Familienförderung: Zweierlei Maß

Die staatliche Familienförderung bevorzugt den Nachwuchs gut verdienender Eltern. Das ist verfassungsrechtlich problematisch, zeigt ein aktuelles Rechtsgutachten.

18.12.2007 / Böcklerimpuls 20/2007

Eltern, die so viel verdienen, dass sie über das Kindergeld hi­naus den steuerlichen Kinderfreibetrag nutzen können, be­kommen mehr Geld vom Staat als Mütter und Väter mit ge­ringeren Einkommen. Denn der Fiskus erkennt neben dem sozialrechtlichen Existenzminimum von Kindern einen „Be-treuungs- und Erziehungsbedarf“ an - was Besserverdienern eine jährliche Steuerersparnis von bis zu 972 Euro bringt. El­tern, die nur Kindergeld beziehen, erhalten hingegen keine zusätzliche Betreuungs- und Erziehungsförderung. Grundsi­cherungsempfänger mit Kindern ebenso wenig. Diese „gravie­rende Ungleichbehandlung“ sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, argumentiert die Darmstädter Juraprofessorin An­ne Lenze in einem Gutachten für die Hans-Böckler-Stiftung.*

Es gebe keine stichhaltige Begründung dafür, Kindern ar­mer Eltern den vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Bedarf an Erziehung und Betreuung vorzuenthalten, schreibt Lenze. Ihrem Gutachten zufolge haben Eltern, die Sozialgeld oder einen Kinderzuschlag bekommen, einen Anspruch auf Erstattung von Betreuungs- und Erziehungsausgaben. Das heißt: Kosten für Kindergarten- und Hortgebühren inklusive Mittagessen, Sprachunterricht für Migrantenkinder, Mo­natsfahrkarte, Nachhilfestunden, Musikunterricht oder Ähnliches müsste die Arbeitsagentur übernehmen - mindes­tens bis 972 Euro im Jahr.

Auch bei Kindern, deren Eltern zwar kein ALG II beziehen, aber wenig verdienen, reiche das Kindergeld nicht, um den Be­treuungs- und Erziehungsbedarf zu decken, so die Professorin. Sie tritt dafür ein, allen Kindern den „verfassungsgerichtlich festgestellten und vom Gesetzgeber akzeptierten Existenzmi­nimum-Bedarf“ zu garantieren, also sozialrechtliches Exis­tenzminimum plus Erziehungs- und Betreuungsbedarf. Dies könne durch ein einheitliches Kindergeld von 484 Euro pro Kind und Monat geschehen, wie es der Paritätische Wohl­fahrtsverband (DPWV) vorschlägt. Nach dem Modell des DPWV würden im Gegenzug die Steuerfreibeträge für Kinder abgeschafft und das Kindergeld müsste versteuert werden.

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*Quelle: Anne Lenze: Die Verfassungsmäßigkeit eines einheitlichen, der Besteuerung unterworfenen Kindergeldes, Gutachten im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung in Kooperation mit dem Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband, 2007

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