André Hahn: "Mehr für Sachsens Kinder und Sachsens Wirtschaft"

26.08.2009 / Interview mit André Hahn

Am 30. August wählen die Bürgerinnen und Bürger in Thüringen, Sachsen und im Saarland neue Landtage. André Hahn tritt an, die fast zwanzigjährige Herrschaft der CDU zu beenden und sächsischer Ministerpräsident zu werden. "Die Dumpinglohnstrategie der CDU ist ebenso gescheitert wie ihr Anspruch, die Wirtschaft voranzubringen: Sachsen ist mittlerweile im Osten bei der Wirtschaftsentwicklung Schlusslicht und hat bundesweit die niedrigsten Tariflöhne", hält er Amtsinhaber Tillich vor. "Die SPD trägt leider durch ihre demütige Duldsamkeit an der Seite der CDU die Hauptverantwortung dafür, dass wir in Sachsen für echte Wechselstimmung härter kämpfen müssen als anderswo", ermuntert Hahn die Sozialdemokraten, dem Land den Weg in die Zukunft nicht zu versperren.

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Als 'König Kurt' im Jahre 2002 von seinen eigenen Parteifreunden zur Abdankung gezwungen wurde, zeigten sich erste Risse in der damals noch mit absoluter Mehrheit regierenden CDU. Was hat den Zerfall der sächsischen Christdemokraten in den zurückliegenden Jahren beschleunigt?

Die Arroganz der Macht einer CDU, die sich wie eine neue Staatspartei aufführt und ihr Hauptaugenmerk darauf richtet, möglichst überall die 'eigenen' Leute an der Spitze von Verwaltung, Vereinsleben und öffentlichen Institutionen aller Art zu platzieren. So wird offener Gedankenaustausch unterdrückt und vorauseilende Anpassung befördert. Im Gegensatz zu Biedenkopf, der ja wenigstens – wenngleich nicht selten streitbare – Ideen hatte, ist Herrn Tillich seit seiner Zugehörigkeit zur Regierung 1999 noch nie etwas Bemerkenswertes eingefallen. Er ist der zurzeit blasseste Ministerpräsident Deutschlands.


Ein wenig absolutistisches Selbstverständnis hat sich Dein Gegenkandidat Tillich dann aber doch bewahrt. Das mittlerweile allerorts übliche TV-Duell zwischen den Ministerpräsidentenkandidaten hat er abgesagt.

Tillich ist auf der Flucht vor der direkten Auseinandersetzung mit seiner profil- und mutlosen Politik. Manche Journalisten sagen, er habe Angst vor mir, ein solches Urteil würde ich mir natürlich nicht anmaßen, aber: Wir LINKE in Sachsen haben objektiv die besseren Argumente als die CDU. Die Dumpinglohnstrategie der CDU ist ebenso gescheitert wie ihr Anspruch, die Wirtschaft voranzubringen: Sachsen ist mittlerweile im Osten bei der Wirtschaftsentwicklung Schlusslicht und hat bundesweit die niedrigsten Tariflöhne. Typisch für den CDU-Staat Sachsen: Tillich musste das TV-Duell gar nicht absagen, weil das Landesfunkhaus des MDR in vorauseilendem Gehorsam erstmals auf jedes Spitzenpolitiker-Streitgespräch verzichtete. 


Der CDU-Ministerpräsident wird seit Monaten wegen seiner DDR-Biografie in der Öffentlichkeit angegriffen. So etwas kannte man bisher nur bei Politikern der LINKEN. Hast Du Verständnis für Tillichs Situation?

Ich habe Verständnis für jeden Menschen, der sich in der DDR ehrlichen Herzens engagiert hat und bei aller berechtigter Kritik am gescheiterten Staatssozialismus zu seinen Idealen und seiner Biographie steht. Das Problem bei Herrn Tillich: Er gehörte zu den oberen Dreihundert des DDR-Staatsapparates auf dem Territorium des heutigen Sachsens und tat noch unlängst so, als habe er in einer Nische überwintert. Er hat sogar im Personalfragebogen 1999 vier Mal falsch geantwortet. Seine Partei hat dafür gesorgt, dass Zehntausenden im öffentlichen Dienst gekündigt wurde, die wesentlich weniger „systemnah“ waren als Herr Tillich. Für diese Verlogenheit und Doppelmoral kann ich kein Verständnis haben. 


Die Debatte um die Vergangenheit des CDU-Kandidaten bestimmt den Wahlkampf. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, Sachsen hätte ansonsten keine Probleme.

In Sachsen liegen Städte mit dem deutschlandweit größten Ausmaß an Kinderarmut. Bei der Arbeitslosigkeit steht der Freistaat inzwischen schlechter da als das traditionell strukturschwache Mecklenburg-Vorpommern. In keinem Bundesland ist der Altersdurchschnitt der Bevölkerung so hoch - als Ergebnis von Abwanderung und geringer Geburtenzahl. Seit 1990 haben fast 100 000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen, und eine ebenso große Zahl hat nur einen so schlechten Schulabschluss erreicht, dass sie praktisch keine Chance auf eine ordentliche berufliche Perspektive hat. So sieht kein Musterland aus, das die CDU-Wahlwerbung vorzugaukeln versucht.


Resultieren diese Probleme aus der Wirtschaftkrise oder Fehlern in der Landespolitik?

Die Wirtschaftskrise verschärft die strukturellen Defizite, die das Ergebnis einer verfehlten, von der CDU seit fast zwei Jahrzehnten dominierten Landespolitik sind. Die sächsische CDU betreibt eine rückständige Familien- und eine veraltete Wirtschaftspolitik. Man hat in vielen Kreisen Zugangsbeschränkungen für Kinder arbeitsloser Eltern in Kitas eingeführt und dies – gegen unseren heftigen Widerstand – durch die Staatsregierung gutgeheißen. Man hat einseitig auf exportorientierte wirtschaftliche Leuchttürme gesetzt, deren Zusammenbruch – siehe Qimonda – Tillich nun tatenlos hinnimmt. So versperrt man dem Land den Weg in die Zukunft. 


Auch die SPD sitzt seit der Wahl in der Landesregierung. Ist es wirklich realistisch, dass die Sozialdemokraten ihren bisherigen Schmusekurs mit der CDU beenden und einen Neuanfang mit LINKEN und Grünen wagen?

Die SPD trägt leider durch ihre demütige Duldsamkeit an der Seite der CDU die Hauptverantwortung dafür, dass wir in Sachsen für echte Wechselstimmung härter kämpfen müssen als anderswo. Sie hat bei der Blockade moderner Mitbestimmung mitgemacht und unser mit den Gewerkschaften erarbeitetes Personalvertretungsgesetz abgelehnt, ein Programm zur verstärkten Förderung erneuerbarer Energiequellen von der CDU auf Eis legen lassen und unsere Vorstöße für eine sächsische Mindestlohninitiative abgelehnt. Aber die jüngere Generation der verantwortlichen Sozialdemokraten hat erkannt, dass dies die Partei in eine Sackgasse führt.


Du hast heute Dein 100-Tage-Programm vorgestellt. Was wird Ministerpräsident Hahn als Erstes anpacken?

Wir sächsische LINKE sind stolz auf eigene, innovative Denkansätze, und deshalb habe ich mich nicht an dem Ritual beteiligt, ein klassisches 100-Tage-Programm vorzulegen. Ein solcher Alleingang der LINKEN wäre zudem angesichts des anvisierten rot-rot-grünen Regierungsbündnisses kontraproduktiv. Anknüpfend an den Leitsatz unseres letzten Alternativ-Haushalts „Mehr für Sachsens Kinder und Sachsens Wirtschaft“ will ich jedoch LINKE Richtlinienkompetenz für richtungweisende Projekte nutzen: Beispielsweise für einen Gesetzentwurf für einen Personalschlüssel von 1:10 in Kitas wie in Berlin - statt wie bisher 1:13 - und mehr Mittelstandsförderung, insbesondere durch Innovationsgutscheine.


Den Neuaufbruch in der Wirtschaftspolitik, den DIE LINKE in Sachsen will, musst Du jetzt aber doch noch einmal genauer erläutern.

Wir sind ja beim Thema Wirtschaft inzwischen das Original und die CDU nur noch die verspätete Kopie. DIE LINKE wirbt seit Monaten für die Einführung von Innovationsgutscheinen nach baden-württembergischen Vorbild, mit denen es kleineren Unternehmen ohne die Kapazität für eine eigene Forschungsabteilung ermöglicht werden soll, Know-how einzukaufen, um ihre Produkte marktfähig zu halten. Das haben die CDU und Tillich jetzt von uns abgeschrieben. Wir wollen die Wirtschaft auch abseits der Metropolen gezielt fördern und statt Arbeitslosigkeit Arbeit im sozialen und kulturellen Bereich finanzieren: 60 000 ordentlich bezahlte Arbeitsplätze sind durch sinnvolleren Einsatz vorhandener Mittel machbar.