"Ein neoliberales Beraterkartell"

Interview mit Heinz-J. Bontrup über die Ratschläge der Wirtschaftsweisen und Alternativen dazu

10.11.2016 / aus: Frankfurter Rundschau vom 03.11.2016

Das Interview ist zuerst erschienen in: Frankfurter Rundschau, 3.11.2016

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Herr Bontrup, wie jedes Jahr hat der Sachverständigenrat (SVR) sein Jahresgutachten vorgelegt. Bringen diese umfangreichen Werke neue Erkenntnisse?

Dafür sind die Positionen des Sachverständigenrates zu berechenbar. Die eine Grundkonzeption lautet: mehr Markt, mehr Wettbewerb. Die zweite ist gegen staatliche Interventionen und damit gegen eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik.

Wie können Sie sicher sagen, dass dies falsch ist?

Beweisen lässt sich das doch in der Volkswirtschaft nicht. Natürlich gibt es in der Wirtschaftswissenschaft keine allgemein akzeptierte Theorie. Wir von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik treten deshalb auch für eine plurale Wirtschaftswissenschaft ein. Die kommt aber bei der einseitig angebotsorientierten Ausrichtung des Sachverständigenrates nicht zum Tragen. Unsere Position ist eine links-keynesianische, die neben einer staatlichen Konjunktursteuerung auch die Verteilungsfrage stellt.

Was meinen Sie mit einseitig angebotsorientiert?

Man könnte die Haltung des SVR auch als einseitig kapitalorientiert beschreiben. Es geht den Vertretern um drei Punkte. Erstens Löhne senken und Gewinne erhöhen. Zweitens sollen die Gewinn- und Vermögenssteuern kleingehalten werden. Und drittens soll der Sozialstaat abgebaut werden. Dies dient in Summe einseitig den Kapitaleignern.

Die fünf Wirtschaftsweisen sind ein Team aus fünf Professoren unterschiedlicher Ausrichtung. Professor Bofinger beispielsweise ist auf Empfehlung der Gewerkschaften ernannt worden.

Ich bin sehr dankbar, dass Peter Bofinger weiter Mitglied in dem Rat ist. Aber er ist nur einer von Fünfen. Deswegen muss er ja auch immer wieder unter der Überschrift „Eine andere Meinung“ seine Minderheitsvoten abfassen. Aber auch der Sachverständigenrat muss sich der öffentlichen Debatte und Kritik stellen.

Schauen Sie sich mal die Berater an, die sich der Sachverständigenrat selbst holt. Da kann man von einem neoklassischen oder neoliberalen Beraterkartell reden. Man spricht nur untereinander. Man lässt niemanden von außen herein. Einzige Ausnahme ist Kollege Bofinger, der alleine aber einen schweren Stand hat.

Ist das, was Sie als einseitig monieren, ein deutsches Phänomen?

Das gibt es auch in anderen Ländern. Aber so extrem wie in Deutschland wird es kaum andernorts gehandhabt. Der Sachverständigenrat könnte ja mal uns von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik zu seinen Anhörungen einladen. Dann könnte ein wirklich wissenschaftlicher Diskurs stattfinden. Der ist aber offensichtlich nicht gewünscht.

Welche Themen sollten die sogenannten Wirtschaftsweisen stärker aufgreifen?

Besonders ärgert uns, dass der Rat die Verteilungsfrage komplett ausklammert. Dabei ist das Teil seines gesetzlichen Auftrages. Wir von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik sagen, dass die Verteilungsfrage die entscheidende Frage in der Ökonomie ist.

Deutschland geht es aber gut. Die Beschäftigung nimmt zu, Löhne und Renten steigen. Ist das nicht ein Beleg dafür, dass diese Wirtschaftspolitik greift?

Nein, sie greift nicht. In der Statistik zeigt sich zwar ein Rückgang der Arbeitslosen. Aber die Qualität der Arbeit wird schlechter. Wir haben prekarisierte Arbeitsmärkte. Wir haben einen hohen Anteil an Leiharbeit, an Teilzeitarbeit. Die Menschen mit kurzen Arbeitszeiten wollen länger und die mit langen Arbeitszeiten kürzer arbeiten. Wollen wir die nach wie vor bestehende Massenarbeitslosigkeit beseitigen, brauchen wir Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohn- und Personalausgleich.

Für Aufmerksamkeit sorgte die Kritik des Rates am Mindestlohn. Der sah schon Beschäftigungsverluste, bevor der Mindestlohn eingeführt war. Das fand selbst Bundeskanzlerin Merkel als Physikerin merkwürdig. Hat sie sich zu Recht lustig gemacht über ihre Berater?

Das sagt schon viel aus, wenn sogar die Kanzlerin den Sachverständigenrat verspottet. Der Rat versteht die innere Logik von Arbeitsmärkten nicht. Er versucht alles über den Lohnregler zu steuern. Arbeitsmärkte sind aber derivative, abgeleitete Märkte. Sie sind eng verbunden mit den Gütermärkten, also mit der Nachfrage, und auch mit den Geld- und Kapitalmärkten. Wer das ausblendet, kommt zu solchen Fehldiagnosen wie beim Mindestlohn. Der ist eine Erfolgsgeschichte. Da lag mal wieder der Sachverständigenrat mit seinen Prognosen völlig daneben.

Seit den 1970er Jahren veröffentlicht die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik jedes Jahr eine Art Gegengutachten zu dem offiziellen des SVR. Wie zufrieden sind Sie mit der Resonanz beziehungsweise dem Einfluss auf die Politik?

Wir sind unzufrieden. Wir wissen jedoch, dass wir dennoch eine gewisse Wirkung entfaltet haben und unsere Memoranden in der Wissenschaft und in der Politik und auch in der Öffentlichkeit, vor allen Dingen in den Gewerkschaften, wahrgenommen werden. Auch der Sachverständigenrat liest uns, auch wenn er das nie zugeben würde. Aber wir hätten uns mehr direkte Resonanz beziehungsweise Einfluss gewünscht.

Seit langem fordert die Arbeitsgruppe mehr Investitionen. Das ist inzwischen zum Allgemeingut geworden. Ein Erfolgsbeispiel?

Ja, das haben wir schon vor 30 Jahren gesagt. Hier fühlen wir uns bestätigt. Wir brauchen mehr private und vor allem öffentliche Investitionen. Dies würde auch die Beschäftigung stärken. Frustrierend ist hier, dass so lange nichts passiert ist. Das gilt ebenso für die Verteilungsfrage. Hier wurde im Sinne des Sachverständigenrats bisher nur von unten nach oben umverteilt. Trotzdem freuen wir uns, dass jetzt auch andere Ökonomen dies als einen Fehler entdecken.

Interview: Markus Sievers