Arbeit muss sich lohnen, sagt auch DIE LINKE.

Von der eigenen Arbeit nicht leben zu können, ist erniedrigend

14.10.2010 / Jutta Krellmann im Interview der Woche (13.10.2010)

In Oldenburg sind am vergangenen Sonntag 3000 Menschen für die Rechte der Erwerbslosen auf die Straße gegangen. Jutta Krellmann, Sprecherin für Arbeits- und Mitbestimmungspolitik der Fraktion, war in Oldenburg und berichtet im Interview der Woche von der ausgelassenen Aufbruchstimmung. Gemeinsam mit Gewerkschaften und Erwerbsloseninitiativen beteiligt sich DIE LINKE am Heißen Herbst. Der gesetzliche Mindestlohn muss her, denn er wird die Situation der Beschäftigen wie der Erwerbslosen verbessern.

Sie waren gestern bei der bundesweiten Demonstration der Erwerbsloseninitiativen in Oldenburg. Wie war die Stimmung?

Jutta Krellmann: Bei der Podiumsdiskussion am Vorabend der Demo in Oldenburg saß ich für DIE LINKE auf dem Podium. Leider konnte ich an der Demonstration am nächsten Tag nicht mehr teilnehmen. Die Genossinnen und Genossen haben mir aber von einer ausgelassenen Aufbruchsstimmung berichtet. Es waren über 3000 Erwerbslose und „Aufstocker“ aus ganz Deutschland da. Gerade bei einer Demo zum Thema Hartz IV, bei dem Menschen sich ja als arm „outen“ müssen, finde ich das ausgesprochen bewundernswert. Denn bekanntlich schämen sich viele dafür, auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein oder keinen Job zu haben, unabhängig von den Gründen dafür.

Die Bundesregierung wird nicht müde, vom wirtschaftlichen Aufschwung und sinkenden Arbeitslosenzahlen zu berichten. Die müssten doch theoretisch auch den Erwerbslosen zugute kommen?

Die Frage ist, was für Arbeitsplätze hier geschaffen werden. Die meisten sind im Bereich der Leiharbeit, mit schlechten Entgelten und/oder befristet. Deutschland ist inzwischen Spitzenreiter der EU im Sektor der prekären Beschäftigung. Die Zahl der „Aufstocker“, also der Menschen, die trotz Arbeit auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, weil ihre Löhne zu niedrig sind, wächst ständig. Dies empfinde ich als absolute Katastrophe, denn von eigener Arbeit nicht leben zu können, ist erniedrigend und menschenunwürdig.

Die - eine - Antwort der Fraktion DIE LINKE ist der Mindestlohn. Inwiefern kann der etwas an der Situation der Erwerbslosen ändern, die ja gar keinen Lohn bekommen?

Arbeit muss sich lohnen. Das sieht auch DIE LINKE so. Das Lohnabstandsgebot kann in seiner Konsequenz nicht bedeuten, dass die ohnehin viel zu niedrigen Hartz IV-Sätze weiter abgesenkt werden. Genau anders herum muss es laufen: Sie müssen deutlich erhöht werden, ein menschenwürdiges Leben zu gewährleisten. Der gesetzliche Mindestlohn von 10 Euro sowie würde sicher stellen, dass auch bei einer Anhebung der Regelsätze der Lohnabstand gewahrt bleibt. Die entwürdigende Diskussion um die Regelsätze, die Hartz IV-Empfängern sogar „Dekadenz“ vorgeworfen hat hätte damit auch keine Grundlage mehr.

In Brüssel wurde Ende September demonstriert. Wie steht es in Deutschland um den angekündigten Heißen Herbst ?

Der hat schon längst begonnen! Gewerkschaften, Erwerbsloseninitiativen und DIE LINKE arbeiten an der Stelle eng zusammen. Es geht auch um ganz Grundsätzliches: Rente mit 67, Kopfpauschale, Chancen für „Junge“, aber auch die Castor-Transporte. Die schwarz-gelbe Regierung ist ein Unglück für dieses Land. Sie lassen sich von Konzernen die Politik diktieren und machen anschließend einen Sachzwang daraus, der angeblich nicht zu ändern ist. So fördert man Politikverdrossenheit!

Diese Politik geht komplett an den Menschen vorbei und ist zutiefst undemokratisch. Stuttgart21 zeigt, dass auch das bürgerliche Spektrum über diese Art der Politik verärgert ist

Beim Thema Hartz IV blicken zur Zeit alle auf die Erhöhung von fünf Euro, aber das ist ja nicht alles. Was kritisieren Sie darüber hinaus am Entwurf der Koalition?

Kritisch ist, dass der kleine Spielraum, den Sachbearbeiter bisher hatten, gestrichen wurde. Nun sind die Kolleginnen und Kollegen in den ARGEn gezwungen, Sanktionen anzuwenden. Die Leistungen für Kinder sind trotz Ermahnung des Bundesverfassungsgerichtes gleich geblieben. Die ganzen Berechnungen sind völlig intransparent, selbst für Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Soziales. Wir haben einen dicken Packen Unterlagen und Berechnungen hingelegt bekommen, bei dem man Monate brauchen würde, um ihn überhaupt zu lesen. Das Argument, dass die Hartz-IV-Sätze so niedrig sein müssten, damit es ein „Lohnabstandsgebot“ gäbe ist heuchlerisch. Anders herum wird ein Schuh draus: Die niedrigen Löhne müssen angehoben werden!

Wie will DIE LINKE dem Problem der hohen Arbeitslosigkeit in der Krise begegnen?

Der Ansatzpunkt ist, menschenwürdige tariflich entlohnte Arbeit zu schaffen. Vorschläge für ein Konjunkturprogramm und die dazugehörige Finanzierung haben wir auf den Tisch gelegt. Wir brauchen einen sozial-ökologischen Umbau und dafür öffentliche Investitionen in Bildung und Kultur, Kinderbetreuung, Gesundheit und Pflege. Man muss es nur wollen und sich nicht selbst durch eine Schuldenbremse den Hahn abdrehen. Die Verpflichtung für zukünftige Generationen besteht darin, eine solidarische und gerechte Gesellschaft mit Arbeit und Ausbildung für alle zu schaffen..

Wer behauptet, es sei nicht genügend Arbeit da, der der muss ein Brett vor dem Kopf wegnehmen.

Ein Thema, das im nächsten Halbjahr noch eine Rolle spielen wird, ist die vollständige Umsetzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Es werden viele Osteuropäer und Osteuropäerinnen auf den deutschen Arbeitsmarkt drängen. Was setzt die Fraktion DIE LINKE den zu erwartenden ausländerfeindlichen Ressentiments entgegen?

Als ich begonnen habe mich politisch zu engagieren spielte das Wort internationale Solidarität mit Chile, Portugal, Griechenland, Südafrika usw. eine riesige Rolle. Es ist gut und richtig, wenn die Grenzen nicht mehr nur für Waren und Kapital durchlässig sind, sondern endlich auch für die Menschen. Das ist die Europäische Idee. Allerdings muss man die Ängste der Menschen aufgreifen, dass über diesem Weg weiterem Lohndumping Tür und Tor geöffnet wird.

Die Beschäftigten, die hier arbeiten möchten, sollen dies zu unseren Lohn- und Arbeitsstandards tun. Um Lohndumping ab dem 1. Mai 2011 zu verhindern, müssen wir schleunigst einen gesetzlichen Mindestlohn einführen. Die Versuche der Bundesregierung, mit einzelnen Branchenmindestlöhnen hier und da das Problem zu lösen, greift zu kurz. Es ist ein löchriger Flickenteppich entstanden, der völlig ungenügend ist!

www.linksfraktion.de, 13. Oktober 2010