Ein klares Signal für einen Politikwechsel in Europa

Von Axel Troost, finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE und stell­vertretender Vorsitzender der Partei DIE LINKE

19.11.2012 / 19.11.2012

In Südeuropa sind Hunderttausende gegen den Sparkurs ihrer Regierungen auf die Straße gegangen. Anlässlich des europaweiten Aktionstages für Arbeit und Solidarität protestierten erstmals in mehreren Ländern hundertausende BürgerInnen gegen die un­sinnige und perspektivlose Sparpolitik, die den Ländern als Konsequenz aus dem Fis­kalpakt auferlegt wird. Ausgehend von Spanien und Portugal legten Gewerkschaf­terInnen in Italien, Griechenland, Frankreich und Belgien die Arbeit nieder. So einen ko­ordinierten „Aktions- und Solidaritätstag“ hat es zuvor in Europa noch nicht gegeben. Bis dahin gab es in den zurückliegenden fünf Jahren der europäischer Krise und verschärf­ter Austeritätspolitik neben vielen Solidaritätsadressen und Presseerklärungen keinen umfassenden Ansatz einer auch von den Gewerkschaften getragenen kritischen Politik gegen neoliberale Strukturreformen.

In Spanien und Portugal legte ein 24-stündiger Generalstreik das öffentliche Leben weitgehend lahm. Allein in Madrid und Barcelona sollen 2 Millionen auf den Straßen ge­wesen sein. In Griechenland wurde nach einem zweitätigen Generalstreik in der ersten Novemberwoche erneut für drei Stunden die Arbeit niedergelegt. In Belgien wurde der Bahnverkehr lahmgelegt und in Italien rief die CGIL zu vierstündigen Arbeitsniederle­gungen auf; in Frankreich fanden Proteste unter der Losung „Für Beschäftigung und Solidarität – gegen Sparmaßnahmen“ statt. Auch in Großbritannien hat der Gewerk­schaftsverband TUC einen „Generalstreik“ angekündigt.

In Deutschland gab es von der Beteiligung her bescheidene vom DGB organisierte Soli­daritätsaktionen. Erneut machte sich DGB-Chef Michael Sommer für eine stärkere Be­achtung des sozialen Ausgleichs bei der Bewältigung der Schuldenkrise stark. „Die Spar- und Kürzungspolitik funktioniert nicht. Es ist nicht nur sinnlos, sondern auch ge­fährlich, der Krise hinterher zu sparen.“ Stattdessen müsse die Krise mit einem „umfas­senden Wachstums- und Investitionsprogramm“ bekämpft werden.

Trotz vorhandener unterschiedlicher Interessenlagen innerhalb der europäischen Ge­werkschaftsbewegung, die sich aus den jeweiligen Wettbewerbssituationen europaweit aber auch national ergibt (z.B. gutbezahlte Beschäftigung in der deutschen Autoindustrie einerseits, zunehmende Verschlechterung im öffentlichen Sektor in Richtung prekärer Beschäftigungsverhältnisse andererseits), verbreitert sich in der europäischen Gewerk­schaftsbewegung die Kritik gegen einen autoritären Umbau im Sinne des europäischen Fiskalpaktes. Darüber verdichten sich die konzeptionelle Vorschläge zur Neugründung eines demokratischen Europas. So hat im September Manuel Fernández López, Gene­ralsekretär der spanischen Metallgewerkschaft MCA-UGT erklärt: „Wir glauben, dass sich unsere Wirtschaft allein durch die Verbesserung ihrer Exportfähigkeit nicht erholen kann. (…) Die sinkenden Investitionen in die öffentliche Infrastruktur gehen zu Lasten der Wirtschaft, verschärfen die Arbeitslosigkeit und führen zu unsicherer Beschäftigung. (…) Die Wirtschaftspolitik muss sich grundlegend ändern - auf nationaler und europäi­scher Ebene. (…) Alternative Strategien sind möglich und der einzige Ausweg aus der Krise. Wir plädieren für eine Steuerreform, die für genügend Einnahmen und eine ge­rechte Lastenverteilung sorgt, das Finanzsystem reformiert und die Finanzierung von Unternehmen und Familien garantiert. Dabei geht es in erster Linie um die Erhaltung des Sozialstaates.

Aber vor allem braucht unser Land ein neues Produktionsmodell, das auf einer vom Staat koordinierten und abgestimmten Industriepolitik basiert. Eine Politik, bei der die gesamte Regierung mit den jeweiligen Ministerien fachübergreifend alle möglichen An­strengungen und Investitionen tätigt, um die Industrie in einem Motor des Wirtschafts­wachstums und der Beschäftigung zu verwandeln. Wichtige Bereiche wie Energie-, Be­schäftigung-, Fiskal- und Bildungspolitik müssen koordiniert zusammenarbeiten. Die In­dustriepolitik muss sowohl mit den einzelnen Regionen als auch mit der Europäischen Kommission koordiniert und mit Arbeitgebern und Gewerkschaften abgestimmt werden.“

Einen ähnlichen Akzent setzt die IG-Metall: „Auch die Gewerkschaften müssen einen Steuerungsbeitrag in einer gemeinsamen Währungsunion leisten. Dies gilt insbesondere für die Lohnkoordinierung. Die Abstimmung der Lohnpolitik zwischen den Euro-Ländern ist notwendig, um den Währungsraum zu stabilisieren. (…) Gewerkschaftliche Lohnko­ordinierung ist nur wirksam, soweit gewerkschaftliche Handlungsfähigkeit gegeben ist und Tarifabschlüsse durch Tarifbindung der Betriebe sich auch in der Entwicklung der Realeinkommen und Arbeitsbedingungen wiederfinden. Gegen beides steht die weitge­hende Deregulierung der Arbeitsmärkte, wie sie auf der Blaupause der deutschen Agenda-Politik zum Leitbild einer europäischen Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik in vielen Ländern Europas wurde. Der massive Zuwachs deregulierter, oft prekärer Arbeitsverhältnisse hemmt nicht nur gewerkschaftliche Handlungsfähigkeit, sondern führt zur Ausweitung faktisch tariffreier Zonen. Eine neue Ordnung auf dem europäi­schen Arbeitsmarkt ist gefordert. Diese muss gesicherte, durch Tarifverträge gestaltete Arbeitsverhältnisse nicht nur schützen und fördern, sondern dazu beitragen, Prekarität zurückzudrängen.“

Der Weg zu einem neuen „Gesellschaftsmodell“ wird aber nur möglich, wenn auch die Gewerkschaften das Bündnis suchen zu allen, die sich als europäisches Protest-Netzwerk um die Neugestaltung der europäischen Wirtschaftsbeziehungen kümmern, und umgekehrt. Die Antwort auf Marktradikalismus und soziale Desintegration liegt in der Stärkung des öffentlichen Sektors und der Demokratisierung der Wirtschaft. Dazu gehören kollektive Regeln, Mitbestimmung in Betrieb und Gesellschaft, gerechte Vertei­lung und öffentliches Eigentum.

Unverkennbar erfordert der Teufelskreis aus Staatsfinanzierungskrise, Bankenkrise und makroökonomischer Krise im Euro-Raum einen umfassenden Politikwechsel. Bislang stehen in Europa überwiegend die öffentlichen Finanzen und die Schuldentilgung im Zentrum. Ohne die Sicherung eines angemessenen Wirtschaftswachstums wird es kei­ne Verbesserung der Schuldentragfähigkeit geben. Die Herausforderungen werden noch drängender angesichts der Abschwächung der Globalökonomie. Allein durch die Marktkräfte und die neoliberale Sanierungspolitik wird kein Ausweg aus der gesell­schaftspolitischen Sackgasse eröffnet werden können. Die Krisenländer sind derzeit weder in der Lage, die von der EU angebotenen Mittel zur Strukturförderung abzurufen, noch auf konstruktive Vorschläge zur gezielten Schaffung von Arbeitsplätzen einzuge­hen. Ohne einen Mix aus innergesellschaftlichen Strukturreformen und gezielten Investi­tionen werden die Krisenländer nicht zu einem befriedigenden Wirtschaftswachstum zu­rückkehren können. Zu einem gesamteuropäischen Wachstumspakt gehört ein umfang­reiches Programm staatlicher Investitionen, die Teil einer langfristigen Strategie zur För­derung von Solidarität und ökologischer Nachhaltigkeit sein müssten – auf nationaler wie auf EU-Ebene. Für die Finanzierung eines solchen Programms, das nicht nur für Griechenland, sondern für all die Länder aufgelegt werden müsste, die von der Krise am stärksten betroffen sind, könnte die Europäische Investitionsbank herangezogen wer­den, die bereits ermächtigt ist, Schuldverschreibungen zur Finanzierung ihrer Aktivitäten herauszugeben.