Aufregung in der Eurozone

Kolumne von Christa Luft im Neuen Deutschland

16.04.2010

Erstmals sind die Länder der Europäischen Währungsunion (EWU) mit der Rettung eines quasi bankrotten Mitglieds befasst. Ein Insolvenzfall war nicht im Kalkül der Väter des Maastrichtvertrages. Daher fehlen Regeln. Es heißt, schuld am griechischen Desaster seien die Hellenen selbst. Sie hätten so schlecht gewirtschaftet, dass sie in Schulden erstickten und gar die Stabilität des Euro gefährdeten. Auch hätten sie sich den Zugang zur Eurozone mit falschen Budgetangaben erschlichen. Obwohl daran Wahres ist, verdecken solche Vorwürfe daneben auch den Geburtsfehler der EWU.

Die am 1. Januar 1999 von elf, inzwischen von 16 Staaten eingeführte Gemeinschaftswährung war primär ein politisches Projekt. Es kam vor allem Frankreich entgegen, dem die D-Mark mit der ihr zugewachsenen Anker- und de facto Leitwährungsrolle immer mehr zum Ärgernis geworden war. Als durch die Wiedervereinigung das wirtschaftliche Gewicht der Bundesrepublik in Europa beträchtlich zunahm, befürchtete die Grande Nation eine Verschiebung der politischen Kräftebalance und verlangte eine Art Kompensation. Bundeskanzler Kohl seinerseits strebte mit einem gemeinsamen Geld die unumkehrbare Einbindung des vereinten Landes in Europa an.

Vernachlässigt wurde aber, dass dem Projekt zur Vollendung des Binnenmarktes die ökonomische Basis in Form einer gemeinsamen Wirtschafts-, Steuer- und Fiskalpolitik sowie einer koordinierten Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik fehlte und bis heute fehlt. Einige Länder (so Griechenland) nutzten Verteilungsspielräume für Lohnerhöhungen. Andere (so Deutschland) drosselten des Wettbewerbsvorteils wegen die Entgelte. Bei der Unternehmensbesteuerung ist ein Wettlauf nach unten im Gange. Das Herangehen an konjunkturstützende Maßnahmen in der Krise fiel differenziert aus. Ungleichgewichte nahmen zu statt ab.

Trotz unterschiedlicher Wachstums-, Arbeitslosigkeits- und Inflationsraten zwang der Maastrichtvertrag den beteiligten Ländern starre Defizitobergrenzen auf. Angedrohte drastische Sanktionen haben nicht verhindert, dass die meisten die Vorgaben seit Jahren verletzen. Das verstärkte sich in der Krise massiv und führte zu Kursverlusten der Gemeinschaftswährung. Der Euro fiel auf 1,35 US-Dollar. Grund zur Panik ist das nicht. In der Geschichte des Euro gab es oft ein Auf und Ab. So war er zum US-Dollar mit einer Parität von 1:1,17 gestartet. Sein Allzeittief lag im Oktober 2000 bei 1:0,82, das Rekordhoch Mitte 2008 bei 1:1,59. Bisher aber hatten die Ausschläge meist äußere Ursachen wie Kosovo- und Irakkrieg, Terroranschläge und US-Wirtschaftsdaten. Neu ist, dass die Kursverluste nun primär auf Ursachen innerhalb der EWU zurückgehen.

Es ist höchste Zeit, die Regeln zu überprüfen. Härtere Strafen für Defizitsünder, auch die Androhung des Ausschlusses aus der Eurozone, sind keine Lösung. Wer pleite ist, kann Strafen nicht zahlen, und die Wiedereinführung nationaler Währungen in ausgeschlossenen Ländern würde Wechselkursspekulationen anheizen, per Abwertung Konkurrenz forcieren und die Inflationsgefahr erhöhen. Notwendig sind vielmehr die Einigung über Korridore, innerhalb derer sich die Lohn- und Sozialpolitik der Euroländer aufeinanderzubewegt, sowie die Harmonisierung der Grundlagen für die Gewinn- und Vermögensbesteuerung. Überfällig sind eine strenge Regulierung des Finanzsektors und ein Verzicht auf die Rettung von Zockerbanken mit öffentlichem Geld, d. h. das Verbot, Spekulationsrisiken beim Steuerzahler abzuladen. Dem Euro steht die Reifeprüfung noch bevor.

In der wöchentlichen ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.