Lucas Zeise: Schlag ins Wasser

Im EU-Parlament wird parteiübergreifend ein Märchen über effektive Finanzaufsicht erzählt. Die Realität sieht anders aus

20.10.2010 / junge Welt vom 16.10.2010

Ende September ist den Abgeordneten des EU-Parlaments ein Schlag ins Wasser gelungen. Mit überwältigender Mehrheit beschlossen sie, einen Haufen neuer Behörden und Gremien zu installieren, die sich vom Januar 2011 an mit der Finanzaufsicht befassen sollen. Sie folgten damit, wie das in der Europäischen Union üblich ist, den Vorgaben von Kommission und Rat. Mit letzterem ist die Versammlung der Staats- und Regierungschefs gemeint, die in der EU letztlich entscheidend ist. Da die Banken- und Börsenaufsichtsbehörden, wie wir durch die Finanzkrise wissen, in aller Welt, in den USA und Europa aber ganz besonders, versagt haben, wäre eine Neuordnung der Aufsicht im Rahmen der EU ein durchaus nützliches, um nicht zu sagen notwendiges Unterfangen. Das Echo auf den Beschluß des Parlaments blieb dennoch dünn.

Doch es war wenigstens positiv. Wie üblich wurden die positiven Meinungen der Parlamentarier über ihr eigenes Tun zustimmend weiterverbreitet. Der Abgeordnete Sven Giegold von den Grünen wurde besonders gern zitiert. Er hatte unter der Überschrift »EU-Parlament setzt schlagkräftige europäische Finanzaufsicht durch« einige knackige Sätze formuliert, die dem Publikum weismachen sollten, die neu geschaffenen Aufsichtsstrukturen seien nicht nur europäisch, sondern auch wirksam. Dies wiederum sei der Arbeit der EU-Parlamentarier zu verdanken. Giegold wörtlich: »Auf Grund der Hartnäckigkeit des Parlaments werden die Aufsichtsbehörden eine wichtigere Rolle spielen, als ihnen im ursprünglichen Kommissionsentwurf zugedacht war. Das Parlament hat den Papiertiger aufgepäppelt, nun hat er Zähne.« Der SPD-Abgeordnete Udo Bullmann behauptete siegestrunken: »Dem Parlament ist es gelungen, den Rat niederzuringen.« Wolf Klinz (FDP) freute sich über die Einigkeit bei dem tollen Beschluß: »Konservative, Liberale, Sozialisten, Grüne – alle haben sich hier sehr schnell verständigen können«, sagte er und wunderte sich noch, daß die Finanzbranche das Aufsichtsvorhaben voll unterstützt habe. Denn »normalerweise versuchen die Industrievertreter (gemeint ist die Banken-Lobby, L. Z.) ja eher zu bremsen«.

Obwohl Banken, Versicherungen, Börsen, Fonds etc. überall in der EU tätig werden dürfen und das auch munter tun, ist die Aufsicht über die Finanzbranche bisher allein nationalen Behörden vorbehalten. Das ist ein skandalöser Zustand, der nach Beendigung verlangt. Besonders übel ist dabei, daß beispielsweise eine irische Bank, selbst wenn sie überwiegend in Frankreich tätig ist, von der irischen, nicht aber von der französischen Aufsicht kontrolliert wird.

Auf den ersten Blick könnte es so scheinen, als würden die vom EU- Parlament beschlossenen Gremien diesem Zustand ein Ende machen. Leider ist das nicht der Fall. Es wurde vielmehr mit großem Bedacht eine Scheinlösung konzipiert. Rat, Parlament und Kommission haben zwar drei neue Institutionen geschaffen, die die Banken, die Versicherungen und den Wertpapierhandel EU-weit angeblich zu kontrollieren haben. Das klingt gut. Es bleibt aber dabei, daß diese Finanzakteure von eingefahrenen nationalen Behörden überwacht werden sollen, und zwar wie bisher nach dem Herkunftsprinzip. Die neuen EU-Institutionen haben lediglich bei Konflikten zu koordinieren. In diesen Gremien sitzen denn auch die Abgesandten der 26 nationalen Aufsichtsbehörden, die sich beim Entstehen der letzten Spekulationsparty ja schon glänzend bewährt haben, plus einiger weniger Zusatzbeamter, und bereden Fälle von gemeinsamem Interesse. Die Begeisterung der EU-Parlamentarier richtet sich nun darauf, daß in ganz eng begrenzten Ausnahmefällen und wenn der EU-Rat einstimmig eine Krise festgestellt hat, eine solche EU-Oberaufsicht eine nationale zu bestimmten Maßnahmen verdonnern kann. Ein Tiger mit Zähnen sieht anders aus.

Nachgerade lächerlich ist die EU-Gesetzgebung bei der makroökonomischen Überwachung. Der Schock der Finanzkrise hat selbst den Verantwortlichen in der EU klargemacht, daß es keine staatlichen Institutionen gibt, die für die Stabilität des Finanzsystems verantwortlich sind. Regierungen nehmen es als gegeben hin und fördern es nur dann und wann auf Wunsch der Finanzlobby. Die nationalen Notenbanken und die Europäische Zentralbank (EZB) sollen und wollen lediglich die Stabilität des Preisniveaus ins Auge fassen. Ganz allein die Inflation stört sie. Wenn Banker, Hedgefonds und Heuschrecken eine Spekulationsorgie veranstalten, ist das nach EZB-Ansicht deren Privatsache. Nun also richten Parlament und Rat eine weitere Institution ein, deren Aufgabe es ist, Systemrisiken aufzuspüren und möglichst früh alle Regierungen vor einem erneuten Kladderadatsch zu warnen. Und wer wird dieses zweifellos wichtige Gremium bestücken? Natürlich die Herren (und wenigen Damen) Zentralbanker aus allen 26 Ländern. Und wer wird an der Spitze des Gremiums stehen? Natürlich unser weiser Monsieur Jean-Claude Trichet, der als Präsident der EZB sich schon vorzüglich bewährt hat, als er vor der riesenhaft wachsenden Finanzblase und der heranziehenden Krise die Augen fest geschlossen hielt.

Die Gesetzgebung der EU zur Finanzaufsicht, auf die die Parlamentarier so stolz sind, erweist sich als eine Reihe von belanglosen Ersatzhandlungen. Der Parlamentarier Giegold, der von attac zu den Grünen gegangen ist, um, wie er sagte, Positionen des globalisierungskritischen Netzwerkes bei den Grünen zu vertreten, sorgt sich darüber, daß einige Linke nicht die rechte Begeisterung für das partei- und klassenübergreifende Aufsichtsprojekt teilen. Im Interview mit der jungen Welt vom 8. Oktober tadelt er die Parlamentskollegin Sabine Wils dafür. Sie kann stolz auf diese Zurechtweisung sein. Attac-Positionen werden, wie man sieht, von Wils deutlich besser vertreten als von Giegold.