Die Finanzkrise hat in ganz Europa die Staatsschulden massiv erhöht und die Krise des Euros maßgeblich befeuert. Die Finanztransaktionssteuer, deren Steuerlast substanziell von der Finanzbranche getragen würde, ist daher längst überfällig. Entsprechende Regierungspläne gibt es schon seit längerem. Umso unverständlicher, dass trotz der prekären Lage die Verhandlungen um eine teil-europäische Finanztransaktionssteuer wieder ins Stocken geraten sind.
Der Teilnehmerkreis ist letztlich auf nur noch elf EU-Staaten geschrumpft, dafür sind die Verhandlungen aber nun im entscheidenden Stadium angelangt. Basis der Verhandlungen ist ein Richtlinienentwurf der EU-Kommission. Dessen großer Clou ist das „Ansässigkeitsprinzip“: Demnach würde die Steuer nicht am Ort der Transaktion fällig (wie bei der gescheiterten Börsenumsatzsteuer in Schweden), sondern am Sitzland der Transaktionspartei festgemacht. Die breite Definition dieses Prinzips wird Steuervermeidungspraktiken erheblich erschweren.
Seit der Richtlinienentwurf vorliegt, warnt jede Woche eine neue Studie der Finanzlobby vor den angeblich mit der Steuer verbundenen Gefahren. Auch leitende Zentralbanker, voran Bundesbankchef Jens Weidmann und sein französischer Amtskollege Christian Noyer, grätschen wieder einmal dazwischen. Die Folge: Die Steuer gerät zusehends ins Wanken.
Ein besonderes Trauerspiel bietet dabei die französische Seite. Seit nach dem Skandalrücktritt von Haushaltsminister Cahuzac nunmehr das Finanzministerium für die Finanztransaktionssteuer verantwortlich ist, wird der Kommissionsentwurf von dessen Fachbeamten massiv hintertrieben. Dies gilt für sowohl die Bemessungsgrundlage, die durch Ausnahmen für Derivate und bestimmte Akteure massiv ausgehöhlt werden soll, als auch für das fundamentale Ansässigkeitsprinzip. Mit Frankreich fällt aber aktuell einer der bisher entschiedensten Befürworter der Steuer aus. Zusätzlich torpedieren Staaten wie Großbritannien und Luxemburg die Verhandlungen durch ständige Bedenken und Klageandrohungen, obwohl sie die Steuer selber gar nicht einführen werden. Großbritannien hat am Europäischen Gerichtshof bereits gegen das Verfahren geklagt.
Die Verhandlungen werden nach der Sommerpause auf hochrangigerer Ebene fortgesetzt. Wie sich Frankreich dann verhält, ist unklar. Einen Vorgeschmack auf anstehende Verwässerungen gibt eine Entschließung des Europaparlaments. Dieses hatte Anfang Juli per Resolution verschiedene Änderungen am Steuerdesign gefordert. Das Europäische Parlament ist in Steuerfragen zwar nur Zaungast, als Ort der Debatte aber dennoch ein guter Seismograf für politische Tendenzen.
Tatsächlich will das Europaparlament die Steuer in einigen Bereichen schärfen, in anderen dafür aber abschwächen. Positiv ist, dass das Europäische Parlament an einer breiten Ausgestaltung festhält und Ausnahmen verhältnismäßig restriktiv fasst. Die Vorschläge zur Verschärfung sind jedoch überwiegend nicht neu und werden, so Steuerkommissar Semeta in der Aussprache, von der Kommission nicht geteilt. Dagegen sind die Vorschläge für Aufweichungen allesamt neu und haben gute Chancen, tatsächlich aufgegriffen zu werden. Wie im Europaparlament dürfte daher auch bald unter den Regierungen wieder hart um Sonderregelungen für Pensionsfonds, Staatsanleihen und Wertpapierpensionsgeschäfte (Repos), für nichtfinanzielle Unternehmen und gruppeninterne Transaktionen gerungen werden. Besonders kritisch ist die vom Europaparlament und zuvor bereits vom Bundesrat vorgebrachte Ausnahme für sogenannte Market Maker. Diese sorgen, so die Theorie, durch ständige Kauf- und Verkaufsangebote für Liquidität und leben von geringen Spannen zwischen Kauf- und Verkaufskursen. Tatsächlich lässt sich harmloses Market Making aber nur schwer von unerwünschten Formen des Eigenhandels abgrenzen. Die Ausnahme würde somit ein Einfallstor zur Steuervermeidung schaffen.
Ungemach droht auch bei den Steuersätzen. Aus unerfindlichen Gründen will das Europaparlament den teilnehmenden Staaten verbieten, höhere Steuersätze als die von der Kommission vorgeschlagenen Mindeststeuersätze festzulegen. Dagegen hatte die Linksfraktion (GUE/NGL) im Europaparlament einen einheitlichen Mindeststeuersatz von 0,1 Prozent gefordert, war damit aber gescheitert.
Das Bundesfinanzministerium hat sich Fragen, wie es sich zu den im Europäischen Parlament diskutierten Ausnahmeregelungen verhält, verweigert. Offiziell, um seine Verhandlungsposition nicht zu schwächen, de facto aber, weil es sowohl FDP, welche sich als Gegner der FTS profilieren will, als auch SPD und Grüne bei Laune halten muss, welche ihre Zustimmung zum Fiskalvertrag an die Steuer geknüpft haben. Die Erfahrung mit der Steuer zeigt, dass die Beteiligten weniger aus eigener Einsicht, als auf Druck von außen handeln. Der Bankenrettungsfonds SoFFin hat bisher bereits Verluste von 23 Milliarden Euro realisiert. Die indirekten Kosten der Bankenrettung liegen noch weitaus höher. Daran gilt es zu erinnern.
Was hat das Europaparlament genau beschlossen?
Das Europäische Parlament (EP) hat am 3. Juli mit großer Mehrheit (522:141:42) eine Entschließung zur „Umsetzung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Finanztransaktionssteuer“ beschlossen. Es hält an einer breiten Steuer fest, fordert aber eine Vielzahl von konkreten Änderungen. Die Änderungsanträge haben jedoch bloß Appellcharakter.
Verschärfungen:
Schwächungen:
Ambivalent:
Machttaktisches Geplänkel:
Ein Teil der Änderungsanträge sollte eher als machttaktisches Geplänkel gesehen werden und haben eine stärkere Beteiligung des EPs und zentralisiertere Entscheidungen zum Ziel.
Die Liberalen (ALDE) hatten eine generelle Ausnahme von Pensionsfonds gefordert, waren damit aber recht deutlich gescheitert (225:458:23).
Die Linksfraktion (GUE/NGL) hatte einen einheitlichen Mindeststeuersatz von 0,1 % gefordert, war damit aber auch unterlegen.
Replik von Steuerkommissar Semeta auf die Entschließung (Parlamentsdebatte vom 2. Juli)
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