortlich zeichnen. Tabelle 2 zeigt einen Ausschnitt aus den steuerpolitischen Forderungen von SPD, Grünen und LINKEN sowie eine Schätzung über deren Aufkommen. Da bisher der Schwerpunkt der Betrachtung auf die Länderhaushalte gerichtet war, sind vor allem die Steuern enthalten, die insbesondere den Ländern zu zusätzlichen Einnahmen verhelfen, Bagatellsteuern bzw. Steuererhöhungen, die keine nennenswerten Mehreinnahmen erwarten lassen, werden nicht betrachtet.

Können so Bildungsreformen finanziert werden?

Vergleicht man die Volumina der einzelnen Steuerkonzepte mit bisherigen Schätzungen über den Finanzbedarf im deutschen Bildungssystem, genügt lediglich das Konzept der LINKEN diesen Ansprüchen. Es weist nicht nur das notwendige Volumen auf, sondern berücksichtigt den Mehrbedarf der Bundesländer als Hauptfinanzier des Bildungssystems. Die von SPD und Grünen angekündigten Steuererhöhungen werden im besten Falle dafür sorgen, dass bei der Umsetzung der Schuldenbremse keine weiteren Kürzungen im Bildungssystem notwendig sind. Mehr Finanzmittel für die Bildung sind mit diesen Konzepten nicht finanzierbar. Die in Tabelle 3 vorgenommene Beispielrechnung soll dies verdeutlichen: Es sind vier Einzelmaßnahmen dargestellt, die zur Korrektur der schwerwiegenden Folgen der Steuer- und Finanzpolitik der vergangenen Jahre besonders geeignet sind.[2] Zudem genießen sie im alternativen wirtschaftswissenschaftlichen sowie gewerkschaftlichen Spektrum eine breite Zustimmung, was eine Umsetzung als Sofortpaket befördert. Im Einzelnen handelt es sich erstens um die Wiedereinführung einer Vermögensteuer in der Form, wie sie das Bündnis umFAIRteilenvorschlägt.[3] Zweitens um die Abschaffung der Abgeltungsteuer. Drittens um die Verbesserung des Steuervollzuges und der Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Abschließend wird in den Berechnungen die Umwandlung der Gewerbesteuer in eine Gemeindewirtschaftsteuer berücksichtigt. Hintergrund der letzten Maßnahme ist, dass das Sofortprogramm entwickelt wurde, um insbesondere den von einer extrem angespannten Haushaltslage betroffenen Ländern und Kommunen zusätzliche Einnahmen zu generieren.[4] Insgesamt würden diese Maßnahmen die Einnahmen der Bundesländer jährlich um rund 25,6 Milliarden Euro erhöhen. Und nimmt man wiederum die Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg als Beispiel, hätten sie mit 3,28 bzw. 5,45 Milliarden Euro hohe Zuwächse bei den Steuereinnahmen zu verbuchen. Beide Bundesländer könnten mit diesen Mehreinnahmen ihre Neuverschuldung dauerhaft auf Null reduzieren. Sie hätten darüber hinaus sogar einen Zuwachs an Finanzmitteln, der Mehrausgaben für das Bildungssystem ermöglichen würde. Jedoch würden selbst diese zusätzlichen Mittel noch weit hinter dem einleitend dargestellten Finanzierungsbedarf des Bildungssystems zurückbleiben. Hervorzuheben ist zudem, dass SPD und Grüne sich im Bundestag nie von der neoliberalen Finanz- und Steuerpolitik ihrer Regierungsjahre unter Gerhard Schröder gelöst haben. So stimmten sie für die Einführung der Schuldenbremse und des Fiskalvertrages, die es den Bundesländern in Zukunft unmöglich macht, Investitionen – z.B. zum Bau von Schulen und Hochschulen – durch Schulden vorzufinanzieren. Diese ideologische Fixierung auf Schuldenabbau und eine neoliberale Konsolidierungspolitik ist bei den Bundestagsabgeordneten von SPD und Grünen tief verankert. Bei der Debatte um den Haushalt 2013 konnte dies beispielhaft in der Diskussion um das von der Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP beschlossene Betreuungsgeld beobachtet werden. Obwohl die SPD einen Gegenantrag eingebracht hatte, der vorsah, die für das Bestreuungsgeld vorgesehenen Mittel zum Ausbau der vorschulischen Infrastruktur zu nutzen (siehe Bundestagsdrucksache 17/9572), forderten die SPD-Haushälter, diese Mittel zur Haushaltskonsolidierung zu nutzen (vgl. Protokoll der 206. Sitzung des Deutschen Bundestages, S. 25104ff.). Es ist also mehr als fraglich, ob die im Wahlprogramm der SPD angekündigten erhöhten Bildungsausgaben nach der Wahl tatsächlich realisiert werden würden.

Ausblick

Das Bildungssystem leidet unter einer chronischen Unterfinanzierung. Das ist in der deutschen Parteienlandschaft inzwischen fast Konsens. Auch wenn einige wenige Parteien noch auf eine stärkere Beteiligung der BildungsteilnehmerInnen durch Gebühren drängen, hat sich dieses Modell bisher nur im Weiterbildungsbereich etablieren können. Studiengebühren sind in fast allen Bundesländern wieder abgeschafft worden, Gebühren für Kindertageseinrichtungen werden inzwischen selbst von Arbeitgeberverbänden kritisiert. Anhand der Forderungen der Parteien in ihren Landtagswahlprogrammen zeigt sich, dass eine signifikante Verbesserung im Bildungsbereich nur durch Steuererhöhungen auf Reichtum und Vermögen im Bund möglich ist. Denn in den Länderhaushalten besteht ein starker Druck zur Reduzierung der Ausgaben. Eine Aufstockung der Bildungsausgaben ist unter diesen Bedingungen so gut wie ausgeschlossen. Die kosmetischen Korrekturen am Steuersystem, die von SPD und Grünen vorgeschlagen werden, sind viel zu gering. Es bedarf deutlich umfangreicherer Finanzmittel, um das deutsche Bildungssystem auf den internationalen Standard anzuheben. Als einzige Partei hat bisher nur DIE LINKE ein Konzept vorgelegt, das das notwendige Finanzvolumen hierfür aufbringen würde. Mit den systematischen Falsch-Versprechungen der meisten Parteien geht das Risiko einher, die Politikverdrossenheit weiter zu befördern.

[1] Zudem stellt sich die Frage, ob dieser »Bürokratieabbau« nicht auch Klientelpolitik darstellt, da die Begünstigten vor allem Menschen mit hohem Einkommen und/oder Vermögen sind.
[2] Das dargestellte Sofortprogramm besteht aus fünf Teilen. Der fünfte Teil ist die Finanztransaktionsteuer. Da diese ausschließlich dem Bund zufließt, wird sie im Weiteren nicht berücksichtigt (vgl. Höll/Pitterle/Troost 2013: 16f.).
[3] Dieses Konzept sieht Mehreinnahmen für die Bundesländer in Höhe von 20 Milliarden Euro vor.
[4] Das Konzept der Gemeindewirtschaftsteuer sieht vor, das Volumen der Gewerbesteuer durch Einbeziehung von Selbständigen und Freiberuflern sowie die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zu erhöhen – bei gleichzeitig steigendem Freibetrag. Dieser Ausbau der Gewerbesteuer ist notwendig,
da die Kommunen ebenfalls unter einer chronischen Unterfinanzierung leiden und die bisherige Gewerbesteuer im Konjunkturverlauf keine verlässliche Steuerquelle ist. Da die Gemeindewirtschaftsteuerzahlungen – wie die Gewerbesteuer – bei der Berechnung der Einkommensteuer berücksichtigt werden, ergeben sich hier Verluste im Bereich der Einkommensteuer

Die Tabellen sowie die Literaturangabe finden Sie im nachfolgenden PDF-Dokument