Axel Troost: Rede zum Konjunkturprogramm der Bundesregierung

04.12.2008 / 4.12.2008

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch wenn manche es nicht hören wollen: Ich denke, es ist gesichert, dass wir vor der größten Weltwirtschaftskrise seit 1945 stehen. Zum ersten Mal sind alle drei Zentren, die USA, Europa und die größten Teile Asiens, betroffen. Das hat es in dieser Form noch nicht gegeben. Hinzu kommt die Finanzmarktkrise.

Das wird dazu führen ‑ und das hat überhaupt nicht viel mit Psychologie zu tun ‑, dass wir auch in der Bundesrepublik den seit 1949 schärfsten Rückgang bei den Wachstumsraten erleben werden. Zur Erinnerung: 1975 hatten wir einen Rückgang um 0,9 Prozent. Das war der bisher stärkste Rückgang. Ich denke, in einem Jahr werden wir gemeinsam feststellen, dass wir auch aufgrund der Untätigkeit der Bundesregierung bei minus 2 Prozent oder noch mehr landen werden. Das ist keine Frage des privaten Verbrauchs ‑ der stagnierte in den letzten Jahren sowieso schon aufgrund der Schaffung des Niedriglohnsektors und der schlechten Tarifabschlüsse, bei denen noch nicht einmal der verteilungsneutrale Spielraum ausgeschöpft wurde ‑, sondern Folge des Einbruchs bei den Exporten; und das in einer Wirtschaft, die voll auf den Export getrimmt worden ist und in der der Binnenmarkt seit zehn Jahren völlig vernachlässigt wurde. Das ist sozusagen das Resultat.

Deswegen ist dringend aktives Handeln notwendig. Herr Oswald, gestern ist das von Ihrem neuen Ministerpräsidenten Seehofer genauso angemahnt worden,

(Zuruf von der FDP: Das ist auch ein Sozialist!)

weil er in der Tat von vornherein erkannt hat, dass das, was man jetzt nicht macht, die Krise nur verschärft und anschließend in Form von höherer Arbeitslosigkeit und geringeren Steuereinnahmen sowieso wieder auf uns zukommt.

Insofern stellt in der gegenwärtigen Situation die Aussage, es sei kein Geld da, schlicht und einfach die Aussage dar: Im Augenblick passt uns die Wirtschaftskrise nicht so richtig. Es ist aber nun einmal so, dass in einer Marktwirtschaft bzw. im Kapitalismus Zyklen existieren. Diese kann man entweder aktiv bekämpfen, oder man kann sie hinnehmen, was zur Konsequenz hat, dass die Folgen umso schwieriger sind. Das haben wir in den 80er‑Jahren erlebt, das haben wir unter Herrn Eichel erlebt, und das werden wir das nächste Mal bei Ihnen erleben.

(Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Im Sozialismus geht es allen gleich schlecht!)

Insofern ist die Politik aus unserer Sicht völlig verfehlt, zunächst einmal abzuwarten und zu schauen, wie das Progrämmchen wirkt, dann Mitte des Jahres festzustellen, dass es nicht wirkt, wenn man sich bereits in einer größeren Krise befindet.

(Beifall bei der LINKEN)

Was wir nicht brauchen, sind große Versprechungen in Bezug auf Steuersenkungen, die man sowieso schon machen wollte und die dann letztlich in Form einer höheren Sparquote bei den Reichen landen. Auch die Frage der Steuerschecks scheint mir völlig zielungenau zu sein. Wenn dies nicht nur bei den untersten Einkommen ankommt, ist mit keinen Konjunkturimpulsen, sondern nur mit großen Mitnahmeeffekten zu rechnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Insofern sagt die Linke, dass Handeln dringend erforderlich ist, und zwar auf drei Ebenen.

Erstens. Wir brauchen dringend eine Stärkung der Massenkaufkraft. Dazu schlagen wir erstens die sofortige Anhebung des Arbeitslosengeldes II und des Sozialgeldes auf 435 Euro vor und zweitens die Aufhebung der Rentendämpfungsfaktoren in der Rente. Das würde insgesamt zu einer zusätzlichen Nachfrage von 15 Milliarden Euro führen. Dies würde in der Tat eine sofortige Ankurbelung des Konsums bedeuten.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Wir sollten so schnell wie möglich ‑ spätestens Mitte nächsten Jahres ‑ die Gewerbesteuerumlage zugunsten des Bundes aussetzen. Das würde bedeuten, dass den Städten und Gemeinden sofort 4 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stünden, die vor Ort ausgegeben werden können und die dort direkt ankommen, ohne dass wir Angst haben müssen, dass die Länder zulasten der Gemeinden sparen.

Drittens. Das ist der Kern und mit das Wichtigste: Wir brauchen ein großes und sehr schnell eingeleitetes Investitionsprogramm, und zwar in Richtung Energie, in Richtung Bildung, in Richtung ökologischer Umbau, in Richtung Gesundheit und vieles andere mehr.

Es geht nicht darum, Strohfeuer zu entfachen. Es geht nicht darum, in Bereiche zu investieren, die dann wieder aufgegeben werden. Sondern wir brauchen den Einstieg in diese Bereiche. In diesen Bereichen ist die Expansion nachgewiesenermaßen am größten. So können wir versuchen, Beschäftigung zu halten, und so können wir versuchen, die Konjunktur zu stützen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn nun die Frage nach der Finanzierung aufkommt, dann sage ich, dass dies mittelfristig natürlich über Steuern und Steuererhöhungen zu finanzieren ist. Die Linke hat hierzu Vorschläge entwickelt. Wir sagen, dass wir die Wiedererhebung der Vermögensteuer brauchen. Wir sind nach wie vor verärgert darüber, was in der vergangenen Woche im Hinblick auf die Erbschaftsteuer beschlossen worden ist. Hierbei sind mindestens 4 Milliarden Euro Mehreinahmen möglich.

Wir brauchen eine Wiederanhebung des Spitzensteuersatzes. Außerdem brauchen wir eine breit angelegte Finanztransaktionsteuer, damit wir zu einer Entschleunigung ‑ ‑

(Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Tobin lässt grüßen!)

‑ Tobin ist genauso darin enthalten wie die alte Börsenumsatzsteuer.

Das wäre ein Schritt zur Entschleunigung und Dämpfung der Finanzmarktkrise.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wird natürlich aber nur mittelfristig machbar sein. Insofern muss man schlicht und einfach die Neuverschuldung ansteigen lassen.

Ich bin auch Mitglied der Föderalismuskommission.

(Zuruf von der CDU/CSU: Daran hapert es also!)

Ich hätte nicht gedacht, dass man vor dem Hintergrund der allgemeinen Krise und der Dämonisierung der Staatsverschuldung so schnell vergisst, dass das Instrument der Staatsverschuldung zumindest als antizyklisches Instrument ein ungeheuer wichtiges Mittel ist. Der Staat ist der Einzige, der in der Krise Impulse setzen kann, und zwar kreditfinanziert. Ich bin erstaunt darüber, dass diese klare Erkenntnis der Finanzwissenschaft in der Bundesrepublik so schnell in Vergessenheit gerät.

Mit Sparen kommen Sie nicht aus der Krise.

(Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Wir tun ja was!)

Die Krise wird uns alle einholen. Wir werden im nächsten Jahr Nachtragshaushalte und die Auflage weiterer Programme erleben; aber das alles bei höherer Arbeitslosigkeit. Daran hat Ihre Mutlosigkeit, die sich gegenwärtig zeigt, Schuld.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Schlagwörter