Die zeitliche Koinzidenz legt es nahe, die Arbeitsmarktreformen als ursächlich für die Trendwende am deutschen Arbeitsmarkt anzusehen und Kritik an ihren negativen Nebenfolgen mit dem Verweis auf ihre Wirksamkeit in der Hauptsache zurückzuweisen. Tatsächlich jedoch ist die Wirkung der Arbeitsmarktreformen sehr viel geringerals allgemein angenommen. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit ist auf schrumpfende Arbeitskraftreserven, verlangsamte Produktivitätsentwicklung und die Verteilung des Arbeitsvolumens auf mehr Köpfe zurückzuführen; die Mismatch-Kompenente der Arbeitslosigkeit wurde nicht verringert. Die erstaunliche Performanz des deutschen Arbeitsmarktes in der Krise 2008/2009 beruht auf Konstellationen und Mechanismen, die eher einer Rückbesinnung auf das traditionelle Modell einer „koordinierten“ Volkswirtschaft (Hall und Soskice 2004) zuzurechnen sind als dem neoliberalen Geist der Arbeitsmarktreformen. Aber auch im Negativen waren die Wirkungen der Reform geringerals von ihren Kritikern behauptet: Stagnation der Löhne, zunehmende Lohnungleichheit, wachsender Niedriglohnsektor und die Zunahme atypischerErwerbsformen liegen zwar durchaus in der Logik der Reformen, begannen jedoch mehrere Jahre vorher, und einige dieser Trends flachten nach den Reformen sogar ab. Als inhaltlichund zeitlich den Reformen zuzuordnende Effekte bleiben Zunahmen bei Leiharbeit und Minijobs.
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GREGOR GYSI: 90 Prozent unserer Zeit darauf verwenden, Politik zu machen
Europäischer Aktionstag der Gewerkschaften gegen Sozialabbau und Erhöhung des Rentenalters