Arbeitszeitverkürzung für ein gutes Leben - Beitrag zur Serie "Was ist systemrelevant?"

Von Katja Kipping, sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag und Parteivorsitzende der Partei DIE LINKE

26.02.2013 / linksfraktion.de, 25. Februar 2013

Ein Mittel, um gesellschaftliche Veränderungen voranzubringen, ist die konsequente Arbeitszeitverkürzung. Der Kampf darum muss vielfältige Formen der Arbeitszeitverkürzung umfassen, weil die Interessen der Menschen und konkrete Umstände auch vielfältig sind. Wir brauchen also sowohl die kollektiv umzusetzende Arbeitszeitverkürzung als auch die Reduktion der Wochenarbeitsstunden und der Lebensarbeitszeit in eigenbestimmten Formen. Letztendlich geht es darum, dass alle Menschen weniger arbeiten müssen und ihre Arbeits- und Lebenszeit selbstbestimmter gestalten können – damit sich Erwerbsarbeit besser verbinden lässt beispielsweise mit dem Familienleben, der Erziehung von Kindern, dem politischen Engagement oder den Bedürfnissen nach Muße und Bildung. Dazu brauchen wir neue Arbeitszeit-Modelle und vor allem kürzere Arbeitszeiten.


Kollektiv umzusetzende Arbeitszeitverkürzungen können und müssen gesetzlich und tariflich geregelt werden. Dabei ist zu beachten, dass entsprechende Lohnausgleiche für die Arbeitszeitverkürzungen erreicht werden. Zu berücksichtigen ist aber auch, dass viele jetzt gezwungenermaßen zu kurz arbeiten oder erwerbslos sind. Arbeitszeitverkürzung heißt auch Umverteilung von Erwerbsarbeit.

Feiertage und Lese-Tage

Eine dringende Maßnahme der Arbeitszeitverkürzung wäre es Überstunden abzubauen. Eine andere Form der Arbeitszeitverkürzung könnten weitere gesetzliche Feiertage sein: Wenn alle (oder viele) frei haben, sind diese Tage bestens geeignet, soziale Beziehungen zu Freundinnen sowie Freunden und zur Familie zu pflegen, (Solo-)Selbständige entlasten sie vom Anspruch erreichbar zu sein oder zu arbeiten. Für alle Beschäftigten sind sie eine Form kollektiver Arbeitszeitverkürzung. Der 8. März oder der 8. Mai böten sich dafür doch hervorragend an.

Auch der Vorschlag, einen Elternbonus im Urlaubsgesetz einzuführen, wonach Väter wie Mütter aller zwei Monate einen zusätzlichen freien Tag bekommen sollten, zum Beispiel für Arzttermine und Behördengänge, dient der Arbeitszeitverkürzung. Oder das, was die LINKE Thüringer Landtagsfraktion für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingeführt hat: einen monatlichen Lese-Tag. Ich werde demnächst eine Vereinbarung unterschreiben, dass jeder und jede Mitarbeiter/in in meinem Büro im Monat das Recht auf einen Lese-Tag hat.

Bezahlter Ausstieg auf Zeit

Wir wissen aus der Befragung der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, dass die Wünsche und Vorstellungen von Arbeitszeitverkürzung weit auseinander gehen. An sich ist das selbstverständlich, denn die Lebensweisen, sozialen und familiären Situationen der Menschen unterscheiden sich ja auch. So bevorzugen rund 25 Prozent der befragten Vollzeitbeschäftigten eine verkürzte Arbeitszeit jeden Tag, während cirka 40 Prozent lieber einen Tag mehr frei pro Woche hätten. Zu den selbstbestimmten Formen von Arbeitszeitverkürzungen, die gewünscht werden, gehören auch längere Auszeiten. Auszeiten, die keinen Ausstieg aus dem Job bedeuten, aber einen zeitlich begrenzten Rückzug – sei es zur Weiterbildung, zur Erweiterung des Horizonts oder zur Prävention von drohendem Burnout. Wir kennen diese bezahlten Auszeiten unter dem Begriff Sabbatical. So sollte zum Beispiel jeder Erwachsene das gesetzlich verbriefte Recht auf zwei Jahres-Sabbaticals in seinem Berufsleben haben, ohne Einkommensverluste zu erleiden – zumindest sollte es keine Einkommensverluste bei niedrigen bis mittleren Einkommen geben.

Welche gesellschaftsverändernden Potenziale hätten Arbeitszeitverkürzungen:

  • Der Ruf nach Arbeit um jeden Preis und das Primat des Profits führen dazu, dass Dinge produziert werden, deren Ökobilanz und deren Wert sehr fragwürdig sind. Bei dieser Leistung ist Unterlassung die größte gesellschaftliche Leistung der Menschheit. Das heißt nun nicht, dass Erwerbslosigkeit uns egal sein kann, denn Erwerbslosigkeit wider Willen ist für die Betroffenen eine enorme Belastung. Insofern kommt es darauf an, die vorhandene Erwerbsarbeit gerechter zu verteilen. Deswegen führt kein Weg an Arbeitszeitverkürzung vorbei.
  • Wenn es zum Standard wird, weniger Zeit in der Erwerbsarbeit zu verbringen, bleibt mehr Zeit für andere Tätigkeiten wie Pflege von Angehörigen. Dies ist eine Voraussetzung für die gerechtere Verteilung der notwendigen Tätigkeiten zwischen den Geschlechtern.
  • Arbeitszeitverkürzung bedeutet auch Zuweisung der Macht über die Lebenszeit der Erwerbsarbeitenden an die Arbeitenden selbst. Es geht also um Zeitsouveränität bezüglich der Quantität der Zeit und in dieser Dimension um die Aneignung der Verfügungsgewalt über das eigene Leben.
  • Zeitsouveränität heißt aber auch, darüber verfügen zu können, was in der Arbeitszeit geschieht. Das heißt zur Arbeitszeitverkürzungsfrage gehört die Frage, wer bestimmt, was und wie produziert wird. Damit wird klar, dass wir eine radikale Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft brauchen.
  • Letztlich geht es bei Arbeitszeitverkürzung um ein gutes Leben für alle!