Die Schwarze Null kann problemlos beerdigt werden.

Von Axel Troost

20.04.2016 / aus: Tagesspiegel Causa, vom 18.04.2016

Der Text ist zuerst erschienen auf causa.tagesspiegel.de[1]

Deutschland stand früher für einen leistungsfähigen Sozialstaat. Das hat sich geändert. In den letzten Jahren hat sich die Gesellschaft zusehends gespalten. Vermögen und Einkommen sind immer ungleicher verteilt. Millionen Menschen – seien es Niedriglöhner, Arbeitslose, Alleinerziehende – stecken in der Armutsfalle und können Geschichten vom deutschen Erfolgsmodell nicht mehr hören. Auch das Gemeinwesen ist in den letzten Jahren unter die Räder gekommen. Die vielen Pannen bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme sind symptomatisch für einen überschlanken und kaputt gesparten Staat.

Gesellschaftliche Teilhabe und Verteilung von Reichtum können und müssen politisch organisiert werden. Ein Lackmustest dafür sind die Haushaltsberatungen. Dort müssen Einnahmen und Ausgaben langfristig in Einklang gebracht werden. Die Ausgabenseite bestimmt sich von den gesellschaftlichen Bedarfen. Die Einnahmeseite hat damit nicht mitgehalten. Seit der Jahrtausendwende wurden Unternehmen und Gutverdienende massiv entlastet, die Erbschaftsteuer ist zu einer Dummensteuer verkommen. Die Reform der 1997 ausgesetzten Vermögensteuer wurde nichtmals angedacht. Kapitaleinkommen wurden durch die Abgeltungsteuer privilegiert, sofern sie nicht ohnehin legal oder illegal der Besteuerung entzogen werden. Bei der Frage, wie neue Finanzbedarfe langfristig zu decken sind, sollten daher höhere Steuern für Reiche und Unternehmen und ein funktionierender Steuervollzug das erste Mittel der Wahl sein.

Neben Steuern sind Schulden das zweite große Finanzierungsinstrument. Während stetige und konsumtive Ausgaben durch Steuern finanziert werden sollten, können langfristige investive Ausgaben grundsätzlich über Schulden vorfinanziert werden. Denn Investitionen zeigen ihren Nutzen erst in der Zukunft und sollten daher generationengerecht aus zukünftigen Steuereinnahmen beglichen werden. Der Bund kann sich derzeit zu Null- oder negativen Zinsen verschulden. Die Wirtschaft in Europa braucht dringend wirtschaftliche Impulse. Deswegen ist jetzt die Zeit für große Investitionen.

Aktuell stellen sich zwei große Finanzbedarfe, die starken investiven Charakter haben: Die Integration von Flüchtlingen sowie der Erhalt und Ausbau der öffentlichen Infrastruktur. Vielfach ist dies eine Angelegenheit der Kommunen. Da sie aber finanziell ausgeblutet sind, ist jetzt vor allem der Bund gefordert.

Um Hunderttausende Flüchtlinge zu integrieren, bedarf es kurzfristig Ausgaben in Höhe von 25 Milliarden Euro oder mehr – für Wohnungsbau, Verpflegung und Gesundheit, für Sprachkurse und weitere Qualifizierungs- und Integrationsmaßnahmen. Dazu kommen Personalaufstockungen in der öffentlichen Verwaltung. Bezogen auf die Wirtschaftsleistung bildet Deutschland bei den Personalausgaben inzwischen gemeinsam mit Rumänien das Schlusslicht in der EU. Das administrative Versagen bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme kam somit nicht überraschend.

Zum anderen hat die Kombination von Steuerentlastungen für Reiche und Unternehmen und gleichzeitiger Einführung der Schuldenbremse dazu geführt, dass auch die öffentliche Infrastruktur (Straßen, Brücken, Schulen, Turnhallen, Schwimmbäder,…) über Jahre hinweg massiv auf Verschleiß gefahren wurde. Auf kommunaler Ebene schätzt die Kreditanstalt für Wiederaufbau den Investitionsstau auf 130 Milliarden Euro. Darüber hinaus fehlen Investitionen des Bundes und der Länder bei Verkehrswegen, Bildung und Internet im zweistelligen Milliardenbereich.

Beide Herausforderungen stehen jetzt an und sprengen jeden Betrag bei weitem, der kurzfristig aus Überschüssen, Umschichtungen im Haushalt oder Steuererhöhungen bereitgestellt werden kann. Beide Probleme kleckerweise anzugehen, ist die falsche Antwort. Insofern führt an einer Kreditfinanzierung kein Weg vorbei, wenn man der kommenden Generation oder dem nächsten Bundestag nicht eine verrottete Infrastruktur oder weiter gespaltene Gesellschaft hinterlassen will. Die Schwarze Null ist schädliche Symbolpolitik und kann problemlos beerdigt werden. Die Schuldenbremse, die sich zusehend als Zukunftsbremse erweist, gilt in Notsituationen nicht. Insofern ist das einzige Hindernis der fehlende politische Wille. Rund wird ein Flüchtlingsintegrations- und Investitionsprogramm, wenn es durch eine Reform der Erbschaftsteuer, welche die Privilegierung von reichen Firmenerben beendet, die Wiedereinführung der Vermögensteuer und ein Maßnahmenpaket gegen Steuervermeidung und -hinterziehung flankiert wird.

Links:

  1. https://causa.tagesspiegel.de/die-schwarze-null-kann-problemlos-beerdigt-werden.html