Grüne Europapolitik: Nach allen Seiten offen?

Von Axel Troost, finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE und stellvertretender Vorsitzender der Partei DIE LINKE

28.11.2012 / 27.11.2012

Auf der Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen haben sich diese ganz im Sinne eines „aufgeschlossenen Bürgertums“ präsentiert. Sie wollen sich als die drittstärkste Kraft in Deutschland, als Alternative zur schwarz-gelben Koalition, aber auch zur SPD empfehlen. In die kommende Wahlauseinandersetzung gehen die Grü­nen mit einer proeuropäischen Orientierung. „Europa entsteht durch Taten“ ist der Leit­antrag überschrieben, dem die Delegierten mit großer Mehrheit zugestimmt haben. In diesem wird festgestellt: „Die derzeitige Krise in der Euro-Zone (…) hat schonungslos die Konstruktionsfehler des Euro vor Augen geführt. Die Politik von Kanzlerin Merkel zeugt dabei von einem einmaligen Versagen: (…) Am deutlichsten wird dies im Falle der Entscheidung der Europäischen Zentralbank, im Zweifelsfall unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen. Die EZB sieht sich gezwungen, sel­ber aktiv zu werden, weil unter anderem die Regierung Merkel gegen jede ‚Vergemein­schaftung der Schulden‘ auf den Marktplätzen polemisiert. (…)“

Die BürgerInnen in den Krisenländern erfahren täglich die Folgen der Fehlentwicklung und der von der Bundesrepublik auf den Weg gebrachten Austeritätspolitik. „Diese Stra­tegie hat eine dramatische soziale Schieflage zur Folge und führt in manchen Ländern Europas bereits zu Verelendung ganzer Bevölkerungsgruppen. Sie verzögert und ver­teuert außerdem notwendige Entscheidungen und spielt mit dem Feuer eines Zerbre­chens der Euro-Zone. Diese Politik gefährdet damit letztlich die Europäische Integration als solche und muss deshalb schleunigst beendet werden.“

Die spannende Frage lautet nach dieser Analyse zu recht: Welche konzeptionellen Vor­stellungen verfolgen die Grünen, um Europa eine Perspektive zu bieten? Sie fordern:

1 einen Europäischen Konvent als neues demokratisches Fundament. Es ist jetzt notwendig, die politischen Prozesse auf europäischer Ebene öffentlich sichtbar und transparent zu machen. Deswegen wollen sie auch, dass die Unionsbürgerinnen und -bürger über das Ergebnis des Konvents im Rahmen einer europäischen Volks­abstimmung abstimmen können.

2 EU-Haushalt stärken statt kürzen: Richtig wäre angesichts der Krise, die Notwen­digkeit für Investitionen in Europas Wettbewerbsfähigkeit und die krassen Entwick­lungsgefälle in der EU endlich anzuerkennen und diese blinden Kürzungsideen auf­zugeben.

3 Europäisches Parlament stärken: Gerade in der so dringenden Frage der finanz-und wirtschaftspolitischen Koordinierung auf europäischer Ebene ist das Europäi­sche Parlament weiter außen vor.

4 Innere Demokratie Europas stärken – für ein offenes Europa der Menschenrechte.

5 Gemeinsam stark: Sozialpolitik auch europäisch denken. (…)Priorität haben für uns dabei gemeinsame soziale Mindeststandards, in Bezug auf Mindestlohn und Grundsicherung (orientiert jeweils am jeweiligen nationalen BIP) sowie zur Verwirkli­chung des Rechts auf eine gute Gesundheitsversorgung.

6 Subsidiarität neu denken: Wir Grüne stehen konsequent dafür, der europäischen Ebene und vor allem dem Europäischen Parlament mehr Kompetenzen zu geben.

7 Eine Europäische Bankenunion realisieren: (…) Wir brauchen endlich eine starke internationale Finanzmarktregulierung.

8 Europa grüner machen: Sowohl im Europäischen Parlament als auch in der EU-Kommission und in den EU-Ministerräten kann die konservative europäische Partei­enfamilie derzeit die meisten Stimmen auf sich vereinen. Wenn wir die Europäische Union demokratischer machen und das Primat der Politik über die Finanzmärkte zu­rückgewinnen wollen, dann müssen wir Grüne auch die Mehrheitsverhältnisse än­dern.

Die Realität sieht anders aus

Die Vorstellungen der Grünen konzentrieren sich auf die Ebene des demokratischen Ausbaus der Institutionen und der Regulierung der Finanzmärkte. Die ökonomischen Strukturen der Krisenländer lassen sie dagegen völlig außer Acht. Auch das zuneh­mende Auseinandersdriften der Interessen innerhalb der EU, wie sie sich beim gegen­wärtigen Stand des EU-Haushalts zeigen, sind für die Grünen kein Thema.

Nach dem letzten Vorschlag des EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy sollte der Finanzrahmen für die EWU ein Volumen von 1008 Milliarden Euro haben. Unter Ein­rechnung sämtlicher Posten (auch der außerhalb des eigentlichen Finanzrahmens ge­führten Fonds und Reserven) könnte die Union laut dem Vorschlag in der siebenjähri­gen Periode finanzielle Verpflichtungen von rund 1010 Milliarden Euro oder etwa 1,05 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung eingehen. Das sind rund 80 Milliarden Euro weniger als von der EU-Kommission vorgeschlagen und – erstmals in der Geschichte der EU – real auch etwas weniger als in der laufenden Periode (2007 bis 2013). Wie sich zeigte, ist dies einem Teil der Nettozahler, die mehr in den Haushalt einzahlen als sie aus den Töpfen der EU zurückerhalten, aber noch immer zu viel. Großbritannien war dabei nicht isoliert, auch Staaten wie Schweden, die Niederlande und Deutschland plädierten für weitere Kürzungen. Um eine Einigung zu erzielen, ist damit zu rechnen, dass Van Rompuy bei seinem nächsten Versuch auch die Verwaltungsausgaben wird antasten müssen, wie es der britische Premierminister Cameron und andere fordern.

Fakt ist also: der Sparkurs wird auf der europäischen Ebene verlängert. Die Grünen sprechen sich zwar abstrakt gegen Kürzungen auf der europäischen Ebene aus, halten gleichwohl an den „Konditionen für Finanzhilfe“ fest. Die Grünen unterstützen ausdrück­lich die Sparmaßnahmen der Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF), die in Südländern eine soziale Katastrophe von ungeheurem Ausmaß angerichtet haben.

Logisch ist daher auch: der Spitzenkandidat der Grünen Jürgen Trittin erklärt, seine Fraktion werde bei einer neuen Griechenland-Abstimmung wieder mit der Bundesregie­rung stimmen. Um eine Sanierungspolitik durchzusetzen, müsse aber die „demokrati­sche Legitimation der EU“ unbedingt verbessert werden. Daher die Betonung auf insti­tutionelle Reformen. Es geht aber nicht nur um Zukunftsinvestitionen und den Ausbau der demokratischen Willensbildung. Nicht nur die Auseinandersetzung um den EU-Haushalt, auch das „Krisenmanagement“ in der Schuldenkrise zeigt die vorhandene Konzeptionslosigkeit der politischen Eliten. Als Gegenleistung für die Zustimmung zum Fiskalpakt wurde auf dem EU-Gipfel im Spätsommer ein „Wachstumspakt“ beschlos­sen. Dieses hat aber bis heute keine Rolle in der praktischen Anwendung gespielt. Im Gegenteil: wachstumsfördernde Investitionen sind in den Krisenländern stark gekürzt worden. Selbst die Mittel für den erst im Juni beschlossenen Wachstumspakt zugunsten der Krisenländer bleiben, wenn nicht noch ein Wunder geschieht, auf der Strecke, weil sich die europapolitische Debatte stark auf die Finanzsphäre konzentriert. Der europäi­sche Fiskalpakt mit seinem harten Austeritätsprogramm läuft auf vollen Touren. Die be­troffenen Länder sind derzeit weder in der Lage, die von der EU angebotenen Mittel zur Strukturförderung abzurufen, noch auf konstruktive Vorschläge zur gezielten Schaffung von Arbeitsplätzen einzugehen.

Wachstumsfördernde Investitionen in neue Wirtschaftsstrukturen sind Bedin­gung für einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel

Ohne einen Mix von innergesellschaftlichen Strukturreformen und gezielten Investitio­nen werden diese Länder nicht zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung zu­rückkehren. Europa braucht mehr als Maßnahmen zur Konjunkturankurbelung. Europa benötigt einen politisch initiierten und langfristig angelegten nachhaltigen Wachstums- und Modernisierungspfad, um unseren Kontinent zukunftsfest zu machen, um die Jobs des 21. Jahrhunderts zu schaffen und Wohlstand für alle zu ermöglichen.

Zu recht drängen die Gewerkschaften in den europäischen Nachbarländer aber auch in Deutschland auf einen Wachstumspakt; denn die Regulierung der Finanzsphäre wird nur tragfähig, wenn auch das Was und Wie der Produktion stimmt. "Europa braucht nachhaltiges Wachstum durch eine aktive, koordinierte und demokratisch legitimierte Wirtschafts- und Industriepolitik zur Sicherung der industriellen Basis und Wertschöp­fung." (IG Metall) Diese Wirtschafts- und Industriepolitik kann aber nicht in der Weiter­führung des bisherigen Weges bestehen, sondern bedarf eines wirtschaftspolitischen Kurswechsels, durch den die Innovationszentren gestärkt und die Entwicklungsdefizite industrie- und strukturschwacher Regionen beseitigt werden.

Erforderlich ist hierfür, dass private Investitionen in den sozial-ökologischen Um- und Aufbau gelenkt werden, was aber nur bei Stärkung von Bildung, Qualifikation, For­schung und Entwicklung gelingen kann. Dieses zu gewährleisten bedarf es eines hand­lungsfähigen Staatswesens, das die öffentliche Infrastruktur und die Partizipationsmög­lichkeiten der Bürgerinnen und Bürger garantiert, weiterentwickelt und materiell hinrei­chend ausstattet. Dazu gehört auch die Demokratisierung der Wirtschaft, d.h. kollektive Regeln, Mitbestimmung in Betrieb und Gesellschaft, gerechte Verteilung und öffentli­ches Eigentum

Für solche „Taten“ sind die Grünen aber nicht zu haben.