Neuordnung der föderalen Finanzverfassung Deutschlands ab 2020 unter besonderer Berücksichtigung der Kommunen

Studie

20.10.2012 / Bertelsmann Stiftung, vom 20.9.2012

"Die Finanzverfassung bildet ein wesentliches Element der durch das Grundgesetz konstituierten bundesstaatlichen Ordnung. Die derzeit gültige Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland wurde 1969 konzipiert. In Anbetracht der stark geänderten Rahmenbedingungen bedarf sie nach über vierzig Jahren einer grundlegenden Reform. Anpassungen sind unausweichlich, da die finanzrechtlichen Regelungen zur Aufgaben- und Einnahmenverteilung in der Vergangenheit kaum an die sich ändernden strukturellen und konjunkturellen Entwicklungen angepasst wurden, immanente Mängel aufweisen und den Anstieg der Staatsverschuldung nicht verhindern konnten." (S.4)

„Das Niveau der Besteuerung in Deutschland ist in Relation zum angestrebten Niveau der Infrastruktur und des Sozialstaates relativ niedrig, worin eine Ursache der in der Vergangenheit aufgetretenen Haushaltsdefizite liegt. Anders gewendet: Geht man davon aus, dass eine Senkung der staatlichen Ausgaben nur begrenzt möglich und eine Verschuldung für die Länder ab 2020 gänzlich versagt sein wird, ist in Deutschland eine Steigerung der Steuereinnahmen erforderlich, um die gewünschten Aufgaben finanzieren zu können. Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass insbesondere im Hinblick auf die Besteuerung von Kapital in der Bundesrepublik noch Raum besteht. So lag die effektive Steuerlast des Faktors Arbeit in Deutschland 2010 über dem Durchschnittswert der EU-25 Länder (Eurostat 2012: 29). Gleiches gilt für die Konsumbesteuerung (ebd: 28). Demgegenüber fällt die Besteuerung des Kapitals in Deutschland moderater aus als im EU-25-Durchschnitt (ebd.: 39). Vor diesem Hintergrund bietet sich beispielsweise eine allgemeine Vermögensteuer an, dem Staat weitere Einnahmen zu erbringen. Zudem ist an eine Erhöhung bereits bestehender Steuern zu denken. In Betracht käme die Erhöhung der Steuersätze oder Verbreiterung der Bemessungsgrundlagen in Bezug auf die Erbschaft- oder Ökosteuer. Letztgenannte würde dem Staat nicht nur zusätzliche Steuereinnahmen erbringen, sondern zudem einen Beitrag zur Verbesserung der Umweltqualität leisten; mithin eine doppelte Dividende. Auf kommunaler Ebene sollte die Grundsteuer B in Bemessungsgrundlage und Höhe überdacht werden (vgl. Witte und Tebbe 2008).“ (S. 32)

„Soll die Finanzausstattung der Länder aufgabenorientiert sein, müssen für gleiche bundesgesetzlich vorgegebene Aufgaben auch gleiche Finanzmittel zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund ist eine Berücksichtigung unterdurchschnittlicher Finanzkraft geboten. Bleibt die Finanzkraft eines Landes nach der primären Steuerzuordnung merklich hinter der durchschnittlichen Finanzkraft der übrigen Länder zurück, ist ein teilweiser (Spitzen-)Ausgleich im bundesstaatlichen Finanzausgleich angezeigt. Sofern gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilen Deutschlands angestrebt werden, muss auch die Finanzausstattung der Länder gleichwertig sein, denn vergleichbare Lebensverhältnisse und insbesondere vergleichbare Sozialleistungen lassen Abweichungen von der durchschnittlichen Finanzkraft der Länder nach unten kaum zu. Dabei sollten sich die Ausgleichszahlungen nicht länger an der „Himmelsrichtung“ orientieren (von West nach Ost), sondern an der aufgabeninduzierten Bedürftigkeit, die sich aus den strukturellen Rahmenbedingungen, wie beispielsweise Anzahl der Leistungsberechtigten, ergeben.
Die Unterstützung wirtschafts- und damit steuerschwacher Regionen ist primär Aufgabe des Bundes über vertikale Zuweisungen. Es muss jedoch jedem bewusst sein, dass föderale Ausgleichszahlungen, auch wenn sie sich indikatorgestützt an aufgabeninduzierter Bedürftigkeit bemessen, noch über Jahrzehnte weitgehend in die neuen Länder fließen werden. Die wünschenswerte Versachlichung der föderalen Umverteilungsdebatte stößt an die Grenzen wirtschaftsstruktureller Differenzen (vgl. Anlage Abbildung 1).“ S. 28f.)

„Verschiedentlich wird zur Lösung der aktuellen Schwächen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs die Stärkung der Autonomie der Länder in der Erhebung von Steuern oder Standards öffentlicher Leistungen vorgeschlagen (vgl. z. B. Fuest und Thöne 2009). Auf diese Weise soll ein Wettbewerb der Länder schwachen Ländern Anreize vermitteln, langfristig wirtschaftlich aufzuschließen.
Wir sehen für eine solche Form des kompetitiven Föderalismus in der Bundesrepublik keine Grundlage. Die Bundesrepublik baut auf dem solidarischen Prinzip des kooperativen Föderalismus auf, der flächendeckend ein vergleichbares Maß an öffentlichen Leistungen gewährleistet. Dieses staatliche Grundprinzip ist weithin akzeptiert und hat die wirtschaftliche und soziale Entwicklung begünstigt. Auch aus Sicht der Bevölkerung befürwortet eine überwältigende Mehrheit, selbst der finanzstarken Länder, das Prinzip des kooperativen, solidarischen Föderalismus (Wintermann und Petersen 2008: 23).
Die demographische und ökonomische Struktur der Länder ist, historisch gewachsen, in einem Maße heterogen, dass finanzschwache Länder ohne die solidarische Unterstützung der finanzstarken Länder und des Bundes keine fiskalische Existenzgrundlage besitzen. Vergleichbare Standards öffentlicher Leistungen und Infrastruktur wären nicht haltbar. Die wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Differenzen würden verstärkt. Ein Wettbewerbsföderalismus zwischen den Ländern entspricht nicht der Geschichte der Bundesrepublik, der Struktur der Länder und dem Willen der Bevölkerung.“ (S. 33f.)

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