Politikwechsel gegen soziale Spaltung in Europa notwendig!

Von Axel Troost, finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE und stellvertretender Vorsitzender der Partei DIE LINKE

16.01.2013 / 16.01.2013

Die Europäische Union ist sozial tief gespalten und eine Tendenzwende zeichnet sich nicht ab. Der zuständige EU-Kommissar Andor beschönigt die Lage nicht: „bei der sich verschlechternden sozialen Lage war 2012 ein weiteres miserables Jahr für Europa.“ Vor allem der Verlust des Arbeitsplatzes drängt immer mehr EU-Bürger ins Abseits: Die verfügbaren Haushaltseinkommen schrumpfen, das Armutsrisiko steigt deutlich – vor allem in den Ländern Süd- und Osteuropas. „Die Auswirkungen der Krise auf die sozia­le Lage machen sich nun deutlicher bemerkbar“, heißt es in der Stellungnahme der EU-Kommission.

In zwei Dritteln aller EU-Staaten steht Privathaushalten heute weniger Geld zur Verfü­gung als 2009. Besonders stark geschrumpft ist das Bruttorealeinkommen in Griechen­land (17 Prozent), Spanien (acht), Zypern (sieben) sowie Estland und Irland (je fünf Prozent). „Diese Entwicklung steht in krassem Gegensatz zu der Lage in den nordi­schen Ländern“, heißt es in dem Bericht. Als Beispiele werden Deutschland, Frankreich und Polen genannt, „wo aufgrund der Sozialfürsorgesysteme und der widerstandsfähi­geren Arbeitsmärkte auch während der Krise das Gesamteinkommen steigen konnte.“

Der EU-Kommissar ist auch skeptisch, ob in der weiteren Entwicklung eine Trendwende erreicht werden kann. Die soziale Spaltung vertieft sich nicht nur zwischen den Mit­gliedstaaten, sondern auch in den Ländern selbst. „Der den Arbeitskräften zufallende Anteil des von der Wirtschaft generierten Gesamteinkommens ist in Europa im vergan­genen Jahrzehnt zurückgegangen“, lautet die lapidare Feststellung der EU-Kommis­sion: „Dabei hat sich die Schere zwischen gut und gering bezahlten Tätigkeiten weiter geöffnet.“

Die Tendenz zur Vertiefung der sozialen Spaltung könnte gleichwohl durch eine ent­sprechende Politik zurückgedrängt werden. Im EU-Bericht wird vor allem auf die Min­destlöhne hingewiesen, wie es sie in vielen Mitgliedstaaten bereits gibt: Entgegen dem verbreiteten Vorurteil sei die „Beschäftigungsquote in diesen Ländern sogar tendenziell höher“.

Die EU-Analyse hat ergeben, “dass die Mitgliedstaaten mithilfe geeigneter arbeitsmarkt­politischer Reformen und einer besseren Ausgestaltung der Sozialfürsorgesysteme wirtschaftlichen Erschütterungen besser standhalten und die Krise schneller überwin­den können. Es ist zudem unwahrscheinlich, dass sich die sozioökonomische Lage in Europa 2013 wesentlich verbessern wird, es sei denn, es gelingt, die Überwindung der Eurokrise glaubwürdig weiter voranzutreiben, die Ressourcen für dringend benötigte Investitionen zu schaffen, unter anderem im Bereich Kompetenzaufbau, Beschäfti­gungsfähigkeit und soziale Integration, und die Finanzwirtschaft in den Dienst der Real­wirtschaft zu stellen”, so Andor.

Ein weiteres Ergebnis des Berichtes ist die These, dass die Krise, die Vertiefung sozia­ler Spaltung und damit die Absenkung des Lebensstandards nicht einfach nur mit Geld oder Rettungsschirmen zu beseitigen sind. Entscheidend bleiben wirtschaftliche Struk­turreformen.

An dieser Stelle wird aber zugleich deutlich, dass die EU selbst mit ihrem Politikansatz hilflos auf die Entwicklungstendenzen reagiert. Die Europäische Kommission berichtet zur gleichen Zeit in dem Anzeiger 2012 für staatliche Beihilfen (Beihilfenanzeiger) die Daten für die staatlichen Beihilfen für das Jahr 2011. Der Gesamtumfang an Beihilfen, den die EU-Kommission für die Finanzbranche grundsätzlich genehmigt und freigege­ben hatte, ist enorm: Er beläuft sich 2008 bis 1. Oktober 2012 auf 5,06 Billionen Euro - das sind ganze 40 Prozent des EU-Bruttoinlandsproduktes. In Anspruch genommen haben die Finanzinstitute Europas wegen der Krise bisher insgesamt 1,616 Billionen Euro. Der Wert entspricht 13 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung. Zwei Drittel der Ban­kenhilfen wurden demnach in Form von staatlichen Garantien für Kredite der Banken untereinander gewährt. Neben den Liquiditätsmaßnahmen - die 1,174 Mrd. Euro aus­machten - entfiel der Rest auf die Stützung der Solvenz, Rekapitalisierungen und die Entlastung wertgeminderter Vermögenswerte.

Im krassen Gegensatz dazu stehen die Mittel für die Realökonomie (Industrie und Dienstleistungen). Die staatliche Unterstützung für die Realwirtschaft infolge der Krise ging laut EU-Kommission 2011 gegenüber 2010 um mehr als die Hälfte zurück und machte 4,8 Mrd. Euro aus. Dies zeigt eine geringere Inanspruchnahme und die Spar­zwänge der EU-Staaten. Die Gesamtaufwendungen für staatliche Beihilfen in der Euro­päischen Union (EU) für Strukturreformen sanken 2011 weiter auf 64,3 Mrd. Euro bzw. 0,5% des EU-BIP. Wenngleich die Mitgliedstaaten allgemein ihre Bemühungen zur Ver­ringerung des Beihilfeniveaus fortsetzten, ist ein erheblicher Teil des Rückgangs mut­maßlich auf die schwierigere Haushaltslage in vielen Mitgliedstaaten zurückzuführen. Mit diesem Rückgang der Aufwendungen für staatliche Beihilfen setzt sich der allge­meine Trend aus dem Zeitraum 2006-2011 fort. Der seit 2006 zu beobachtende Auf­wärtstrend bei freigestellten Beihilfen setzte sich fort; sie machen nunmehr etwa 32,5% der Gesamtaufwendungen für den Sekundär- und den Dienstleistungssektor aus.

Auf der Grundlage des vorläufigen Finanzrahmens führten die Mitgliedstaaten 2011 (außer in der Landwirtschaft) keine neuen Beihilfemaßnahmen ein. Es wurden jedoch einige bestehende Maßnahmen, die 2009 bzw. 2010 genehmigt worden waren, verlän­gert. 2011 wurden mit 4,8 Mrd. Euro weniger Beihilfen nach dem vorübergehenden Rahmen gewährt als in den Vorjahren. Insgesamt wurde auf der Grundlage des vo­rübergehenden Rahmens bei einem Gesamtumfang der genehmigten staatlichen Beihil­fen von 82,9 Mrd. Euro ein Volumen von rund 37,5 Mrd. Euro verwendet.

Eine Veränderung wäre also nur durch einen deutlichen Politikwechsel zu erreichen. Ein wesentlicher Punkt könnte eine Investitionsoffensive sein, wie sie der DGB mit dem Marshall-Plan für Europa vorschlägt. Ohne mutige Impulse für die Reform der Realöko­nomie wird die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion immer brüchiger und kri­senanfälliger werden.