Kommunen müssen kämpfen

Dresdener Resolution zur Aktionskonferenz „Kommunen in Not“

06.06.2010 / Kommunalpolitisches Forum Sachsen e. V. Dresden, 05. Juni 2010


Bundespolitische Entscheidungen zu dreistelligen Milliardenhilfen für die Bankenrettung und zur Euro-Stabilisierung haben die desolate Finanzlage der meisten Kommunen zu Unrecht in den Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit gestellt. Anders als bei Groß­banken oder einzelnen Staaten der Euro-Zone erscheint den Mächtigen im Lande das Risiko einer finanziellen Schieflage der Kommunen nicht als „systemisch“. Noch nicht.

Noch herrscht der Eindruck vor, die Verschuldung der Kommunen sei zwar problema­tisch, aber insgesamt noch beherrschbar. Schließlich gehe es auch dem Land und dem Bund finanziell dramatisch schlecht. Noch gelingt es den meisten Städten, Gemeinden und Landkreisen, ihre Haushalte zu Lasten der Rücklagen, auf Kosten des Personal­abbaus, durch höhere Gebühren und Kommunalsteuern und um den Preis zunehmen­der Kürzungen bei den freiwilligen Aufgaben im Bereich von Jugend, Sport, Kultur und Vereinsförderung zu schließen. Noch gibt es dank der Konjunkturpakete vielerorts eine rege Investitionstätigkeit. Noch keimt die Hoffnung, die beginnende Erholung der Wirt­schaft könne die am Horizont drohende Gewitterfront der strukturellen kommunalen Finanzkrise auflösen.

Gebündelter kommunaler Widerstand gegen die drohende Unterfinanzierung der Kom­munen ist gegenwärtig noch eine Seltenheit. Vielmehr scheint jeder der 10 Landkreise, der 178 Städte und der 307 Gemeinden in Sachsen zu versuchen, allein für sich noch irgendwie über die Runden zu kommen. Erklärbar ist dieses Abwarten auch durch einen abermaligem „FAG-Kompromiss“, in welchem die kommunalen Spitzenverbände dem Freistaat immerhin die Zusicherung abgerungen haben, in den Jahren 2011 und 2012 die frei verfügbaren Mittel im Finanzausgleich nicht entsprechend den Steuerminder­einnahmen zu kürzen, sondern auf dem Stand des Jahres 2010 zu verstetigen. Dies allerdings um den hohen Preis, dass die investiven Zuweisungen im Finanzausgleich fast gegen Null gefahren werden und es anders als im Wahljahr 2009 in den kommen­den Jahren außerhalb des Finanzausgleichs keine Investitionspauschale mehr geben wird.

Wir wollen nicht beim Abwarten und beim Problemerklären stehen bleiben. Wir wollen die Kommunen und die gesamte Gesellschaft zum deutlichen Widerspruch und zum organisierten Widerstand gegen die Hinhaltepolitik der sächsischen Staatsregierung gegenüber den Kommunen und gegen die Ignoranz der kommu­nalen Problemlage durch die Bundesregierung ermuntern!

Dafür gibt es gute Gründe. Weder der ausgehandelte „FAG-Kompromiss“ noch das Wirken der Gemeindefinanzreformkommission auf der Bundesebene sind echte Hoff­nungszeichen. Sie beseitigen nicht die Ursachen der kommunalen Finanzkrise und la­borieren nur an den Symptomen herum. Die strukturelle Schieflage der Kommunal­finanzen in Ost wie in West, in Nord wie in Süd ist nachweislich nicht durch das Ver­sagen der Kommunen und ebenso wenig durch überhöhte Anspruchserwartungen der Bürgerinnen und Bürger an einen Staat entstanden, der sich einfach nicht mehr die bis­herigen Standards leisten könne, wie uns neoliberale Politikerinnen und Politiker einzu­reden versuchen. Entstanden ist die Krise vielmehr durch die unsolidarische Umvertei­lungs- und ungerechte Steuerpolitik unter Rot-Grün, Schwarz-Rot und Schwarz-Gelb in der letzten Dekade, die systematisch die Einnahmeseite der Kommunen zerstört hat und weiter zu zerstören droht. Solange diese unsolidarische und kommunalfeindliche Politik nicht geändert wird und es endlich wieder zu einer gerechten Finanzierung des Öffentlichen im Lande kommt, werden die Probleme bestehen bleiben und sich sogar noch verschärfen.

Ohne Politikwechsel auf der Bundes- und der Landesebene ist absehbar, dass trotz rigoroser eigener Sparbemühungen der Städte, Gemeinden und Landkreise die kom­munalen Schulden weiter wachsen und ähnlich wie jetzt bereits in westdeutschen Städten in zunehmenden Maße Kassenkredite für die Finanzierung laufender Ausgaben in Anspruch genommen werden müssen. Ohne Politikwechsel sind weitere Steuer­erhöhungen und Gebührenanhebungen, neue Haustarifverträge, rigorose Einstellungs­stopps, schleichende Reduzierungen von Öffnungszeiten und Verlängerungen von Be­arbeitungszeiten absehbar. All das geht zu Lasten der Gemeindebürgerinnen und -bürger und der Beschäftigten in den Kommunalverwaltungen. Der Druck auf Einspa­rungen beim Nahverkehr, bei der Jugendförderung, bei den Theatern, den Volkshoch­schulen, den Musikschulen und bei der Vereinsförderung wird zunehmen. Auch die Wirtschaftsförderung wird darben müssen.

Eine besondere Gefahr aber stellt das fast völlige Wegbrechen der kommunalen Inves­titionstätigkeit dar. Fallen die Zuschüsse für kommunale Investitionen weg, wird es den meisten Kommunen nicht mehr gelingen, die notwendigen Eigenmittel für die Inan­spruchnahme von Förderprogrammen darzustellen. Der Schaden ist ein vierfacher: Kommunales Geld kann nicht mehr „veredelt“ werden, die kommunale Infrastruktur wird nicht weiterentwickelt, sondern erleidet einen Substanzverlust, der regionale Arbeits­markt bricht ein und mit ihm die kommunalen Steuereinnahmen. Dabei wäre gerade in der Krise antizyklisches Handeln das Gebot der Stunde.

Wir fordern die sächsische Staatsregierung und die Bundesregierung auf, nach dem Muster der Bankenrettung einen Schutzschirm über die Kommunen aufzu­spannen. Die sächsische Staatsregierung muss ihrer verfassungsgemäßen Ver­pflichtung nach Artikel 87 Absatz 1 der Landesverfassung nachkommen und da­für Sorge tragen, dass die kommunalen Träger der Selbstverwaltung ihre Auf­gaben erfüllen können. Auch in den kommenden Jahren müssen ausreichende Mittel für kommunale Investitionen zur Verfügung stehen. Dafür bietet sich eine Investitionspauschale außerhalb des Finanzausgleichsgesetzes an!

Wachsende Armut und anhaltend hohe Arbeitslosigkeit lassen die Sozialausgaben ex­plodieren. Trotz steigender Ausgaben bei den Unterkunftskosten für HARTZ-IV-Betroffene aber senkt der Bund seinen Anteil, als ginge ihn das alles nichts an. Für die parteienübergreifend gewünschte Verbesserung der Kinderbetreuung inklusive Rechts­anspruch zahlt nicht etwa der Bund, was nur folgerichtig wäre. Es zahlen vor allem die Kommunen und die Eltern.

Wir erwarten von der Bundesregierung die strikte Durchsetzung des Prinzips:“ Wer bestellt, bezahlt!“ Neuen oder erweiterten Aufgaben für die Kommunen müs­sen immer auch adäquate Kostenregelungen folgen. Bei einer Zunahme der In­tensität oder der „Falldichte“ der vom Bund auf die Kommunen übertragenen Aufgaben müssen die Kosten zeitnah angepasst werden. Dafür benötigen die Kommunen endlich verbindliche Mitsprache- und Mitwirkungsrechte bei entspre­chenden Gesetzgebungsvorhaben!

Als ob das alles nicht schon genug an zusätzlicher kommunaler Belastung wäre, will die Bundesregierung auch noch die Axt an die Gewerbesteuer legen. Dafür sollen die Kommunen Umsatzsteueranteile erhalten und das Recht bekommen, einen Zuschlag auf die Einkommensteuer zu erheben. Abgesehen von der verheerenden Wirkung einer solchen Regelung auf die Solidarität zwischen den Kommunen und die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im ganzen Land würde dies bedeuten, dass entweder die Beschäftigten die Zeche zahlen oder die Verbraucherinnen und Verbraucher. Unter­nehmen sollen zwar weiterhin die kommunale Infrastruktur nutzen dürfen, wären aber künftig von deren Erhalt und Finanzierung freigestellt. Eine solche Regelung bedeutete einen späten Sieg der neoliberalen Vorkämpfer der FDP für einen platten „Wettbe­werbs-Föderalismus“, gleichzeitig aber eine entscheidende Schwächung der Kommu­nen und eine Bedrohung der Daseinsvorsorge.

Wer die gegenwärtige Situation der Kommunen ernsthaft verbessern will, muss der drohenden Entkoppelung der Kommunen von ihrer wirtschaftlichen Basis mit Macht entgegentreten. Nur so können die Kommunen weiterhin als Solidarverbund funktionie­ren. Nur so kann es für die Städte und Gemeinden finanzielle Anreize geben, sich wei­terhin aktiv um Unternehmensansiedlungen, Gewerbe und Infrastruktur zu kümmern.

Wir treten entschieden ein für den Erhalt der Gewerbesteuer und deren Ausbau und Stärkung zu einer stabilen Gemeindewirtschaftsteuer! Nichts spricht dage­gen, dass zum Beispiel Selbständige wie Rechtsanwälte und Steuerberater – ent­sprechende Freibeträge vorausgesetzt – genauso wie das Handwerk und die Un­ternehmen eine solche Steuer zahlen.

Die Kommunen sind in Not. Die Lebensqualität in unseren Städten, Gemeinden und Landkreisen steht auf dem Spiel. Das hat Folgen, nicht nur finanzielle. In Gefahr gerät auch die Demokratie. Auf der kommunalen Ebene lebt die Demokratie bürgernah und sehr direkt. Tausende ehrenamtliche Gemeinderäte, Stadträte, Kreisräte und Ort­schaftsräte gestalten das kommunale Leben unmittelbar mit. Haben diese aufgrund der kommunalen Finanznot oder wegen staatlich angeordneter Zwangsmaßnahmen keinen Handlungsspielraum mehr, wird der Demokratie dieses lebenswichtige ehrenamtliche Engagement künftig verloren gehen.

Dies darf niemals geschehen!

Auch und gerade deshalb ist energischer Widerstand gegen die Sparpläne der Staatsregierung und der Bundesregierung das Gebot der Stunde. Wir rufen alle Bürgerinnen und Bürger, die Gewerkschaften, die Kirchen, die Vereine und die Verbände auf, ihre Anstrengungen zu bündeln, um dem drohenden Entzug der Grundlagen für eine kraftvolle kommunale Selbstverwaltung Einhalt zu gebieten. Dies ist das Gebot der Stunde, ehe es zu spät ist.

Die Kommunen werden kämpfen!