Steckt Deutschland in der Schuldenfalle?

Von Rudolf Hickel, (Leserbrief, abgedruckt im Tagesspiegel vom 14.6.2009.)

22.06.2009

Der staatliche Schuldenstand Deutschlands türmt sich derzeit auf über 1,55 Bil­lionen Euro. Dabei wird die öffentliche Kreditaufnahme in Folge der Rettungspro­gramme für die Banken und einzelne Unternehmen aber auch zur Finanzierung eines Teils der Konjunkturprogramme in den nächsten Monaten noch deutlich steigen. So dramatisch auch diese Schulden bei Banken, privaten Haushalten und vor allem dem Ausland erscheinen, diese absolute Bestandsgröße sagt je­doch wenig aus. Entscheidend sind die Ursachen und vor allem Wirkungen der Staatsschulden auf die Gesamtwirtschaft.

Der durch das soeben verabschiedete Gesetz zur Schuldenbremse ausgehebelte Artikel 115 des Grundgesetzes hatte eine ökonomisch begründete Schuldenfinanzierung in zwei Fällen zugelassen. Zur Überwindung konjunktureller Krisen und zur Finanzierung öffentlicher Investitio­nen, die künftig die gesamtwirtschaftliche Produktivität steigern. Die Erwartun­gen dieser Verschuldungsregeln haben sich jedoch in den letzten Jahren nicht erfüllt. Die Schulden sind ohne nachhaltige positive Effekte für das Wirtschafts­wachstum und Beschäftigung gestiegen, Insoweit bewegt sich Deutschland in der Schuldenfalle. Die Folgen für die öffentlichen Haushalte sind klar: Die Staats­schulden und die daraus zu leistenden Zinsen wachsen schneller als die Wirt­schaft und damit die durch den Staat abgeschöpften Steuereinnahmen. So belie­fen sich 2008 die Zinszahlungen bezogen auf die Steuereinnahmen auf knapp zwölf Prozent. Allerdings gibt es arme Bundesländer, die nahezu jeden vierten Euro aus ihren Einnahmen an ihre Gläubiger zahlen müssen.

Gibt es einen Ausweg aus dieser Schuldenfalle? Propagiert wird mehr oder weni­ger ein totales Verbot der Neuverschuldung. Hierzu gehört die jüngst verabschie­dete Verfassungsänderung zur Einführung einer Schuldenbremse: Die Bundes­länder dürfen sich ab 2020 nicht mehr verschulden und dem Bund wird eine ma­ximale Neuverschuldung bis zu 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts vorge­schrieben. Diese Schuldenbremse ist die falsche Antwort, sie wird scheitern. Un­terstellt wird, dass die öffentliche Kreditaufnahme innerhalb des Wirtschaftssy­stems immer nur schädlich wirkt. Die Regel ist viel zu mechanistisch und eng­stirnig kameralistisch ausgerichtet. Vor allem werden die ökonomischen Funktio­nen der öffentlichen Kreditaufnahme nicht berücksichtigt. Dazu zwei Hinweise:

(1) Während die Geldvermögensbildung der privaten Haushalte auch in der aktu­ellen Krise ansteigt, jedoch die Unternehmen diese nicht durch ausreichende Aufnahme von Krediten abschöpfen, muss der Staat als Lückenbüßer dafür sor­gen, über schuldenfinanzierte Ausgaben effektive Nachfrage für die Wirtschaft zu schaffen. Dieser Logik folgt ansatzweise die Bundesregierung mit ihrem Konjunk­turprogramm II. Entscheidend ist jedoch, dass damit das Wirtschaftswachstum auch steigt und schließlich die Steuereinnahmen zunehmen (Selbstfinanzierungs­effekt).

(2) Fluch oder Segen der Staatsverschuldung entscheidet sich mit der Art, wofür diese geliehenen Finanzmittel verwendet werden. Wenn beispielsweise Investi­tionen in Bildung und die ökologische Infrastruktur finanziert werden, profitieren künftige Generationen von besseren Lebens-und Produktionsbedingungen. Da ist doch die Frage erlaubt, ob künftige Generationen über die Zahlung von Zinsen an der Finanzierung beteiligt werden sollten. Schließlich werden nicht nur die Schulden, sondern Vermögen etwa in Form von Staatsanleihen im Eigentum von privaten Haushalten vererbt.

In der Tat, Deutschland bewegt sich, wie beschrieben, in einer Schuldenfalle. Deshalb sollte jedoch nicht die öffentliche Kreditaufnahme verteufelt, sondern streng gezielt weiterhin genutzt werden. Beispielsweise darf die Staatsverschul­dung nicht zur Finanzierung von Steuersenkungen eingesetzt werden. Schließlich sollten die Konjunkturprogramme mit der Finanzierung zukunftsrelevanter öffent­licher Investitionen zugunsten künftiger Generationen unterfüttert werden. Die ökonomisch eng begrenzte Rechtfertigung der Staatsverschuldung ist jedoch kein Freibrief dafür, immer mehr Staatsausgaben auf Dauer, aber auch Steuersen­kungen über die Kreditmärkte zu finanzieren. Eine wichtige Bremse für die Staatsverschuldung ist eine Steuersenkungsbremse. Darüber hinaus muss die Finanzierung öffentlicher Aufgaben über Steuern sichergestellt werden. Ordentli­che Staatsaufgaben sollten auf Dauer auch über Steuern ordentlich finanziert werden. Bei der Steuerlastverteilung gilt es, das Prinzip ökonomischer Leistungs­fähigkeit, die auch durch die Vermögen beeinflusst wird, zu realisieren. Das ober­ste Gebot lautet: Harte Ausgabendisziplin.

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Links:

  1. http://www.memo.uni-bremen.de/docs/m2009.pdf