Wirtschaft 2011: Politisch-ökonomisch gestalten

Von Rudolf Hickel

02.01.2011

Die Konjunkturprognosen der wirtschaftswissenschaftlichen Institute und der Cheföko­nomien aus der Finanzwirtschaft strotzen nur so von Optimismus für das Neue Jahr. Da will die Bundesregierung nicht nachstehen. Nach dem ökonomischen Absturz in 2009 wird die wirtschaftliche Wachstumsrate für das zu Ende gegangene Jahr durch das Ifo-Institut auf 3,7% geschätzt. Wenn auch mit einer reduzierten Expansion der gesamtwirtschaftlichen Produktion von 2,4% gilt die Fortsetzung des Aufschwungs im Neuen Jahr als gesichert. Dabei ist wegen vieler Annahmen und Theoriedefiziten ein Prognoseirrtum nicht auszu­schließen. Absturz und Krise, so die staatsoffiziell verbreitete Selbstzufriedenheit, das war gestern. Dabei weist bereits die Verlangsamung der Wachstumsrate des Bruttoinlands­produkts auf ein Grundproblem der exportabhängigen deutschen Wirtschaft. Die Zuwachs­rate der Exporte soll mit erwarteten 7,4% fast um die Hälfte gegenüber 2010 im Durch­schnitt dieses Jahres zurückfallen. Probleme in den wichtigsten Importländern werden in die deutsche Produktionswirtschaft transportiert. Die Aufschwungoptimisten schreckt dieser Rückgang nicht. Plötzlich wird die über lange Jahre vernachlässigte Binnenwirtschaft wieder entdeckt. Sicherlich, nach unterlassenen Investitionen in Maschinen und Bauten ziehen die Anlageinvestitionen wieder an. Leere Lager werden wieder aufgefüllt. Nach einer anhalten­den Stagnation wird die Führungsrolle des privaten Konsums mit einem erwarteten Zu­wachs um 1,4% hervorgehoben. Schließlich sollen die Erwerbseinkommen im neuen Jahr steigen. Mit dieser Beschreibung wird immerhin die durch die Gewerkschaften zu Recht reklamierte Rolle der Löhne und Gehälter für den privaten Konsum und damit die Binnen­wirtschaft endlich anerkannt. Allerdings sticht der immer noch viel zu schwache Impuls wegen der langsamer laufenden Konjunkturlokomotive Exporte so stark hervor. Die Er­werbseinkommen steigen vor allem im Zuge des Abbaus der Lohnopfer, die die Beschäftig­ten durch die Kurzarbeit erbracht haben. Der viel beschworene Zuwachs an Beschäftigung löst bezogen auf die Löhne nur schwache Konjunkturimpulse aus. Denn hinter dem Rück­gang der registrierten Arbeitslosigkeit an der drei Millionenmarke verbirgt sich eine ver­gleichsweise starke Zunahme schlecht bezahlter Jobs, insbesondere durch die boomende Leiharbeit. Im Vergleich gegenüber der Einstellung von Vollzeitbeschäftigten steigt die Lohnsumme nur schwach. Deshalb stehen auch 2011 zwei Forderungen an erster Stelle auf der Agenda: Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen sowie eine expansive Lohn­politik, die auch zu einer effektiven Steigerung der Erwerbseinkommen führen muss.

Denn ein Megarisiko wird in den Optimismusprognosen unterschlagen: Mit seinem Einspar­pakt vor allem im Sozialbereich und den steuerpolitischen Maßnahmen belastet der Staat die soziale und konjunkturelle Entwicklung. Als Folge der konjunkturellen Schwächung steigen am Ende die Staatsschulden. Auch hier ist ein Kurswechsel in 2011 erforderlich. Die Bundesregierung sollte anstatt die Konjunktur zu belasten und die öffentliche Armut zu steigern ein mittelfristig ausgerichtetes Zukunftsinvestitionsprogramm auflegen. Diese Stär­kung der Aufschwungkräfte würde durch eine Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur im Bildungs-, Energie- und Verkehrsbereich fundiert.

Also, anstatt der Beschwörung eines noch lange nicht selbst tragenden, hoch riskanten Auf­schwungs müssen die Lehren aus der schnellen Überwindung des ökonomischen Abstur­zes durch mutiges politisches Gegensteuern fortgeschrieben werden. Dazu gehören vor al­lem die Erhöhung der Nettoarbeitseinkommen, eine aktive Finanz- und Geldpolitik zusam­men mit einem Wirtschaftsfonds, mit dem den kleineren und mittleren Unternehmen gegen­über der restriktiven Kreditvergabe geholfen wird. Schließlich werden in den optimistischen Prognosen zu 2011 die aus der Finanzmarktkrise nachwirkenden sowie die neuen Belas­tungen nicht berücksichtigt. Wenn die sich neu bildenden Blasen auf den Finanzmärkten platzen, dann ist erneut mit einer Krise nicht nur des Bankensystems zu rechnen. 2011 ist das Jahr, in dem endlich die Finanzmärkte mit dem Ziel der Vermeidung der von der öko­nomischen Wertschöpfung abgetrennten Spekulationen reguliert werden müssen. Dagegen steht die ökonomische Macht, die bei der Lobbyarbeit zur Verhinderung der Regulierungen in der Politik eingesetzt wird. Bei der Aufgabe, Gegenmacht durchzusetzen, ändert sich im neuen gegenüber dem alten Jahr grundsätzlich nichts.

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