Staatsverschuldung – Fragen und Antworten

10.10.2011 / Axel Troost

Sind Staatsschulden gut oder schlecht?

Kaum jemand bestreitet, dass Kredite eine sinnvolle Erfindung sind. Denn ohne Kredit­system, ohne die Vorfinanzierung von Investitionen und Anschaffungen, ist eine entwi­ckelte Wirtschaft nicht denkbar. Zu einem Kreditsystem gehören immer zwei Seiten: einerseits Forderungen und andererseits Verbindlichkeiten oder Schulden. Wo es keine Schuldner gibt, gibt es auch keine Gläubiger. Trotz dieser Binsenweisheit ist immer wieder zu hören, dass Schulden etwas von vornherein Schlechtes seien. Diese Be­hauptung ist aber, insofern sie sich auf das „Schuldenmachen“ an sich bezieht, unsin­nig, unlogisch und kindisch. Wer jegliche Schulden verteufelt, muss auch die Abschaf­fung des Kreditsystems fordern. Die Frage kann also nicht lauten, ob Schulden und so­mit auch Staatsschulden per se gut oder schlecht sind. Entscheidend sind vielmehr im­mer die konkreten Bedingungen der Staatsverschuldung. Ob die vom Staat aufgenom­menen Schulden sinnvoll verwendet werden und inwieweit die Kreditbedienung gesi­chert ist, hängt also vom jeweiligen Einzelfall ab.

Wer verleiht das Geld an den Staat?

Bei der Finanzierung europäischer Staaten sind Banken die wichtigsten Akteure. Sie vergeben Kredite an die Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Kommunen) und plat­zieren Staatsanleihen am Kapitalmarkt. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Ban­ken in diesem Geschäft nicht nur Gläubiger des Staates, sondern auch Schuldner ihrer Kunden sind, deren Geld die Banken verleihen oder anlegen. Vermittelt über die Ban­ken sind es letztendlich vor allem die in- und ausländischen Bürgerinnen und Bürger, insbesondere das vermögende Bürgertum, sowie Unternehmen, denen der Staat Geld schuldet. Zur Anlegerstruktur heißt es im aktuellen Monatsbericht Mai der EZB (Seite 35): „Ende 2009 erfolgte die öffentliche Mittelaufnahme im Eurogebiet zu 82% über Schuldverschreibungen. Der Anteil der Bankkredite lag bei rund 15%. Betrachtet man die Entwicklung aus Sicht der einzelnen Euro-Länder, so halten inländische (gebietsan­sässige) Anleger rund 47% der gesamten Staatsverschuldung, während sich 53% im Bestand ausländischer Investoren (einschließlich Anlegern aus anderen Euro-Ländern) befinden. ... Der Anteil der von inländischen Anlegern gehaltenen staatlichen Schuldtitel variiert von Land zu Land und liegt grob zwischen 20% und 90%.“

Wer oder was bestimmt den Zinssatz der Staatsverschuldung?

Der Zinssatz, der von Staaten für Anleihen oder Kredite zu zahlen ist, hängt von vielen Faktoren ab. Zu den klassischen Faktoren zählen: bereits erreichter Stand der Staats­schulden, aktuelle Neuverschuldung, Herkunft der Gläubiger (Inland oder Ausland), Währung (eigene Währung oder Fremdwährung), Zinslastquote (Anteil der Zinsen am Staatshaushalt), außenwirtschaftliches Ungleichgewicht (Defizit oder Überschuss der Leistungsbilanz) und nicht zuletzt die politisch-militärische Durchsetzungsfähigkeit des jeweiligen Staates. All diese Faktoren lassen sich zusammen fassen in dem Kriterium: Sicherheit und Verlässlichkeit der Bedienung und Tilgung von Schulden. Darüber hin­aus ist die Zahlungsfähigkeit von Staaten vermehrt zum Objekt von Spekulationen ge­worden. Zu beachten ist dabei insbesondere der Handel mit Kreditausfallversicherun­gen. Diese Versicherungen sind gefährlich, wenn sie unabhängig und getrennt von dem zugrundeliegenden Kredit gehandelt werden. Dann hat der Inhaber der handelbaren Kreditausfallversicherung ein Interesse daran, dass die Zahlungsfähigkeit des jeweili­gen Staates massiv in Zweifel gezogen wird. Gelingt das, kann der Inhaber seine Versi­cherung an einen nicht versicherten Gläubiger des jeweiligen Staates mit einem erheb­lichen Aufpreis verkaufen. Im Extremfall wird dann ein Mehrfaches des ursprünglichen Preises der Versicherung gezahlt.

Fressen die Zinsen die Steuern auf?

Hier kommt es entscheidend darauf an, die Zunahme der Staatsverschuldung im Ver­gleich zur Veränderung des Volkseinkommens zu betrachten. Eine ausschließliche Be­trachtung absoluter Größen in diesem Zusammenhang ist hingegen irreführend. So sei ein Blick auf die erste Hälfte des Jahrzehnts geworfen, als der letzte Anstieg der Staatsverschuldung zu verzeichnen war. In der Logik jener, die behaupten, dass die zu zahlenden Zinsen für die Staatsschulden zunehmend die Einnahmen aufzehren, hätte sich dies in einem deutlichen Anstieg der Zins-Steuer-Quote ausdrücken müssen. (Die­se Kennzahl sagt, wie viel Cent von jedem Euro, der als Steuer eingenommen wird, als Zinszahlung abgeführt werden muss.) Tatsächlich war es aber so, dass es in dieser Zeit zu keinen dramatischen Veränderungen diesbezüglich gekommen ist. Nach einem An­stieg um ein halbes Prozent lag die Zins-Steuer-Quote bereits 2005 wieder unter dem Niveau von 2000 und sank im Jahr 2006 weiter um ca. einen Prozentpunkt. Weiterhin stellt sich die Zinslast im Vergleich mit allen anderen Ausgaben des Staates noch un­dramatischer dar. Die entsprechende Zins-Ausgaben-Quote nahm von 2000 bis 2005 kontinuierlich um insgesamt ein Prozent ab.

Außerdem: Die in der Zukunft zu zahlenden Zinsen relativieren sich auch dadurch, dass sie der Inflations- und Produktivitätsentwicklung unterliegen. Auch unterliegen die Zinszahlungen selbst wieder dem Zugriff des Fiskus, so dass sie sich in ihrer „Netto-Zahlung“ weniger dramatisch darstellen, als es zunächst den Anschein hat. Weiterhin entschärft sich derzeit diese Zinsbelastung auch dadurch, dass mit der krisenhaften Entwicklung auch eine Senkung der Leitzinssätze einhergeht. Ein Prozentpunkt ent­spricht etwa 15 Mrd. Euro im Jahr.

Warum Griechenland und nicht Japan?

Gemessen am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt sind die Staatschulden Japans deutlich größer als die griechischen. Japan hat aktuell einen Schuldenstand von knapp 200% des BIP – fast das Doppelte des Vergleichswerts Griechenlands (120% des BIP). Trotzdem gibt es gegenwärtig keine Zweifel an der Bonität Japans. Der Vergleich zeigt, dass der Schuldenstand nicht oder jedenfalls nicht allein über die Zahlungsfähigkeit ei­nes Landes entscheidet. Weitere Faktoren sind zu berücksichtigen. Wie hoch ist der (durchschnittliche) Zinssatz, den das jeweilige Land für seine Schulden zu zahlen hat? Wie hoch ist der Anteil der Schuldzinsen an den Staatsausgaben? Haben die Steuer­einnahmen ein angemessenes Verhältnis zur Zinslast? Ist das Land eher im Inland oder eher im Ausland verschuldet? Wurden die Schulden in eigener oder in Fremdwährung aufgenommen? Steigt die Staatsverschuldung schnell und sprunghaft oder eher lang­sam und allmählich? Verschlechtert oder verbessert sich die Wettbewerbsfähigkeit des jeweiligen Landes? Bei all diesen Faktoren hat Griechenland – im Gegensatz zu Japan

– große Probleme. Griechenlands Wettbewerbsfähigkeit ist (nicht zuletzt aufgrund deut­schen Lohndumpings) in den vergangenen Jahren gesunken. Parallel dazu ist die grie­chische Staatsverschuldung vor allem gegenüber dem Ausland schnell gewachsen. Aktuell ist der griechische Staat zu rund 80 Prozent gegenüber dem Ausland verschul­det. Fällige Anleihen kann der griechische Staat aktuell nur tilgen, wenn er im Gegen­zug frisches Geld zu tragfähigen Zinsen im Ausland bekommt. Laufen die verlangten und spekulativ in die Höhe getriebenen Zinsen, wie im Frühjahr 2010, aus dem Ruder, ist die Zahlungsfähigkeit akut gefährdet. Ganz anders Japan: das Land ist international wettbewerbsfähig und verfügt über Devisenreserven in beträchtlicher Dimension, der Staat ist – bei einem extrem niedrigen Zinsniveau – nahezu ausschließlich im Inland verschuldet.

Gibt es Grenzen der Staatsverschuldung?

Ja, aber nur innerhalb starrer institutioneller Rahmenbedingungen. Unter diesen Um­ständen lassen sich theoretisch Verschuldungsgrenzen ableiten, wenn die Zinsen auf die bestehenden Staatsschulden alleine für eine permanent ansteigende Verschuldung sorgen. Selbst in der theoretischen Konstruktion, ist eine solche Staatsverschuldungs­grenze nicht nur von der Höhe der bisherigen Staatsverschuldung sondern von vielen weiteren Bedingungen abhängig – z. B. Zinssätze, Inflationsrate, Wirtschaftswachstum, der Möglichkeit zur Generierung weiterer Staatseinnahmen etc. sowie insbesondere von den Wechselwirkungen dieser verschiedenen Einflüsse untereinander. Wichtig ist vor allem auch die Handlungsfähigkeit des jeweiligen Staates. Umso souveräner er agieren kann, umso eher ist in der Lage, den gegebenen institutionellen Rahmen zu verändern, um die beschränkende Wirkung der Staatsverschuldung auszuhebeln, bei­spielsweise durch eine Währungsreform. Selbst bei eingeschränkter Souveränität auf­grund von Verschuldung in Fremdwährung bestehen Möglichkeiten die Grenzen aufzu­heben, beispielsweise durch Einstellung des Schuldendiensts.

Kann man Staatsbankrott definieren?

Aus juristischer Perspektive gibt es keinen Staatsbankrott – er widerspräche dem Sou­veränitätsprinzip des Staates. Der Bankrott einer Person oder eines Unternehmens ist ein rechtlich festgelegter Akt. Er vollzieht sich innerhalb einer bestehenden Rechtsord­nung, die für diesen Fall Definitionen und Vollzugsregeln bereit hält (Insolvenzordnung). Die Einhaltung der Regeln wird durch den Staat als übergeordneter Instanz mit seinem beanspruchten Gewaltenmonopol durchgesetzt (einen funktionierenden Staat voraus­gesetzt). Für Staaten existiert dagegen kein Insolvenzregelwerk, dessen Einhaltung durch einen übergeordneten Souverän per Gewaltenmonopol erzwungen werden kann. Aus ökonomischer Perspektive können Staaten zahlungsunfähig werden, wie z. B. Ar­gentinien Ende der 90ger Jahre. Zahlungsunfähig ist ein Staat, wenn er seinen Zah­lungsverpflichtungen im bestehenden institutionellen Rahmen nicht mehr nachkommen kann. Das kann sowohl den Schuldendienst (Zinsen und Rückzahlungen) als auch bei­spielsweise die Gehaltsforderungen der öffentlich Angestellten betreffen. Mit Bezug auf den Schuldendienst ist die Gefahr der staatlichen Zahlungsunfähigkeit umso höher, umso stärker ein Staat in ausländischer Währung verschuldet ist. In diesem Fall ist er nur noch beschränkter Souverän. Trotzdem gilt, dass ein Staat über ganz andere Mög­lichkeiten verfügt als ein privater Akteur, um auf die Zahlungsunfähigkeit zu reagieren. Er kann beispielsweise seine Schulden einfach nicht mehr bedienen. Während das bei einem privaten Akteur das Ende seiner bisherigen oder zumindest einen starken Eingriff in seine bisherige Wirtschaftstätigkeit bedeutet, gilt das für einen Staat so nicht. Selbst wenn er zu Verhandlungen mit internationalen Gläubigern gezwungen ist, ist seine Ver­handlungsposition in aller Regel deutlich mächtiger als die von privaten Bankrotteuren.

Gibt es für entwickelte Volkswirtschaften einen Zwang zur Verschuldung?

Einen „Zwang“ in der strengen Wortbedeutung gibt es nicht – das würde absolut gelten­de ökonomische Gesetzmäßigkeiten voraussetzen und die politische Handlungsfähig­keit des Staates erheblich in Frage stellen. Empirisch lässt sich allerdings beobachten, dass große entwickelte Volkswirtschaften seit den 70er Jahren im Trend steigendeStaatsverschuldung aufweisen. Über die Ursachen wird trefflich gestritten (Stichworte: verschuldungsgeneriertes Wachstum, Verwertungsproblematik, Sättigungstendenzen). Festhalten lässt sich folgendes: Ein fiskalischer Zwang zur zunehmenden Verschul­dung, im Sinne von fehlenden Finanzierungsalternativen gibt es nicht. Im Gegenteil ist ein nicht unerheblicher Teil der zunehmenden Staatsverschuldung gerade in jüngster Zeit auf Steuersenkungen zurückzuführen.

Bedeutet Staatsverschuldung automatisch eine Umverteilung von unten nach oben?

Gerade auch unter Linken wird häufig kritisiert, dass durch die Zinszahlungen an die Banken, Versicherungen, Pensionsfonds u.s.w. die Vermögenden begünstigt werden.Diese Überlegung ist zwar nicht grundsätzlich falsch, jedoch sollten die großen Vermö­gen grundsätzlich und unabhängig von der Staatsverschuldung über eine entsprechen­de Besteuerung in die Pflicht genommen werden. Hier gilt vor allem: „Sofern die (durch die Staatsverschuldung finanzierte; d. Verf.) öffentliche Güterproduktion bevorzugt „den Armen“ zugute käme, etwa als „zweite Lohntüte“, da „Besserverdienende“ sich viele Leistungen privat kaufen könnten, wäre die reale Gegenbuchung eine Begünstigung der „Armen“. Auch „ist darauf hinzuweisen, dass die Anleger ohne die Möglichkeit, Vermö­gen mit staatlichen Wertpapieren zu bilden, auf alternative (und oftmals wesentlich risi­koreichere; R.D.) Angebote auf den Finanzmärkten im In- und Ausland zurückgreifen würden.“ (Rainer Volkmann)

Stellt die zunehmende Staatsverschuldung aber nicht auch ein Gerechtigkeits­problem gegenüber künftigen Generationen dar?

Wer diese Frage stellt, vergisst, dass Schulden immer auch Vermögen in entsprechen­der Höhe gegenüberstehen. Und diese Vermögen werden eben auch an künftige Gene­rationen weitervererbt. An künftige Generationen wird also weitergegeben, dass auch diese um eine gerechtere Verteilungs- und Wirtschaftspolitik werden streiten müssen.

Welche volkswirtschaftlichen Auswirkungen hat es, wenn der deutsche Staat sei­ne Schulden reduziert?

Jedem Kredit steht immer auch eine entsprechende Ersparnis gegenüber. Für Deutsch­land sah dies im Jahr 2006 so aus, dass einer Geldvermögensbildung bei den privaten Haushalten und dem Finanz- und Unternehmenssektor in Höhe von insgesamt 161 Mrd. Euro eine Neuverschuldung des deutschen Staates und des Auslandes mit einer entsprechend gleich hohen Summe gegenüber stand.

Das Ausland: Bereits bisher resultiert dessen Verschuldung aus der Finanzierung des deutschen Exportüberschusses. Diesen Weg weiter zu beschreiten hieße, Exportgüter weiterhin durch Lohndrückerei hierzulande zu verbilligen und die Volkswirtschaften an­derer Länder noch mehr gegen die Wand zu drücken.

Die privaten Haushalte: Innerhalb der privaten Haushalte ist zunächst eine extrem un­gleiche Verteilung der Ersparnisse festzustellen. Während 70 Prozent der Bevölkerung im Jahr 2007 über nur 8,8 Prozent des Nettovermögens verfügten, befinden sich 90 Prozent dieses Vermögens in den Händen der reichsten 30 Prozent der Bevölkerung. Außerdem gelten mehr als sechs Millionen Menschen als überschuldet. Vordringliches Ziel muss es hier also sein, zuerst innerhalb des Sektors „Private Haushalte“ zu einer Umverteilung von oben nach unten zu gelangen. Nur in zweiter Linie erscheint hier eine intersektorale Umverteilung hin zum Staat erstrebenswert.

Unternehmenssektor und Finanzwirtschaft: Diese Sektoren stärker zur Finanzierung des Staates heranzuziehen ist grundsätzlich richtig und wichtig. Schließlich haben die enormen Unternehmensteuergeschenke und die Liberalisierungen für die Finanzwirt­schaft massiv zum Entstehen der derzeitigen Wirtschaftskrise beigetragen. Allein die Forderung kommt mitten in der Krise zur Unzeit. „Die löblich klingende Forderung, staatliche Konjunkturprogramme nur insoweit durchzuziehen, wie gleichzeitig Geld über die höhere Besteuerung der Einkommen und Vermögen hereinkommt, heißt die Krisen­bekämpfung aufzugeben…

Sollte die Staatsverschuldung auch in der Krise reduziert werden?

„…In der Krise schrumpfen sowohl die Vermögen als auch die Einkommen auf diese Vermögen. Das ist schließlich der Kern jeder Verwertungskrise. Ganz abgesehen da­von, dass Gesetzgebung und Durchführung selbst radikal formulierter Einkommens­und Vermögenssteuerreformen ein nennenswertes Plus bei den Staatseinnahmen frü­hestens in zwei Jahren abwerfen. (…) Es gilt die aktuelle Überproduktions- und Unter­konsumptionskrise daran zu hindern, von einer scharfen Rezession zu einer tiefen und lang andauernden Depression zu werden.“ (Lucas Zeise)

Wie kommt man denn nun aus der Staatsverschuldung heraus?

Es muss erstens darum gehen, in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs diesem mit dem Instrument der Kreditaufnahme entgegen zu wirken um möglichst zügig wieder in eine Phase wirtschaftlicher Prosperität zu gelangen. Unabhängig von konjunkturellen Wirtschaftszyklen gilt es zweitens durch eine Steuer- und Sozialpolitik zu Gunsten je­ner, die auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen sind, die verteilungspolitische Schieflage dauerhaft zu überwinden. Parallel dazu ist eine Stärkung der gewerkschaftli­chen Durchsetzungskraft zwingend erforderlich. Und drittens ist es unabdingbar, dass in Zeiten sprudelnder Gewinne überdurchschnittliche Steuereinnahmen auch zur Beglei­chung der Staatsschulden verwendet werden müssen. Dementsprechend gilt es die Überwindung der Staatsverschuldung vor allem durch ein „Herauswachsen“ aus ihr zu erreichen.

Die weiteren, häufig genannten (und gerne auch verabsolutierten), Möglichkeiten zur Schuldenreduzierung, bestehen in der Reduzierung von bestimmten Staatsausgaben, einer Herabsetzung der Zinssätze zu denen sich der Staat verschuldet und ggf. in einer Entwertung der Schulden. Bei der Reduzierung von Staatsausgaben kommt es vor al­lem darauf an, den Rotstift dort anzusetzen, wo diese volkswirtschaftlich kontraproduk­tiver und politisch falscher Natur sind, wie etwa bei den Rüstungsausgaben. Für dauer­haft niedrigere Zinssätze wäre eine andere Zentralbankpolitik nötig, die z.B. eine unmit­telbare Refinanzierung der Staaten bei der Zentralbank zulässt. Eine Entwertung von Schulden schließlich, kann unmittelbar dadurch geschehen, dass die Gläubiger zu Zu­geständnissen gezwungen werden oder aber z.B. auch dadurch, dass versucht wird eine Inflation in Gang zu setzen. Sehr entscheidend hierbei ist aber, wie weit man sich in der Lage sieht, die damit verbundenen Auswirkungen im Griff zu haben. Generell gilt aber, dass diese weiteren Möglichkeiten zur Schuldenreduzierung das oben beschrie­ben „Herauswachsen“ aus der Staatsverschuldung, richtig angewendet, nur positiv un­terstützen, nicht aber dauerhaft ersetzen kann.

Schuldenabbau durch Inflation?

Ist für den Staat möglich, vorausgesetzt die durch die Inflation bedingte Entwertung sei­ner Schulden wird nicht komplett in einen sofortigen Zinsanstieg eingepreist. Diese Vo­raussetzung ist für Staaten umso mehr gegeben, umso souveräner sie agieren können. Souveränität beinhaltet vor allem die Möglichkeit der Verschuldung in eigener Währung. Dann können Staatsschulden durch Rückgriff auf die „Notenpresse“ relativ einfach ent­wertet werden. Allerdings ist das Instrument Inflation bedenklich. Verteilungspolitisch trifft Inflation vor allem die EmpfängerInnen von mittleren, aber auch von niedrigen Ein­kommen, sie müssen Einkommensverluste und – so weit vorhanden – eine Abwertung ihrer Ersparnisse hinnehmen. Auch zwischen stabilisierungspolitischen und Entschul­dungszielen besteht ein Gegensatz: Eine Entschuldung mittels Inflation wirkt umso mehr, je höher die Inflation ausfällt oder aber wenn sie im Zeitablauf immer mehr an­steigt. Beides ist stabilisierungspolitisch schädlich. Umgekehrt kann gesagt, dass ein moderater Inflationsanstieg zwar stabilisierungspolitisch unbedenklich (bzw. eventuell sogar positiv) ist. Aber ein solcher wird kaum zur öffentlichen Entschuldung beitragen, da er aller Wahrscheinlichkeit nach relativ schnell in die Zinssätze mit einfließt.

Wie muss das Regelwerk für den Euro verändert werden?

Die Europäische Zentralbank ist primär dem Ziel verpflichtet, die Stabilität des Euro zu wahren. Konkret setzt sie sich das Ziel, die Inflation unter, aber nahe bei 2% zu halten. Da nun angeblich die Staatsverschuldung einen erheblichen Einfluss auf die Stabilität der Währung hat, wurden die Länder der Eurozone auf die Einhaltung sogenannter Stabilitätskriterien verpflichtet. Nicht mehr als 3% jährliche Neuverschuldung und nicht mehr als 60% Schuldenstand (jeweils gemessen am Bruttoinlandsprodukt) – das sind die beiden wesentlichen Kriterien. Bereits seit Beginn der Währungsunion sind diese beiden Kriterien immer wieder verletzt worden. In den beiden vergangenen Krisenjahren 2008 und 2009 waren die Stabilitätsziele in nahezu allen Mitgliedsländern der Eurozone nicht haltbar. Aufgrund dieser Erfahrungen wird aktuell heftig über das Euro-Regelwerk diskutiert. Die vor allem von der Bundesregierung vertretene Position lautet: Die Stabili­tätskriterien sollen uneingeschränkt werden gelten, müssen aber energischer und sank­tionsbewehrt durchgesetzt werden. Die Gegenposition lautet: Die Eurozone bedarf einer koordinierten Wirtschaftspolitik, die nicht nur Staatsdefizite, sondern auch alle anderen relevanten Politikfelder im Blick hat. Zu koordinieren sei insbesondere die Lohnpolitik, um gefährlichen, von Unterschieden der Lohnentwicklung ausgehenden außenwirt­schaftlichen Ungleichgewichten entgegen zu treten.