Gefährlichen Finanzschrott gar nicht erst auf den Markt lassen

Von Susanna Karawanskij

10.06.2016 / Sachsens Linke! 6-2016

Man kann es vielleicht nicht gerade mit dem Besuch beim Zahnarzt vergleichen, aber kein Autofahrer und keine Autofahrerin freut sich auf einen Termin beim TÜV, an dem das eigene Auto begutachtet wird, um Sicherheit, Vorschriftsmäßigkeit und Umweltverträglichkeit auch weiterhin zu gewährleisten. Dies alles kostet Zeit und Geld. Mit viel Pech kommt das eigene Fahrzeug nicht durch den TÜV, was noch höhere Kosten nach sich zieht. Ob Elektrogeräte, Arzneimittel oder Atomkraftwerke – sie müssen zur Prü- fung vorgelegt werden, bevor sie auf den Markt kommen.

Doch bei Finanzprodukten, die zum Beispiel für die Altersvorsorge oder nur zum Aufbau einer „eisernen Reserve“ gedacht sind, ist das nicht so. Dies ist umso unverständlicher, als dass sich die immer noch schwelende Finanzkrise unter anderem aufgrund hochkomplexer Finanzinstrumente über den ganzen Globus ausgebreitet hat. Das Problem ist bekannt, doch geändert hat sich nach wie vor nichts: Gewiefte Strategen bei Investmentbanken und anderen Finanzdienstleistern entwickeln ständig neue Finanzinstrumente, die meist so kompliziert sind, dass selbst die vermeintlichen Experten am Nachbartisch die Struktur, das Risiko und schlicht den Zweck dieser Geldanlage nicht mehr verstehen.

Unser Vorschlag ist erst einmal recht einfach und nimmt die Staats- und Regierungschefs der G 20 beim Wort, der zufolge kein Produkt, kein Akteur und kein Markt unreguliert bleiben sollen. Für uns, und dafür kämpfen wir schon seit Jahren, gehört zu dieser Forderung, dass alle Geldanlagen geprüft werden, bevor sie für den Handel zugelassen werden. Wir streben hier also eine Verfahrensumkehr an. Bereits im Umlauf befindliche Geldanlagen werden schrittweise überprüft und dann entweder vom Markt genommen, oder sie erhalten eine ausdrückliche Zulassung. Ähnlich wie bei Verkehrsmitteln fordern wir einen TÜV für Geldanlagen aller Art, für Finanzdienstleister, für Vertriebswege, für Finanzinnovationen. Wir fordern kurzum einen Finanz-TÜV.

Verbraucherschutz bedeutet das Bohren dicker Bretter – wir können lange bohren

Die Bundesregierung brüstet sich stets, in dieser Wahlperiode schon sehr viel für den finanziellen Verbraucherschutz getan zu haben. Man bekommt außerhalb des Bundestages schon fast den Eindruck, dass es gar nichts Sinnvolles mehr in diesem Bereich zu verbessern gäbe. Dem ist aber nicht so! Wenn die Regierung etwas tut, dann setzt sie Vorgaben aus Brüssel um.

Und dennoch bleibt hier so einiges im Argen: Der unregulierte Graue Kapitalmarkt schwemmt weiterhin Produkte auf den Markt, durch die Anlegerinnen und Anleger Millionen an Euro verlieren, wie zuletzt German Pellets oder zuvor Prokon und LehmanZertifikate gezeigt haben. Die Dispo-Zinsen sind immer noch horrend hoch und werden nicht gedeckelt. Verbraucherinnen und Verbraucher bekommen immer noch von „Beratern“ das Produkt angedreht, das diesen Verkäufern die höchsten Provisionen bringt und nicht den Kunden den größten Nutzen. Menschen mit einer Lebens- oder privaten Rentenversicherung sehen sich knallharten Kürzungen ihrer zugesicherten Überschüsse ausgeliefert. In all diesen Bereichen setze ich mich für eine Stärkung des Verbraucherschutzes ein. Es ist ein Bohren ganz dicker Bretter. Aber auch durch die dicksten Bretter kommt man irgendwann mal durch. Man muss eben beständig weiterbohren, dies hat sich schon beim Mindestlohn gezeigt.

Weiterbohren möchte ich auch beim Finanz-TÜV. Unser Konzept ist dabei nicht mit den so genannten »Marktwächter Finanzmarkt« zu verwechseln. Der Finanzmarktwächter wird nämlich erst tätig, nachdem eine unseriöse Geldanlage bereits auf dem Markt ist.

Wir, die Arbeitsgruppe Finanzen der Bundestagsfraktion hat in den vergangenen Monaten Eckpunkte zur Ausgestaltung eines solchen Finanz-TÜV entwickelt. Das Papier liegt seit einigen Wochen vor. Noch ist das Konzept nicht komplett fertig, wir arbeiten weiter an Details. Ein wichtiger Schritt bis hierhin war das Fachgespräch zu unserem Konzeptpapier am 7. April 2016 mit acht Expertinnen und Experten aus Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen, Finanzsektor und Verbraucherberatung.

Hier wurde sehr deutlich, dass ein Finanz-TÜV große Unterstützung erhält, wie aber noch weitere Verbündete außerhalb, aber auch innerhalb des Parlaments gewinnen müssen. Daran, dass ein Finanz-TÜV sinnvoll und geboten ist, um nicht immer erst dann einzugreifen zu können, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, der Anleger oder die Anlegerin also schon Geld durch ein unseriöses Produkt oder die Pleite eines Finanzdienstleisters verloren hat, bestehen wenig Zweifel. Wir müssen weiter die mannigfaltigen Vorteile großflächig verbreiten.

Finanz-TÜV schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe

Denn unser Finanz-TÜV schlägt zugleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Extrem riskante und kaum noch durchschaubare Geldanlagen, mit dem Potenzial, gesamtgesellschaftlichen bzw. volkswirtschaftlichen Schaden anzurichten, verschwinden vom Finanzmarkt. Dies führt mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass das zuletzt immer und immer stärker zunehmende Finanzmarktvolumen insgesamt deutlich abnimmt. Die Gefahr einer platzenden Spekulationsblase verringert sich.

Dies bedeutet demnach auf der einen Seite, dass die Finanzmärkte entschlackt werden und sich ihre Komplexität und Intransparenz reduziert. In der Folge haben wir Finanzmärkte mit einer übersichtlicheren und leichter z.B. in ihrem Risikogehalt einzuschätzenden Zahl an Produkten. Dies bedeutet auf der anderen Seite, dass sich die Anlegerinnen und Anleger leichter ein Bild von den Produkten machen können, die zu ihren Anlagewünschen und ihrem Risikoprofil passen. Weil zudem schädliche und hochriskante Geldanlagen ausgefiltert werden und damit gar nicht mehr in die Hände privater Anlegerinnen und Anleger gelangen, dürften diese wesentlich seltener Anlagepleiten ausgesetzt sein, was letztlich zumindest ein kleines bisschen dabei hilft, die eigene Altersvorsorge aufzubessern und Altersarmut zu vermeiden.

Selbstverständlich ist dies insgesamt kein Plädoyer für die private Altersvorsorge, wir wollen weiterhin insbesondere die Gesetzliche Rente stärken, damit sie den Lebensstandard im Alter sichert, und eine einkommens- und vermögensgeprüfte Solidarische Mindestrente einführen. Die Höhe der Rente und das Gute Leben im Alter dürfen nicht von den Launen der Finanzmärkte abhängen. Insgesamt würde ein Finanz-TÜV für mehr Finanzmarktstabilität und schließlich auch für mehr Verbraucherschutz sorgen.

Schlupflöcher werden geschlossen

Die vorgelagerte Regulierung durch einen Finanz-TÜV, den jedes Produkt verpflichtend zu durchlaufen hat, hat noch weitere Vorteile: Sie sorgt erst einmal schlichtweg dafür, dass Regulierung und Kontrolle nicht mehr so einfach umgangen werden können, indem man ein gesetzliches Schlupfloch (z.B. Vermögensanlagen in einem Versicherungs- oder auch Genossenschaftsmantel) nutzt. Ferner würden bestimmte Finanzinstrumente, die der Steuervermeidung und Steuerumgehung dienen, sofort gründlich durchleuchtet und gar nicht erst in Umlauf gebracht. In Zeiten der Panama-Papers ein Beitrag zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung.

Schließlich mindert ein TÜV den Wettbewerbsdruck in der Finanzbranche: Zweifelhafte Geldanlagen wären nicht in dem Umfang auf den Markt gekommen, wenn die Kreditinstitute nicht unter Wettbewerbsdruck gestanden hätten. Dieser Wettbewerbsdruck – der Eindruck, man müsse ein bestimmtes Produkt einführen, weil es auch von anderen Instituten vertrieben wird – würde naturgemäß nachlassen, wenn eine scharfe Zulassungsprüfung obligatorisch ist.

Ich möchte das Finanz-TÜV-Konzept in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren kontinuierlich und verstärkt in die gesellschaftlichen und politischen Debatten, ob parlamentarisch oder auf der Straße, einsickern lassen und weiter für die Einführung eines Finanz-TÜV werben und kämpfen.