Sanktionen sind keine kluge Politik

von Axel Troost

07.08.2014 / 07.08.2014

Die von der Europäischen Union gegenüber Moskau verhängten Sanktionen bringen für den Großteil der europäischen Länder wirtschaftliche Einbußen mit sich. Diese verstär­ken sich durch Reaktionen der russischen Führung selber das Geschäft mit EU-Län­dern deutlich einzuschränken. Russland hat seinerseits auch Strafmaßnahmen auf den Weg gebracht. Gestoppt werden alle Agrarimporte aus den USA und das gesamte aus der EU eingeführte Obst und Gemüse. Russland importierte im vergangenen Jahr rund 40 Prozent aller Lebensmittel. Sie hatten zusammengenommen einen Wert von 43 Mrd. Dollar. Rund 85 Prozent davon stammen aus Ländern, die nicht zur ehemaligen Sowjet­union gehörten. Die EU führte 2013 landwirtschaftliche Produkte im Wert von 11,8 Mrd. Euro nach Russland ein. Agrarimporte aus den USA machen pro Jahr rund 1,6 Mrd. Dollar aus. Zudem zieht Russland laut dem russischen Regierungschef Medwedew inBetracht, westlichen Fluggesellschaften den Überflug zu Zielen nach und von Asien über Russland zu verbieten. Das würde die Kosten für Flüge und die Flugzeiten signi­fikant ansteigen lassen. Die Entscheidung darüber sei aber noch nicht getroffen.

Die unmittelbaren Schäden dieser politischen Logik werden erst in einigen Wochen genauer abgeschätzt werden können. Fest steht schon heute – also vor den ökono­mischen Strafmaßnahmen: Russlands Wirtschaft trudelt in eine Rezession hinein; die Folgekosten der Eingliederung der Krim, die Belastungen aus der Flüchtlingsbewegung, höhere Leitzinsen und Unsicherheit werden die Investitionstätigkeit weiter reduzieren. Die Rezession kündigt sich durch einen Rückgang im PKW-Verkauf an und die Tendenz lassen im Land und bei ausländischen Produzenten die Alarmglocken schrillen. Im ersten Halbjahr 2014 ging der Fahrzeugverkauf in Russland, das lange Zeit drauf und dran war, Deutschland als Europas größten Automarkt einzuholen, um sieben Prozent auf 1,2 Millionen zurück. Außerdem zeichnet sich seit Monaten eine Kapitalflucht ab. Vor den Strafmaßnahmen der USA und der EU war für das laufende Jahr eine Kapital­flucht von rund 100 Mrd. Dollar (74,7 Mrd. Euro) erwartet worden. Es ist damit zu rechnen, dass durch Kapitalverkehrskontrollen auch die Finanzoperationen behindert werden.

Die europäische Konjunktur war auch ohne den Wirtschaftskrieg mit Russland äußerst fragil, vor allem die ökonomischen Schwergewichte Frankreich und Italien zeigten deut­liche Schwächetendenzen. Die Eskalationen der Sanktionen wird nicht zur Stabili­sierung betragen. Die Ukraine-Krise und Sanktionen gegen Russland werden das Wirtschaftswachstum zusätzlich deutlich nach unten drücken. Bereits in den Monaten April bis Juni hat die Entwicklung in der Ukraine Bremsspuren beim Wachstum hinter­lassen. Die Annahme, das zweite Quartal dieses Jahres weise gegenüber dem ersten Vierteljahr ein Plus von 0,3 Prozent auf, ist nicht mehr zu halten. Dies wird dazu führen, dass die Jahresprognosen für 2014 und 2015 zurückgenommen werden müssen.

Ein erstes Indiz: Das Neugeschäft der deutschen Industrie ist aktuell überraschend ein­gebrochen. Die Aufträge sanken um 3,2 Prozent zum Vormonat. Dies war der größte Rückgang seit September 2011 und ging vor allem auf stark sinkende Aufträge aus der Euro-Zone zurück. Das Bundeswirtschaftsministerium begründet die Entwicklung mit geopolitischen Risiken und betont: „Es ist daher zu erwarten, dass sich die Industrie­konjunktur in den kommenden Monaten eher moderat entwickeln wird.“

Gleichwohl hat Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel die wegen des Ukraine-Konflikts verhängten schärferen Wirtschaftssanktionen der EU gegen Russland ver­teidigt. Der Schaden wäre viel größer als möglicherweise ein paar Prozent Wachstum, wenn man nicht darauf reagieren würde, dass jemand im Nachbarland einen Bürgerkrieg anzettelt, sagte der SPD-Chef. „Wir dürfen nicht nur uns benehmen wie eine wirtschaftliche Interessengemeinschaft, sondern wir sind eine politische Union und müssen für Frieden auf dem Kontinent sorgen.“ Von der Konzeption „Wandel durch Annäherung“ ist beim amtierenden SPD-Chef nichts mehr in Erinnerung.

Die Erwartung, Russland werde unter den Folgen der Sanktionen einknicken und auf den Westen zugehen, ist absurd. Die Befürworter der Sanktionspolitik verkennen ein Russland, das immer dann stark wird, wenn es sich auf seine Autarkie besinnen muss – auf seine eigenen Ressourcen an Öl, Gas und anderen Rohstoffen einschließlich des unendlich weiten, in den letzten Jahren brachliegenden Landes. Die Ukraine-Krise hat Putin und seiner Administration die Möglichkeit gegeben, sich als kompromissloser Verteidiger der russischen Welt zu präsentieren, der für alle Russen kämpft. Umfragen belegten: Nie ist die Zustimmung zu Putin in der Bevölkerung so groß gewesen wie nach der Annexion der Krim. Gegen den aktuellen Kurs ist kaum Widerstand zu erwarten; im Gegenteil: die Opposition in Russland wird durch die westliche Politik geschwächt, wenn nicht gar pulverisiert.

In der Ostukraine herrscht Krieg. Die Regierung der Ukraine steht ökonomisch und finanziell mit dem Rücken an der Wand. Mühsam konnten die massiven innen­politischen Konflikte überbrückt werden. Die angeschlagene Regierung in Kiew hat einem Teil des Landes den Krieg erklärt. Es wäre wohl möglich gewesen, diese poli­tische Formation an den Verhandlungstisch zu bringen. Statt Schritte zu einer politi­schen Ordnung auf föderaler Grundlage herrscht jetzt Bürgerkrieg. Russland behauptet, es habe bereits 800.000 Flüchtlinge aufgenommen. Nach jüngsten UN-Angaben sind hingegen 285.000 Menschen aus der Ostukraine geflohen, davon rund 168.000 nach Russland.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) orientiert weiter auf Gespräche mit Moskau. Nur in Kooperation mit der russischen und der ukrainischen Führung könnten entscheidende Schritte zu einem Waffenstillstand gelingen. Steinmeier unterstreicht zurecht man müsse sehen, „dass ohne Moskaus Zutun eine politische Lösung des Ukraine-Konflikts kaum oder schwer möglich sein wird“.

In der Tat: Waffenstillstand und Frieden kann es nur auf dem Verhandlungsweg geben. Wirtschaftskrieg gegen Russland und die weitgehende Zerstörung der Ostukraine schaffen keine Basis für eine Verhandlungslösung. Es gibt aber eine Alternative zu Sanktionen und Militäreinsätzen: der russische Außenmister Lawrow und der deutsche Außenminister Steinmeier weisen zurecht auf die Notwendigkeit hin, Schritte zur Ein­stellung der Kampfhandlungen im Südosten der Ukraine, zur Schaffung sicherer Bedingungen für die Klärung der Absturzursachen eines malaysischen Passagierjets im Raum von Donezk und zur Aufnahme eines inklusiven Dialogs zu schaffen. Frank-Walter Steinmeier: „Sanktionen allein sind noch keine Politik. Deshalb wäre es in einer tiefgreifenden Krise leichtsinnig, allein darauf zu vertrauen. Alle Erfahrung zeigt: Wer den politischen Druck erhöht, um beim Gegenüber Verhandlungsbereitschaft zu erzeugen, muss auch selbst verhandlungsbereit bleiben.“ Zugespitzt: mit den Sank­tionen haben EU und die USA eher Hindernisse für eine Verhandlungslösung aufgebaut.

Wird der bisher eingeschlagene Kurs der Eskalation fortgesetzt, verengen sich die Spielräume für einen Deeskalationspfad. Damit verlässt Europa die Epoche der Ent­spannungspolitik hin zu einer Konfrontationspolitik. Für die FAZ scheint die neue Epoche schon eröffnet: „Die Europäer müssen sich deshalb grundsätzliche Gedanken über ihr künftiges Verhältnis zu Russland machen – und zwar bevor es an der nächsten Stelle zu brennen beginnt. Was derzeit geschieht, ist keine vorübergehende Klima­verschlechterung. Solange es in Moskau keine grundsätzlichen politischen Verände­rungen gibt, wird Streit zwischen Russland und fast dem ganzen Rest Europas eine Konstante bleiben. Dabei braucht es einen langen Atem. Nötig ist ein neuer Doppelbeschluss: Der Westen muss seine wirtschaftliche, politische und militärische Abwehrbereitschaft stärken und auch demonstrieren. (...) Der Westen muss eine Formel finden, die deutlich macht, dass er den Konflikt nicht will, dass er aber nicht zurück­weicht, wenn es um seine Werte geht.“ (FAZ, 4.8.2014) Einem Großteil der Anhänger der Sanktionslogik geht es schon jetzt nicht mehr um Druck, um zu einer Verhand­lungslösung zu kommen. Die Konfrontation zielt auf Abgrenzung: Ziel einer Politik der Sanktionen gegenüber Russland soll der Sturz Putins oder eine Isolation Russlands sein. Dies ist gewiss keine kluge Schlussfolgerung aus der Geschichte des 20.Jahrhunderts.