»Ökonomisch ist das eine Katastrophe«

Der Druck auf Griechenland nimmt zu, noch mehr Sparmaßnahmen zu beschließen. Ein Gespräch mit Axel Troost

04.06.2011 / Interview: Mirko Knoche, junge Welt

Dr. Axel Troost ist Ökonom und finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag

Die Europäische Union (EU), die Europäische Zentralbank (EZB) und der Internationale Währungsfonds (IWF) haben am Freitag mit Griechenland darüber gesprochen, ob eine weitere Kreditlinie aus dem Rettungsfonds tatsächlich ausgezahlt wird. Worum ging es im einzelnen?

Die Gespräche reichten sogar noch weiter. EU, EZB und IWF haben mit der griechischen Regierung über 110 Milliarden Euro verhandelt, um die angepeilte Umschuldung finanzieren zu können. Sonst wäre Athen in wenigen Wochen zahlungsunfähig. Dabei erhöhten die Gläubiger und Bürgen den Druck auf Griechenland, zusätzliche Sparmaßnahmen zu beschließen. Ökonomisch ist das eine Katastrophe, weil die Hellenen so immer tiefer in die Vergeblichkeitsfalle rutschen: Mit dem Sparkurs sollen die Schulden bedient werden, dadurch sinkt aber das Wachstum, und folglich brechen die Staatseinnahmen ein.

Was wäre die Alternative?

Die Kredite sollten ohne Auflagen ausbezahlt werden. Vielmehr müßten die Europäer und der IWF finanziell helfen, eine wettbewerbsfähige Industrie aufzubauen und den Tourismus aufzuwerten. Nur so könnte Griechenland überhaupt ein vernünftiges Inlandsprodukt erwirtschaften.

Also ein Industrialisierungsprogramm?

Das ist etwas hochgegriffen. Trotzdem muß die griechische Industrie in der Konkurrenz bestehen können. Sonst muß sich das Land seine Waren weiterhin zu großen Teilen im Ausland beschaffen – und sich dort verschulden. Griechenland hat deshalb ein großes Defizit im Außenhandel.

Wenn die Rettungskredite ohne Auflagen vergeben werden, könnten die Ratingagenturen aber auf die Idee kommen, die Bonität der Schuldscheine aus Athen weiter herabzustufen.

Das ist der alte Fehler neoliberaler Denkart, mit Sparpolitik aus den Schulden herauskommen zu wollen. Das hat schon unter SPD-Finanzminister Hans Eichel in der Schröder-Ära nicht geklappt. Durch staatliche Geldspritzen war die deutsche Konjunkturpolitik in der Wirtschaftskrise dagegen sehr erfolgreich. In Griechenland soll das für die Finanzpolitik nun plötzlich keine Geltung mehr haben.

Was soll aus den Schulden selbst werden?

Wir brauchen jetzt dringend Euro-Bonds, also gemeinsame Staatsanleihen aller Euro-Länder. Denn wenn Griechenland jetzt kurzfristig saniert wird, geht das Spiel in Portugal und Spanien sofort weiter. Nur mit Euro-Bonds können wir die Spekulation gegen Einzelstaaten wirksam verhindern. Daran führt kein Weg mehr vorbei.

Als Vorteil gemeinsamer Schuldscheine gilt, daß durch das hohe Gewicht solventer Staaten – wie der BRD – im Durchschnitte eine gute Bonität herauskommt. Das senkt die Zinsen für die Staatsschulden. Braucht man das wirklich? Schließlich gibt es einen Euro-Rettungsfonds – der wurde gegen den Willen der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sogar bis auf den St. Nimmerleinstag verlängert.

Für Athen einen Rettungsschirm aufzuspannen bedeutet nur, daß die Refinanzierung der auslaufenden Kredite funktioniert. Das beruhigt zwar im ersten Schritt die Märkte. Wenn aber der nächste Kandidat fällig ist, stößt das vereinbarte Volumen schon wieder an seine Grenzen. Mit Euro-Bonds wäre dagegen für Sicherheit gesorgt. Sie scheitern aber am Widerstand der Bundesregierung.

Viele Griechen wollen jetzt ihre alte Nationalwährung zurück, die Drachme. Sie wollen dadurch unabhängig von Deutschland und der EU werden. Was halten Sie davon?

Nicht viel, es löst nämlich das Schuldenproblem nicht. Wenn die griechische Währung um 30 Prozent abgewertet würde, stiege der Wert der Auslandskredite um eben diese 30 Prozent – denn sie wurden einst in Euro ausgezahlt. Außerdem ist Europa wirtschaftlich so eng verflochten, daß Griechenland keinen Vorteil aus einem einseitigen Austritt ziehen könnte. Trotzdem verstehe ich die rebellierenden Griechen. Zu Recht beklagen sie sich, daß Probleme, die sie nicht verursacht haben, auf ihrem Rücken ausgetragen werden.

Aber könnten andere Staaten der EU nicht billiger produzieren, wenn sie zu nationalen Währungen zurückkehrten und sie somit abwerten könnten?

Das stimmt zwar, aber der Euro-Raum ist ein Vorteil im Wettbewerb mit den USA und China. Den werden sich die Euro-Länder nicht nehmen lassen.