Einfach weiter so? Zur Geldpolitik der Europäischen Zentralbank

Von Axel Troost

11.03.2016 / 09.03.2016

Mit großer Spannung schauen viele Beobachter auf die Sitzung des EZB-Rats am 10. März 2016. EZB-Präsident Draghi hatte diese Sitzung im Januar als nächste Gelegenheit bezeichnet, bei dem die EZB über weitere Lockerungen ihrer Geldpolitik beraten wolle.

Die ohnehin schon lockere Geldpolitik der EZB steht in Deutschland – quer durch verschiedene politische Lager – vielfach in der Kritik. Dennoch halte ich sie – anders als einige Kritiker in unserer Partei – unter den gegebenen Umständen für das notwendige geringste Übel. Gegen die EZB-Geldpolitik wird eingewandt, dass sie in der Realwirtschaft kaum ankommt, weil die Unternehmen angesichts von Wirtschaftskrise in den meisten Euro-Ländern eben keine aussichtsreichen Investitionsmöglichkeiten sehen und trotz niedriger Zinsen eben nicht investieren. Das ist zwar richtig, aber zugleich ein Sich-Abfinden mit dem totalen Versagen der staatlichen Ausgabenpolitik in Europa. Um den Karren aus dem Dreck zu ziehen, müssen Geldpolitik einerseits und Fiskal- und Wirtschaftspolitik andererseits vereint an der Deichsel ziehen. Der Karren steckt aber nicht nur im Dreck, sondern im Sumpf, d.h. Nichtstun bedeutet nicht Steckenbleiben, sondern ein tieferes Versinken. Derzeit zieht allein die EZB am Karren und es gelingt ihr damit immerhin, das weitere Versinken aufzuhalten. Die EZB-Geldpolitik ist nicht wirkungslos, sondern ohne sie wäre die Situation noch bedeutend schlimmer. Diese Beschreibung macht aber natürlich umgekehrt deutlich, dass es für eine Besserung der Situation viel weniger auf eine weitere Lockerung der Geldpolitik als vielmehr auf ein entschiedenes Handeln der staatlichen Ausgabenpolitik ankommt. Politisch gilt es daher, die unbeschreibliche Verantwortungslosigkeit der europäischen Austeritätspolitik zu brandmarken. Schäubles schwarze Null (deutsche Schuldenbremse) und das Spardiktat von Merkel für die anderen europäischen Regierungen (Fiskalpakt als europäische Schuldenbremse) sind – auch wenn Merkel in der Flüchtlingsfrage eine pro-europäische Position vertritt – die Totengräber Europas – nicht nur sozial, sondern gerade auch ökonomisch.

Gemäß ihrem gesetzlichen Auftrag soll die EZB für eine Inflationsrate von knapp zwei Prozent sorgen, d.h. nicht höherundnicht niedriger. Zwar sind kurzfristige Schwankungen durch die Geldpolitik nicht zu verhindern, aber derzeit haben wir es mit einem klaren mittelfristigen Trend zu tun, denn die Inflationsrate in der Euro-Zone ist seit 2011 (2,7 Prozent) bis 2015 (0 Prozent) kontinuierlich gesunken. Zwar zeichnete sich seit Oktober 2015 eine leicht anziehende Inflation ab (Januar 2016 0,3 Prozent), aber für Februar 2016 geht die EU-Statistikbehörde erneut von einem Rückgang um einen halben Prozentpunkt auf -0,2 Prozent aus.

Zwar könnte die EZB ihren Leitzins von derzeit 0,05 Prozent noch bis auf 0 Prozent absenken, aber das wäre ökonomisch bedeutungslos. Immerhin begrenzt wirkungsvoll könnte eine weitere Erhöhung der Strafzinsen der Einlagenfazilität von derzeit 0,3 auf 0,4 oder 0,5 Prozent sein. Irgendwann kommt man dann aber an den Punkt, dass es für die Banken billiger wird, ihr Zentralbankgeld nicht mehr auf einem EZB-Girokonto mit Strafzins aufzubewahren, sondern es sich lieber als Bargeld auszahlen zu lassen und im eigenen Banktresor aufzubewahren. Größere Impulse auf den Finanzmärkten kann die EZB also nur noch durch ihre Offenmarkt-Geschäfte auslösen, zum Beispiel durch den Ankauf von mehr Staatsanleihen oder Unternehmensanleihen. Dazu gibt es durchaus Spielräume. Im Vergleich mit der US-Zentralbank FED wird schnell deutlich, dass die FED zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise und angesichts sinkender Inflationsraten in den USA je EinwohnerIn doppelt so viel zusätzliches Zentralbankgeld in Umlauf gebracht hat wie die EZB bisher.[1] Ob eine weitere Geldmengenausweitung nach dem Vorbild der FED die Euro-Zone wieder auf den richtigen Inflationskurs bringen kann, darf aber durchaus bezweifelt werden. Das Beispiel macht aber deutlich, dass rein bilanztechnisch die Möglichkeiten der EZB noch lange nicht erschöpft sind – und schaden würden solche Maßnahmen wohl kaum.

Denn um die dabei immer mitschwingenden Ängste zu nehmen: Gelddrucken durch die EZB ist für die Steuerzahler nicht mit Haftungsrisiken verbunden. Selbst wenn die EZB Geld verleiht und es nachher nicht zurückbekommen sollte, müssen dafür nicht die Steuerzahler geradestehen. Selbst in der bislang größten Bankenpleite Lehman-Brothers haben die damals von Lehman gestellten Sicherheiten ausgereicht, um einen Verlust bei der EZB zu verhindern. Und selbst wenn die Sicherheiten nicht ausreichen würden, müssten Verluste der Zentralbank nicht durch Steuergeld ausgeglichen werden, weil eine Zentralbank das Geld für ihre eigene Zahlungsfähigkeit naturgemäß jederzeit selbst herstellen kann.

Vor der Entscheidung des EZB-Rats muss die Frage also nicht lauten, ob die EZB für weitere Lockerungen noch Kapazitäten hat, sondern ob diese hinreichend wirkungsvoll sind, dass man darin viel Vertrauen setzen sollte. Genau hier muss man ein großes Fragezeichen machen. Wenn aber die Wirkmächtigkeit der eigenen Instrumente so begrenzt ist, dann sollte sich der EZB-Rat gründlich überlegen, ob er nicht genau diese Begrenztheit seiner Mittel selbst zum Instrument macht. Es wäre sicherlich eine unüberhörbare Botschaft an die europäischen Regierungen und die internationalen Finanzmärkte, wenn Mario Draghi am Donnerstag vor die Presse träte und sagen würden: „Wir haben alles getan und werden weiterhin alles tun, aber damit allein können wir die Euro-Zone nicht vor dem Sturz in die Deflation bewahren. Es ist nun an den Euro-Regierungschefs und -Finanzministern, dafür zu sorgen, dass unsere Vorbereitungsarbeit auch Früchte tragen kann. Wir brauchen eine europäische Ausgabenoffensive, vornehmlich als Rücknahme der Austeritätspolitik in den EU-Krisenländern und als öffentliche Investitionsoffensive. Dies könnte zugleich die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration hunderttausender Flüchtlinge in Europa schaffen“. Rudolf Hickel geht mit seiner Empfehlung für den EZB-Rat in genau diese Richtung.[2] Natürlich müsste Draghi dann gleichzeitig glaubwürdig einräumen, dass sich die EZB als Mitglied der Troika mit der Durchsetzung der Austeritätspolitik in den Euro-Krisenstaaten gravierend geirrt hat. Draghi hat mit seiner Aussage „… whatever it takes …"[3] im Sommer 2012 bereits eindrucksvoll bewiesen, dass er mit den Erwartungshaltungen der internationalen Finanzmärkte umzugehen weiß. Würde er das obenstehende Statement abgeben, würde er den ganzen Druck der Finanzmärkte über Nacht auf die Regierungen lenken, Handlungsfähigkeit- und -willigkeit zu beweisen. Ob man diese Erwartung in die RegierungschefInnen – nach den Erfahrungen der aktuellen Flüchtlingskrise – wirklich guten Gewissens auslösen sollte, muss man allerdings leider bezweifeln.


[1] Vgl. Wolfram Morales, 1,1 Billionen Euro im Vergleich www.axel-troost.de[1]

[2] rhickel.iaw.uni-bremen.de[2]

[3] Am 12. Juli 2012 sagte Draghi den inzwischen legendären Satz „Innerhalb ihres Mandats ist die Europäische Zentralbank bereit zu tun, was immer auch nötig ist (engl. „whater it takes“), um den Euro zu retten.“

_______________

Die aktuelle Kolumne von Axel Troost finden Sie nachfolgend auch als PDF zum download. Weiter Kolumnen finden Sie auf www.die-linke.de: "Axel Troost: Die Kolumne"[3]

Links:

  1. https://www.axel-troost.de/de/article/8963.1-1-billionen-euro-im-vergleich.html
  2. http://rhickel.iaw.uni-bremen.de/ccm/homepages/hickel/aktuelles/ezb-rat-am-10032016-ein-beschlussvorschlag/
  3. http://www.die-linke.de/nc/politik/themen/eurokrisemillionaersteuerjetzt/axeltroostdiekolumne/